Nerstheimer hatte Homosexuelle u.a. als "genetisch degeneriert" bezeichnet (Bild: AfD Lichtenberg)
Der direkt gewählte Berliner AfD-Abgeordnete Kay Nerstheimer verzichtet wegen rechtsextremer Äußerungen auf eine Mitgliedschaft in der Fraktion – homofeindlich und gefährlich bleibt die Partei dennoch.
Von Norbert Blech
Der neu ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählte Politiker Kay Nerstheimer wird nicht Teil der AfD-Fraktion. Das gaben die am Sonntag erstmals in das Parlament eingezogenen Rechtspopulisten am Mittwochabend in einer Presseerklärung bekannt. Nerstheimer hat demnach freiwillig auf eine Mitgliedschaft verzichtet.
In den letzten Tagen hatten Medien zunehmend über rechtsradikale Äußerungen des Politikers berichtet, der sich früher als "Division Leader" der "German Defence League" bezeichnete. Laut einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" schrieb Nerstheimer etwa in sozialen Netzwerken von Schwarzen als "Bimbos", von Flüchtlingen aus Syrien als "widerliches Gewürm" und von einigen deutschen Politikern als "Hochverräter". Auch habe er laut SZ "geschichtsrevisionistische Beiträge" verfasst, die NS-Zeit "glorifiziert" und NS-Massaker "beschönigt".
Am Dienstag waren auch homofeindliche Kommentare von Nerstheimer bei Facebook bekannt geworden, in denen er Homosexuelle, vor denen man Kinder schützen müsse, als "unnormal", "widernatürlich" und einen "Gendefekt" besitzend bezeichnete (queer.de berichtete). Es habe seinen Sinn, dass die "degenerierte Spezies" sich nicht vermehren könne: "So löscht die Natur Fehler im Programm."
Keine Entschuldigung, keine weitere Konsequenz
Die Tiraden Nerstheimers aus dem Jahr 2014 im Facebook-Profil der AfD-Europabgeordneten Beatrix von Storch, die auch Ko-Vorsitzende des Berliner Landesverbands ist
Nerstheimer hatte am Sonntag in Lichtenberg mit 26 Prozent eines der Direktmandate der Partei in Berlin geholt. Am Montag hatte AfD-Landeschef Georg Pazderski noch Kritik an dem Politiker zurückgewiesen und gemeint, dass sich Nerstheimer glaubhaft von früheren Äußerungen distanziert habe und jeder eine zweite Chance verdiene.
Am Mittwoch ließ die Partei dann verbreiten: "Der Lichtenberger Abgeordnete Kay Nerstheimer hat am 20. September schriftlich seinen Verzicht auf die Zugehörigkeit zur Fraktion erklärt. Er wird dem Abgeordnetenhaus voraussichtlich als unabhängiger Abgeordneter angehören." Die Presseerklärung befasst sich ansonsten nur mit der Bildung der neuen Fraktion. Eine Distanzierung von den Äußerungen Nerstheimers und eine Solidarisierung mit dem von ihm angegriffenen Menschengruppen enthält die Mitteilung ebenso wenig wie die Ankündigung weiterer Schritte wie ein Parteiausschlussverfahren – so bleibt auch unklar, bei welchen Äußerungen konkret die Partei eine rote Linie überschritten sehen könnte.
Der Parteispitze waren die problematischen Haltungen des Kandidaten dabei bereits vor Wochen bekannt; gegenüber "Spiegel Online" hatte Pazderski, der nun Fraktionschef wird, am Montag gesagt, dass sich der Landesvorstand vor vier Wochen mit dem Abgeordneten zusammengesetzt habe. Eine Distanzierung von Nerstheimer, der danach für die Partei zur Wahl antrat, folgte nicht.
Die FAZ berichtet gar, der frühere Berliner AfD-Vorstand habe bereits im Sommer 2015 ein Parteiausschlussverfahren gegen Nerstheimer vorbereitet. "Über den Antrag wurde jedoch nicht abgestimmt", so die Zeitung: "Der neue Landesvorstand um Beatrix von Storch und Georg Pazderski verfolgte den Ausschlussantrag nicht weiter." Die homophobe Hetztirade des Mannes stammt übrigens aus einem Facebook-Thread der AfD-Europaabgeordneten und war dort bis Dienstagabend online, als Nerstheimer sein Profil in dem Netzwerk löschte.
Wölfe im Schafspelz und Nadelstreifen
Der Soziologe und AfD-Experte Andreas Kemper hatte bereits am Dienstag vermutet, dass Nerstheimer als "Bauernopfer" genutzt werde, um der Parteiführung die Möglichkeit zu bieten, "ihre Hände in Unschuld zu waschen": Er verwies auf den Umgang mit dem Baden-Württemberger Abgeordneten Wolfgang Gedeon, der nach dem Bekanntwerden antisemitischer Haltungen ebenfalls auf eine Fraktionsmitgliedschaft verzichtete.
"Die AfD wird sagen, sie seien keine Rechtsextremen, das zeige sich daran, dass solche Leute wie Nerstheimer keinen Platz in ihren Reihen hätten", so Kemper. "Ob er aus der AfD ausgeschlossen wird, ist fraglich. Auch Gedeon ist noch Mitglied in der AfD." In der Zwischenzeit werde "der völkische bzw. faschistische Flügel der AfD immer weiter ausgebaut"; Björn Höcke, der sich ideologisch von Nerstheimer kaum unterscheide, bleibe "unangetastet".
Abgeklebte AfD-Plakate bei einer "Demo für alle" in Hannover
Auch gegen LGBTI-Rechte poltern AfD-Politiker weiter, oft unter dem verdeckenden Label "Gender Mainstreaming". Höcke spricht hier etwa von einer "Geisteskrankheit" und einem "Sonntagskind der Dekadenz", dem man den Kampf angesagt habe und den man "aus unseren Schulen, aus unseren Universitäten vertreiben" werde. Der Vorsitzende der Thüringer Landtagsfraktion beklagte in einer Landtagsrede eine "Früh- und Hypersexualisierung" durch die "Fehlgeburt" eines "Gender-Totalitarismus", der eine "dekadente Desorientierung" als allgemeine Erziehungsmaßnahme verkaufen und "Ungleiches gleichschalten und Bewährtes zerstören" wolle.
In ihrem Parteiprogramm spricht sich die Partei nicht nur gegen eine "Ehe für alle" aus, sondern auch gegen eine "Verunsicherung der Kinder in Bezug auf ihre sexuelle Identität" in Schulen – in diesem Zusammenhang warnen AfD-Politiker bundesweit vor einem Angriff auf die Kinder und die "Zukunftsfähigkeit des Volkes". Die lange von Beatrix von Storch organisierte "Demo für alle" trieb die abenteuerlich-bedrohliche Argumentation auf die Spitze, band sie ein in ein Bündnis mit Politikern und Aktivisten anderer Parteien von CDU bis Rechtsextremisten und führte letztlich mit der gefeierten Demo-Teilnahme eines von Homo-"Heilern" behandelten Schwulen, der seine Homosexualität nicht auslebt, vor, dass am Ende dieser Argumentation eine Unterdrückung stehen kann (queer.de berichtete).
Ungebremster Homohass
Als ein AfD-Abgeordneter in Sachsen-Anhalt kürzlich die strafrechtliche Verfolgung Homosexueller begrüßte, stellte die Partei das entsprechende Zitat einfach in einen anderen Zusammenhang – das offizielle Landtagsprotokoll, das die Äußerung unverändert enthält, erschien erst Wochen später (queer.de berichtete). Anstatt den Mann rauszuwerfen, stellte sich die AfD kaum weniger homophob hinter ihn: "Gehlmann hatte sich dahingehend geäußert, dass 'tabuisiert sein soll, wer Homosexualität offen auslebt'", so die Pressemitteilung ohne jegliche Kritik an der Aussage – zu dieser stehe der Abgeordnete "uneingeschränkt, da er Sittenverfall und sogar allgemein offen ausgelebte Sexualität scharf ablehnt" (queer.de berichtete).
Dieses Bild zeigt rechts vermutlich den Berliner AfD-Kandidaten Jörg Sobolewski beim Abfackeln einer Regenbogenflagge. Weder er noch die Partei haben sich näher dazu geäußert.
Den letzten Skandal um einen AfD-Politiker hatte es erst in der Nacht zur Abgeordnetenhauswahl gegeben, als bekannt wurde, dass ein (letztlich knapp nicht gewählter) Listenkandidat der Partei als Burschenschaftler eine Regenbogenflagge in Brand setzte und dazu stolz posierte (queer.de berichtete). In Medien ging der Vorfall am Wahltag unter, nur die B.Z. fragte nach. Der Berliner AfD-Sprecher Ronald Gläser sagte der Zeitung, er sehe die Flaggenverbrennung "nicht so spektakulär", auch die Grüne Jugend pinkele ja mal auf Deutschlandflaggen. In ihren Medien und Netzwerken griff die Partei den Vorfall danach nicht mehr auf. Gläser, ein früherer Redakteur der "Jungen Freiheit", wurde derweil am Sonntag ins Abgeordnetenhaus gewählt und am Mittwoch zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden auserkoren.
Zu ihrem parlamentarischen Geschaftsführer wählten die Berliner Rechtspopulisten den schwulen Politiker Frank Hansel, der beim "Männer"-Talk zur Wahl LGBTI-Rechte als "Luxusprobleme" bezeichnet hatte. Dem Neurechten-Magazin "Compact", das vor wenigen Jahren zu einer "Familien-Konferenz" u.a. die Schöpferin des russischen Gesetzes gegen Homo-"Propaganda" eingeladen hatte (queer.de berichtete), sagte er vor der Wahl, Schwule und Lesben hätten von seiner Partei nichts zu befürchten: "Die AfD ist allenfalls für bezahlte Funktionäre der Homo-Lobby gefährlich."