Die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) hat auf vielen CSDs für die Rehabilitierung der verurteilten und verfolgten homosexuellen Männer demonstriert (Bild: BISS)
Der Rechtsstaat korrigiert sich selbst, die Schwulenverfolgung wird offizielles Unrecht – das hat eine historische Dimension, auch wenn wir uns eine höhere Entschädigung gewünscht hätten.
Von Manuel Izdebski
Das geplante Rehabilitierungsgesetz von Justizminister Heiko Maas ist ein großer Erfolg für die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS). Ihr und der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist es zu verdanken, dass die Rehabilitierung nun kommt!
Der Kern ihrer Forderung ist erfüllt: Menschen, die bis 1994 nach Paragraf 175 StGB verurteilt wurden, werden vom Strafmakel befreit und erhalten eine Entschädigung, die sie relativ unbürokratisch beantragen können. Auf eine langwierige Einzelfallprüfung wird verzichtet, stattdessen genügt die Glaubhaftmachung der Verurteilung. Nach allem was man zu jetzigen Zeitpunkt weiß, darf die Entschädigung nicht auf Sozialleistungen angerechnet werden und bleibt außerdem steuer- und pfändungsfrei.
Es besteht die Chance, dass der gesamte Bundestag über Parteigrenzen hinweg die strafrechtliche Verfolgung der Homosexuellen in der Bundesrepublik (und der DDR) als begangenes Unrecht anerkennt. Was für ein starkes Signal in der heutigen Zeit, wo reaktionäre Kräfte in unserer Gesellschaft ganz andere Ziele verfolgen und die Uhr zurückdrehen wollen!
Die Opfer wollen ihre Rehabilitierung noch erleben
Manuel Izdebski ist Bundesvorstand der Deutschen AIDS-Hilfe und Mitglied im Facharbeitskreis § 175, den die Senioreninitiative BISS zur fachlichen Begleitung ihrer Kampagne "Offene Rechnung" ins Leben gerufen hat. Auf regionaler Ebene engagiert er sich mit dem Dortmunder Historiker Dr. Frank Ahland für die Aufarbeitung der Homosexuellenverfolgung im Rahmen des Stolperstein-Projektes. (Bild: DAH)
Wir alle hätten uns eine höhere Entschädigung für die Betroffenen gewünscht, aber die Tatsache, dass unser Rechtsstaat sich selbst korrigiert und zigtausend Urteile aufhebt, ist auch ein Wert an sich, den man nicht gering schätzen soll. Die verurteilten Männer, die im Rahmen des Zeitzeugen-Projekts der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld interviewt wurden, haben immer wieder betont, wie wichtig ihnen die Rehabilitierung am Ende ihres Lebens ist. Sie wollen es noch erleben, dass ihre Liebe endlich vom Makel einer Straftat befreit wird!
Das Rehabilitierungsgesetz ist auch deshalb begrüßenswert, weil es den rechtlichen Schlusspunkt der staatlichen Homosexuellenverfolgung vollendet: Der Staat hat den Paragrafen nicht nur abgeschafft, sondern bekennt sich jetzt auch zum Unrecht, das den Männern damit widerfahren ist.
Eine Ablehnung des Gesetzes, weil es nicht alle Forderungen gleichermaßen erfüllt, ist nicht nur töricht, sondern verkennt auch die historische Dimension des Vorhabens. Das Zeitfenster für eine Verabschiedung des Gesetzes schließt sich mit dem Ende der Legislaturperiode. Wenn die Rehabilitierung jetzt nicht kommt, dann wird sie – so fürchte ich – vermutlich nie mehr kommen.
Wir müssen weiterhin am Ball bleiben
Offen bleibt die Forderung einer angemessenen Kollektiventschädigung. Es fehlt eine Wiedergutmachung für die Generation, deren Lebensglück durch den Paragrafen 175 beeinträchtigt wurde. Da lohnt es sich am Ball zu bleiben und für die Zeit nach der Wahl 2017 als Ersatz ein Förderprogramm für schwul-lesbische Altenarbeit einzufordern, um diejenigen kollektiv zu bedenken, die unter dem Schandparagrafen gelitten haben.
Offenbar war das der Knackpunkt für die Zustimmung der Unionsfraktion. So bedauerlich das ist, aber wer hätte vor wenigen Wochen auch nur einen Cent darauf gewettet, dass die Union einer Rehabilitierung überhaupt jemals zustimmen würde? Am Schluss werden alle Beteiligten sich aufeinander zubewegen müssen. Eine einmütige Entscheidung unseres Parlaments wäre ein historischer Meilenstein in der Geschichte der Bundesrepublik.
Die alten Schwulen von BISS haben das dicke Brett der Rehabilitierung erfolgreich zu Ende gebohrt. Andere hatten das längst aufgegeben, obwohl es ihnen gut zu Gesicht gestanden hätte. Die Alten mussten die Angelegenheit erst selbst in die Hand nehmen, um sie zu einem guten Abschluss zu bringen. Dafür gebührt der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren Dank und Anerkennung!
Wenn die §175-Opfer nur 15% dessen bekommen, was unschuldig inhaftierte Heteros bekommen, ist das einzige Signal, dass die §175-Opfer selbst in der Rehabilitierung noch Menschen 2. Klasse sind.
Natürlich mag das juristisch ein anderer Fall sein, aber solche juristischen Spitzfindigkeiten sind für die Konsequenzen irrelevant. Fakt ist: egal ob die Verurteilung wegen eines Justizirrtums geschah oder wegen faschistischer Gesetze - de facto waren alle diese Leute zu Unrecht im Knast. Punkt.
Und die Opfer des §175 hat es sogar noch viel schlimmer getroffen als andere Justizopfer. Denn andere Justizopfer haben nicht nur mehr Entschädigung erhalten, sondern waren danach auch wirklich rehabilitiert. Die §175-Opfer gelten seit Jahrzehnten als vorbestraft und haben oft nie mehr qualifizierte Arbeit finden können oder gar von Sozialhilfe bzw. Hartz-IV leben müssen. Von den körperlichen und psychischen Leiden oder dem Verlust von Familie und Freunden ganz zu schweigen.
Deshalb:
wenn es auch keine juristische Selbstverständlichkeit sein mag, dass die §175-Opfer dieselbe Entschädigung wie andere Justizopfer bekommen, so sollte es dennoch eine moralisch-ethische Selbstverständlichkeit sein.
Dieser Gesetzentwurf ist kein "starkes Signal", sondern diskriminierend, unwürdig und zynisch.