Einer der wichtigsten Kämpfer für die Gleichstellung von Lesben und Schwulen in Deutschland: Der frühere Bundesanwalt am Bundesgerichtshof Manfred Bruns, Jahrgang 1934, war langjähriges Mitglied im LSVD-Bundesvorstand (Bild: Lesben- und Schwulenverband in Deutschland / wikipedia)
Manfred Bruns analysiert im Interview die Debatte um die Entschädigung der nach 1945 verfolgten Schwulen. Justizminister Maas erklärte unterdessen, sein Gesetzentwurf sei "so gut wie fertig", er plane 30 Millionen Euro ein.
Am Freitagabend wurde ein erstes Detail aus dem geplanten Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas zur Rehabilitierung und Entschädigung der in der Bundesrepublik und DDR verfolgten Homosexuellen bekannt. Insgesamt sollen 30 Millionen Euro dafür aufgewendet werden, erklärte der SPD-Politiker der "Süddeutschen Zeitung". Sein für diesen Monat angekündigter Gesetzentwurf sei "so gut wie fertig".
Den Paragrafen 175 des Strafgesetzbuchs hautnah miterlebt hat der 1934 geborene ehemalige LSVD-Bundesvorstand Manfred Bruns. Als Bundesanwalt am Bundesgerichtshof musste er jahrzehntelang einen Rechtsstaat vertreten, der seine eigene sexuelle Orientierung unter Strafe stellte. Umso nachdrücklicher setzte er sich nach seinem öffentlichen Coming-out für die Abschaffung des Straftatbestandes ein.
Bruns stritt mit Politikern über mögliche Reformen, verfasste Stellungnahmen und verteidigte diese in Anhörungen. 1994 war er am Ziel: Der Paragraf 175 wurde außer Kraft gesetzt und durch eine allgemeine Jugendschutzvorschrift ersetzt, deren Formulierung von Bruns selbst stammte.
22 Jahre später scheint nun auch eine Rehabilitierung der Verurteilten in greifbare Nähe zu rücken. Mit dem Vater der Abschaffung des Paragrafen 175 sprach Philipp Pohlmann über die Ankündigung des Bundesjustizministers, noch in diesem Monat einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen.
Lieber Herr Bruns, wie groß waren Freude und Erleichterung, als der Bundesjustizminister im Mai verkündete, dass diejenigen rehabilitiert werden sollen, die nach 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilt worden sind?
Die Freude war natürlich groß, dass die Rehabilitierung nach 16 Jahren Diskussion nun endlich kommen soll. Aber ob sie jetzt wirklich kommt, ist noch nicht sicher.
Bereits 2002 wurden die in der NS-Zeit ergangenenUrteile gegen Homosexuelle aufgehoben. Mit welchen Argumenten verweigerte die Politik bisher eine Rehabilitierung?
Gegen die Rehabilitierung werden drei Argumente vorgebracht. Wenn sich die Auffassungen über die Strafbarkeit eines Verhaltens änderten, sei das kein Grund, frühere Verurteilungen aufzuheben. Die Verurteilungen nach § 175 StGB seien vom Bundesverfassungsgericht gebilligt worden. Auch dürfe der Gesetzgeber keine rechtskräftigen Urteile aufheben. Das verstoße gegenden Grundsatz der Gewaltenteilung.
Was hat Ihrer Vermutung nach nun zu einem Umdenken geführt?
Der Durchbrunch ist wohl dem Gutachten von Prof. Burgi zu verdanken, das die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Auftrag gegeben hatte. Auch scheinen die bevorstehenden Bundestagswahlen eine Rolle zu spielen. Die Koalition ist zwar weiterhin gegen die Öffnung der Ehe und die gemeinschaftliche Adoption von Kindern durch Lebenspartner, will aber die Lesben und Schwulen nicht ganz enttäuschen. Die Rehabilitierung interessiert die Allgemeinheit nicht.
An dem Eckpunktepapier zur Rehabilitierung kritisieren Sie, dass "Verurteilungen wegen einverständlicher sexuellen Handlungen von Erwachsenen mit Jugendlichen des gleichen Geschlechts zwischen 14 bis 16 Jahren nicht in das Rehabilitierungsgesetz einbezogen werden sollen". Wie hat der Bundesjustizminister auf den Vorwurf reagiert und glauben Sie, dass der Gesetzesentwurf dahingehend vom Eckpunktepapier abweichen wird?
Das Bundesjustizministerium hat geantwortet, dass man unsere Anregung, die Verurteilungen von Erwachsenen wegen einverständlicher homosexuellen Handlungen mit 14- bis 16-Jährigen in die Rehabilitierung einzubeziehen, bei den weiteren Überlegungen und Gesetzgebungsarbeiten beachten werde. Ich gehe deshalb davon aus, dass der Gesetzentwurf entsprechend abgeändert wird.
Könnten diese bisher ausgenommenen Personen – die Verabschiedung des Gesetzes vorausgesetzt – ihre Rehabilitierung später einklagen und wenn ja, hätte dies ihrer Ansicht nach Aussicht auf Erfolg?
Nein. Das gilt aber auch umgekehrt. Gegen die Rehabilitierung kann niemand klagen. Das ist eine verfassungspolitische Frage, die politischen Willen erfordert. Den hatte man bisher leider nicht.
Für die Nicht-Juristen unter uns: Begründet eine Rehabilitierung automatisch einen Anspruch auf finanzielle Entschädigung?
Nein. Auch die von den Nazis verfolgten Homosexuellen sind nach 1945 nicht entschädigt worden.
Das Eckpunktepapier nennt verschiedene Entschädigungsmöglichkeiten. Was wären die Vor- und Nachteile von Individual-, Kollektiv- und Fondsentschädigungen und welche Form würden Sie persönlich befürworten?
Die meisten Betroffenen werden Probleme haben, ihre Verurteilung und Inhaftierung hieb- und stichfest nachzuweisen. Diese Beweisprobleme können deutlich reduziert werden, wenn der Anspruch auf Entschädigung über eine Fondslösung realisiert wird, wie es sich auch in anderen Entschädigungsfällen bewährt hat.
Wie wird die Höhe der Entschädigung bestimmt bzw. welche Summe müsste Ihrem Erachten nach für Entschädigungen zur Verfügung gestellt werden – sei es für einen Fonds oder für Individualentschädigungen?
Die Höhe der Entschädigung steht im Ermessen des Gesetzgebers. Sie sollte über eine symbolische Anerkennung hinausgehen.
Handelt es sich bei der Rehabilitierung eigentlich um eine reine Angelegenheit des Bundes oder sind auch die Länder in irgendeiner Form daran beteiligt?
Das ist zunächst eine Angelegenheit des Bundes. Aber den Bundesländern steht es frei, ergänzende Entschädigungsregelungen zu treffen.
Der Bundesjustizminister hat nun angekündigt, noch im Oktober einen Gesetzesentwurf vorzulegen. Glauben Sie, dass es dieses Mal endlich zu einer Rehabilitierung kommen wird oder sehen Sie noch Hürden auf dem Weg dorthin?
Ich glaube an die Rehabilitierung erst, wenn sie im Bundesgesetzblatt steht. Der bayerische CSU-Justizminister Winfried Bausback hat am 14. September in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" wieder Bedenken angemeldet.
Unser Gastautor Philipp Pohlmann ist Landespressesprecher der NRW-LSU. Sein Interview mit Manfred Bruns erschien zuerst im jüngsten Newsletter des Verbands (PDF).
Da haben wir ja was gemeinsam.
Zudem:
Ohne Massendemos keine Eheöffnung.