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- 19. April 2005 3 Min.
Standpunkt: Die Chance für Gracia beim Eurovision Song Contest ist zwar groß, der Image-Schaden könnte allerdings größer sein.
Von Jan Gebauer
Arme Gracia! Die Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest (ESC) gewann sie mit "Run & Hide" deutlich vor Ralph Siegel und seinen Schützlingen Nicole Süßmilch und Marco Matias. Per Wild Card war sie in das Teilnehmerfeld gezogen, dafür war eine Platzierung in den Top 40 der deutschen Charts nötig. Das erfüllte sie mit ihrem 20. Platz mehr als deutlich. Doch am 11. April ging es plötzlich rund im Dschungel des Musikgeschäfts: Gracias Produzent David Brandes habe die Verkäufe der Single manipuliert, meldeten die Gazetten von "Bild" bis hin zur "FAZ". Betroffen waren insgesamt sechs seiner Produktionen, die allesamt umgehend aus den Charts verbannt wurden. Der Manipulations-Skandal erschütterte die Musikindustrie wie schon seit Milli Vanilli nicht mehr. Branchenkenner überraschte der Vorfall jedoch keineswegs. Selbst Gracia zeigte sich in "Bild"-Interviews bockig: "Das ist doch mehr als üblich in diesem Geschäft. Das machen alle." Später lenkte sie ein: "Es ist noch nichts bewiesen."
Autsch! Singt da eine Nachwuchssängerin etwa das alte Lied: "Springt einer aus dem Fenster, springen wir alle hinterher!" Sicher, ihr Sieg beim Vorentscheid war mehr als verdient und laut dem NDR auch absolut korrekt abgelaufen. Der Song "Run & Hide", flott und rockig, wurde ausgezeichnet auf der Bühne vorgetragen. Das könnte zweifellos auch international gut ankommen. Aber wie weit ist eine Sängerin bereit, für die Karriere zu gehen? "Ich fahre auf jeden Fall zum Grand Prix", sagte die 22-Jährige der "Bild"-Zeitung. "Ich wüsste auch nicht, warum ich zurücktreten sollte." Gracia scheint nicht verstanden zu haben, dass diese Manipulation, sollte sie sich tatsächlich als wahr herausstellen, ein unschöner Musik-Schwindel ist. Dass die Künstlerin vermutlich kaum etwas von den Machenschaften ihres geschäftstüchtigen Produzenten gewusst hat, kann man ihr in letzter Konsequenz zu Gute halten. Will sie aber tatsächlich ihre noch junge Karriere mit dieser Manipulation weiterführen? Dabei hat Gracia doch schon genug daran zu arbeiten, dass ihr Durchbruch bei der RTL-Casting-Show "Deutschland sucht den Superstar" (erste Staffel, Platz fünf) inzwischen mehr Stigma als Karriere-Auszeichnung ist.
Am Wochenende hatten ehemalige Eurovisions-Interpreten wie Nicole (einzige deutsche Siegerin, 1982), Guildo Horn (Platz 7, 1998), Michelle (Platz 8, 2001) oder Nino de Angelo (Platz 14, 1989) Gracia in einem offenen Brief aufgefordert, wegen der Manipulationsvorwürfe gegen Brandes nicht in Kiew aufzutreten. Darin heißt es: "Du singst nicht für Dich, sondern für Dein Land. Solange der Verdacht der Manipulation auf diesem Lied liegt, schadet der Auftritt nicht nur Deiner Karriere, sondern auch dem Ansehen Deutschlands." Diesen Appell ihrer Schlager-Tanten und Onkel sollte Gracia beherzigen, auch wenn zweifelhaft ist, ob ihre Kollegen immer mit solch nationalen Gefühlen zum ESC gereist sind. Die Chance für Gracia ist zwar groß, der Image-Schaden könnte allerdings größer sein. Die Alternative "Schni-Schna-Schnarchi" von Ralph Siegel bleibt allerdings aus. Jürgen Meier-Beer, TV-Unterhaltungschef beim NDR und Verantwortlicher der deutschen Vorentscheidung zum ESC, versicherte, dass entweder Gracia auftritt oder kein anderer deutscher Kandidat. In diesem Fall müsste die ARD der Eurovision Strafe bezahlen, da die Frist zur Stornierung bereits am 21. März abgelaufen ist.
19. April 2005















Vergesst doch die Meinung dieser alten "Tingel-Tangel-Tanten und Onkels". Die will doch gar keiner mehr sehen und hören!