Dieser Politiker, der Homosexuelle als "Fehler der Natur" bezeichnete und ihnen einen "Gendefekt" vorwarf, wird die nächsten fünf Jahre im Berliner Abgeordnetenhaus sitzen (Bild: AfD Lichtenberg)
Der Berliner Abgeordnete, der Homosexuelle als "degenerierte Spezies" bezeichnete, sieht sich zu Unrecht verfolgt – und hetzt gegen Regenbogenfamilien.
Von Norbert Blech
Der umstrittene Politiker Kay Nerstheimer, der bei den Abgeordnetenhauswahlen am Sonntag in Berlin-Lichtenberg ein Direktmandat für die AfD holte, hat sich am Freitag nach Tagen des Schweigens in einem Interview mit dem "Tagesspiegel" zu Wort gemeldet.
Der 52-Jährige war Anfang der Woche in die Schlagzeilen geraten – wegen einer Vergangenheit als "Division Leader" in der rechtsextremen "German Defence League", der eine Miliz aufbauen wollte, sowie wegen etlicher früherer Hass-Postings, die Medien aus sozialen Netzwerken hervorkramten.
Der Zeitung sagte der umstrittene Neu-Politiker nun, er halte die Kritik an seiner Person für nicht gerechtfertigt: "Es wurden Zitate aus einem ellenlangen Kontext gerissen und verdreht." So sei eine kritisierte Äußerung über die "degenierte Spezies" der Homosexuellen zu verstehen: "Ein User hat mich in dem Zusammenhang so lange provoziert, bis ich das dann geschrieben habe, ja. Das ist zwei Jahre her und seitdem habe ich nichts mehr davon gehört – bis eben vor ein paar Tagen."
Keine Entschuldigung, kein Einsehen
Der Facebook-Thread Nerstheimers zu Schwulen und Lesben. Laut einem Bericht der "SZ" schrieb Nerstheimer in anderen Facebook-Kommentaren u.a. von Schwarzen als "Bimbos" und von einigen deutschen Politikern als "Hochverrätern"
Während Nerstheimer sich in dem Interview als verfolgte Unschuld gibt, finden sich darin keine Worte des Bedauerns oder der Entschuldigung. Auch mit der Wahrheit hat er es nicht so: Der entsprechende Facebook-Thread zur Homosexualität war noch bis vor wenigen Tagen im Profil der AfD-Europaabgeordneten Beatrix von Storch online – und dabei klar erkennbar, dass Nerstheimer sich vor allem selbst in Rage provozierte. Den Begriff "genetisch degeneriert" benutzte er bereits in seinem Einstiegskommentar.
Im "Tagesspiegel"-Interview behauptete Nerstheimer weiter: "Ich habe kein Problem mit Homosexuellen. Mein Stiefvater hatte eine Szene-Kneipe in Ost-Berlin, da habe ich genug Homosexuelle kennengelernt." Aber er wolle nicht wissen, "wie jemand in dieser Hinsicht tickt. Und ich will auch nicht, dass meiner Tochter das Thema in der Schule auf die Nase gebunden wird."
Weiter sprach sich Nerstheimer auf "Tagesspiegel"-Nachfrage gegen ein Adoptionsrecht für schwule und lesbische Paare aus: "Zu einer gesunden Erziehung gehören Vater und Mutter, das ist zum Wohl des Kindes. Wenn Homosexuelle ein Kind adoptieren, könnte das schlecht sein für dessen Psyche."
In dem Interview nahm der Politiker noch zu weiteren umstrittenen Äußerungen Stellung und redete seine geplante Miliz als "freiwillige Polizeireserve" schön. Seine einzige Lehre aus dem Shitstorm: Er hätte bereits nach den ersten kritischen Medienberichten seinen Facebook-Account schließen sollen. "Mich überrascht es, dass so eine Hexenjagd, wie sie mit mir veranstaltet wurde, in einer Demokratie möglich ist", so Nerstheimer. "Ich habe ja niemanden verhetzt. Nicht zu Mord und Totschlag aufgerufen."
Als AfD-Mitglied weiter im Abgeordnetenhaus
Dem Berliner AfD-Vorstand war die Vergangenheit des Kandidaten vor der Wahl bekannt, man hatte sich mit ihm zusammengesetzt und ihn dennoch antreten lassen. Laut FAZ wurde ein Antrag auf Parteiausschluss im letzten Sommer nicht weiter verfolgt. Man müsse Menschen eine "zweite Chance" geben, so der Landes- und neue Fraktionsschef Georg Pazderski noch am Montag zu "Spiegel Online".
Erst als die Medien nach und nach nicht nur Nerstheimer, sondern auch seine Parteioberen kritisierten, kamen aus der AfD die ersten Distanzierungsstimmen. Sie hatten sich schnell erübrigt, da der Politiker bereits am Dienstag schriftlich erklärte, auf eine Mitgliedschaft in der Fraktion zu verzichten. Danach schien die Sache, wie beim Abgeordneten Gedeon in Baden-Württemberg, für die Partei auch schon wieder erledigt – ansonsten müsste sie klare Grenzen definieren.
"Ich bleibe weiterhin Mitglied der AfD", so Nerstheimer im "Tagesspiegel", "und werde wohl in vielen Punkten mit der Partei stimmen."
Wie ueberaus geschickt.
Und wie ueberaus leicht durchschaubar, dieses Manoever.