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Roman "Im Versteck"
Die Liebe zweier schwuler Einsiedler

Wendell und Frank, die beiden Hauptfiguren des Romans, sind seit fast sechzig Jahren ein Paar – nach außen geben sie sich jedoch als Brüder aus (Bild: flickr / Adam Smith / by 2.0)
- 3. September 2016, 05:46h 4 Min.
Matthew Griffins literarisches Debüt "Im Versteck" erzählt auf morbide und doch zärtliche Weise von einem alten Männerpaar, das der Welt entfliehen will.
Von Carsten Moll
Als der 83-jährige Frank an einem heißen Sommertag bei der Gartenarbeit zusammenbricht, gerät langsam, aber sicher eine ganze Welt aus den Fugen. Sein Lebenspartner Wendell findet Frank reglos im Gemüsebeet, die zerdrückten Tomaten auf seinem Hemd sehen aus wie blutige Schusswunden. Doch als der Ohnmächtige mit einem schiefen Lächeln auf dem Gesicht erwacht, wird Wendell schnell klar, dass sein Freund einen Schlaganfall erlitten hat.
Zu dem ersten Schock gesellt sich bald ein tiefes Unbehagen, das die zurückgezogen lebenden Rentner immer befällt, wenn sie Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen müssen. Aber Franks kritischer Gesundheitszustand lässt den misstrauischen Männern keine andere Wahl, als einen Notarzt in ihr abgeschiedenes Häuschen, irgendwo im ländlichen Nirgendwo North Carolinas, zu rufen.
Seit fast sechzig Jahren sind Wendell und Frank nun schon ein Paar und beinahe ebenso lange haben die beiden es vermieden, sich gemeinsam in der Öffentlichkeit zu zeigen – anfangs aus Angst vor Anfeindungen, Vorurteilen und diskriminierenden Gesetzen, mittlerweile vor allem aus Gewohnheit. Die voranschreitende Schwulenemanzipation erleben die zwei Einsiedler (die sich als Brüder ausgeben, sollten sie sich doch einmal zusammen unter Menschen wagen) nicht als Befreiungsschlag, sondern als Zumutung. "Kein Wunder, dass sie alle an Geschlechtskrankheiten sterben, bei diesem Benehmen", kommentiert Wendell das bunte Treiben seiner stolz die Regenbogenflagge schwenkenden Zeitgenossen.
Außergewöhnliches Debüt über den Alltag zweier alter Männer

Matthew Griffin wurde in North Carolina geboren. Er lebt mit seinem Ehemann in Louisiana und unterrichtet als Gastprofessor an der Louisiana University in Lafayette (Bild: Raymie Wolfe)
Der 1984 geborene Matthew Griffin erzählt in seinem Debütroman "Im Versteck" eine außergewöhnliche Geschichte, die allerdings ganz vom häuslichen Alltag der Protagonisten geprägt wird. Nach einigen Tagen im Krankenhaus, wo die Ärzte Frank neben einem leichten Hirnschlag zusätzlich ein vergrößertes Herz diagnostizieren – das auf den Röntgenbildern laut Wendell wie eine alte, ausgestopfte Socke im Brustkorb hängt -, ziehen sich die Männer zurück in ihr abgelegenes Zuhause.
Nach Franks Kollaps ist dort allerdings nichts mehr, wie es zuvor einmal war: Der großgewachsene, einst so lebenslustige Mann hat keinen Appetit mehr und verliert stetig an Kraft. Der Hausputz, der seit jeher zu Franks Aufgaben zählt, bleibt unerledigt, während der Garten verwildert.
Wendell, aus dessen Perspektive die Handlung beschrieben wird, stellt sich dem Verfall entgegen und lässt nichts unversucht, um seinen schwächelnden Gefährten zu motivieren: Er backt zahllose Kuchen, in der Hoffnung einer davon könnte Franks vages Verlangen nach etwas Süßem befriedigen, und holt schließlich sogar eine Hündin aus dem Tierheim, damit Frank sich zu etwas Bewegung aufrafft.
Dank der Basset-Dame Daisy gelingt es tatsächlich, den Kranken aus dem Bett zu bekommen. Zahlreiche Rückschläge und Franks zunehmende geistige Verwirrung bringen Wendell jedoch bald an seine Grenzen. Während er sich an vergangene Zeiten erinnert, an das Kennenlernen nach dem Zweiten Weltkrieg, einen Urlaub am Meer und den ersten Sex, steht die Gegenwart immer mehr unter den Vorzeichen von Franks bevorstehendem Tod.
Unsentimental, makaber und zärtlich

"Im Versteck" ist Ende August im Hamburger Männerschwarm Verlag erschienen
Diese bittere Erfahrung des Abschieds beschreibt Griffin auf unsentimentale und mitunter ganz schön makabre Weise: Ein Justizdrama um einen ertränkten Säugling, das Frank und Wendell über Monate hinweg in den Nachrichten verfolgen, sowie Wendells Tätigkeit als Tierpräparator lassen die Themen Vergänglichkeit und Tod in beinahe jedem Satz durchscheinen und dienen Griffin zugleich als Inspiration für seine von zahllosen Metaphern und Vergleichen durchsetzte Sprache.
Reife Früchte verströmen hier den süßlichen Geruch eines Kadavers, das Gemüsebeet mit seinen grünen Tentakeln führt ein bedrohliches Eigenleben, und wenn Wendell sich abends zu Frank ins Bett legt, fühlt er sich "wie eine Leiche im Müllsack". Das von ausgestopften Rehen und Vögeln beherrschte Heim der Hauptfiguren, um das nachts kichernd die Kojoten ziehen, erinnert passenderweise ebenso an ein finsteres Märchen wie an einen Horrorfilm.
Aber auch wenn Griffins Prosa, die an den Schauerromanen des Southern Gothic geschult zu sein scheint, sich lustvoll dem Morbiden hingibt und dabei selbst vor drastischen Details nicht zurückschreckt, trägt "Im Versteck" eine große Zärtlichkeit in sich. Mit kleinen, hinter all den Sticheleien leicht übersehbaren Gesten zeigen sich Wendell und Frank immer wieder ihre Liebe und finden zuletzt unerwarteten Trost.
Matthew Griffin: Im Versteck. Roman. 272 Seiten. Männerschwarm Verlag. Hamburg 2016. 22 € (E-Book 12,99 €). ISBN 978-3863002190
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