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Der Entwurf im Detail
Paragraf 175: Keine Kollektiventschädigung im Entwurf von Heiko Maas

Die Bundesrepublik hatte den von den Nazis verschärften Paragrafen 175 in ihr Strafgesetzbuch übernommen und bis 1969 unverändert gelassen. Erst 1994 wurde er gänzlich abgeschafft.
- 25. Oktober 2016, 08:25h 4 Min.
Entgegen Medienberichten sieht das "StrRehaHomG" nur einen Ausgleich für die direkt Verurteilten vor – offenbar auf Druck der Union fiel der Justizminister hinter sein "Eckpunktepapier" zurück.
Der am Freitag an alle Bundesministerien zur Abstimmung versandte Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zur Rehabilitierung und Entschädigung von Nachkriegs-Opfern des Paragrafen 175 sieht keine Kollektiventschädigung vor, wie manche Medien unter Verweis auf Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) berichtet hatten.
Mit dem "Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen", das das Kürzel "StrRehaHomG" trägt, sollen alle entsprechenden Urteile nach Paragraf 175 StGB in der Bundesrepublik und nach entsprechenden Paragrafen in der DDR kollektiv aufgehoben werden, solange alle Beteiligten über 14 Jahre alt und die Handlungen freiwillig waren.
Die Aufhebung "schließt alle Nebenstrafen und Nebenfolgen sowie alle Maßregeln der Besserung und Sicherung ein", das betrifft etwa Berufsverbote. Urteile, die weitere Strafrechtsbestimmungen umfassten, werden nach Bedeutung der einzelnen Teile ganz oder teilweise aufgehoben.
Entschädigung auf Antrag
Männer, die nach dem Anti-Schwulen-Paragrafen verurteilt wurden, sollen bei der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft eine Rehabilitierungsbescheinigung beantragen können, für die eine "Glaubhaftmachung einer Verurteilung" ausreicht. Bei Verstorbenen sind dazu auch Ehegatten, Lebenspartner und Verlobte antragsberechtigt – oder eine "Person, mit der der Verurteilte ein Versprechen eingegangen war, eine Lebenspartnerschaft zu begründen". Auch Verwandte, Verschwägerte und Geschwister und notfalls Personen mit einem berechtigten Interesse können den Antrag stellen.
Mit der festgestellten Urteilsaufhebung können gegebenenfalls noch vorhandene Eintragungen im Bundeszentralregister gelöscht sowie ein Antrag auf Entschädigung aus dem Bundeshaushalt gestellt werden. Die Entschädigung – 3.000 Euro pro Urteil und 1.500 Euro "je angefangenem Jahr erlittener Freiheitsentziehung" – steht nur den Verurteilten selbst zu; zum Freiheitsentzug zählen auch durch Urteil erzwungene Aufenthalte in psychiatrischen Krankenhäusern und Erziehungsanstalten. Der Antrag ist innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes beim Bundesjustizministerium zu stellen und muss den Zeitraum des Freiheitsentzugs "nachvollziehbar belegen".

Protest für eine zügige Rehabilitierung und Entschädigung der Betroffenen beim diesjährigen Kölner CSD (Bild: Norbert Blech)
Abgabenfreiheit der Entschädigung noch offen
In dem Schreiben zur Ressortabstimmung wird um Rückmeldung bis zum 2. November gebeten. Außerdem wird noch vorgeschlagen, durch entsprechende Ergänzungen des Entwurfs die Entschädigungen nicht bei der Berechnung von Sozialleistungen und Einkommenssteuer anzurechnen – diese Fragen betreffen u.a. die Zuständigkeit des Finanzministeriums. Den Referentenentwurf, der queer.de vorliegt, will das Justizministerium frühestens am Mittwoch auf seiner Homepage veröffentlichen, vorausgesetzt die anderen Ministerien erheben keine Einwände.
Weder das Schreiben an die Ressorts noch der Gesetzentwurf samt Begründung enthält allerdings einen Verweis auf eine weitere Entschädigungsregelung. Mehrere Medien, darunter die "Tagesschau", hatten am Freitag unter Verweis auf Maas berichtet, das Bundesjustizministerium plane eine Kollektiventschädigung durch Zahlung von 500.000 Euro an die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, als – laut "Tagesschau" – "Zeichen der Verantwortung gegenüber den vielen Betroffenen, die verurteilt wurden und inzwischen gestorben sind". Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatte die gar nicht geplante Kollektiventschädigung am Sonntag in einer Presseerklärung sogar ausdrücklich begrüßt (queer.de berichtete).
Den bislang nicht gedeckten Scheck für die Hirschfeld-Stiftung scheint das Bundesjustizministerium gezielt in den Medien gestreut haben, wobei unklar blieb, ob es sich dabei um eine Kapitalaufstockung, einmalige Zahlung oder Regelförderung handeln solle. Die Pressestelle von Heiko Maas wollte sich mit Verweis auf das laufende Abstimmungsverfahren gegenüber queer.de nicht zum Referentenentwurf äußern.
Der angebliche Betrag von 500.000 Euro hatte zuvor schon für Kritik gesorgt. Die Bundesinteressenvertretung Schwuler Senioren (BISS) hatte etwa bereits vor Monaten einen zweistelligen Millionenbetrag gefordert, da nicht jeder Betroffene seine Verfolgung nachweisen könne und der Paragraf zudem nicht nur die Personen betraf, die verurteilt wurden, sondern ganzen Generationen schwuler Männer das Leben erschwerte (queer.de berichtete).
Kritik der Union wie der Opposition

Bundesjustizminister Heiko Maas hatte die Rehabilitierung der Opfer des Paragrafen 175 jahrelang "geprüft", erst nach einem positiven Rechtsgutachten der Antidiskriminierungsstelle des Bundes kam Bewegung in die Frage (Bild: Stefan Mey)
In einem im Sommer von Maas vorgestellten Eckpunktepapier zum geplanten Gesetz war noch – neben einem zusätzlichen Entschädigungsfonds für Härtefälle – von einer Kollektiventschädigung die Rede (queer.de berichtete). Vermutlich auf Druck der Union dürfte sie der sozialdemokratische Bundesjustizminister aus seinem Referentenentwurf gestrichen haben: Bayerns Justizminister Winfried Bausbach (CSU) fand die Regelungen insgesamt zu weitgehend (queer.de berichtete); Stephan Harbarth, Unions-Fraktionsvize im Bundestag, wollte nur eine Entschädigung in Einzelfällen (queer.de berichtete).
Der nun vorliegende Entwurf hat freilich auch zu Kritik der Opposition geführt: Die Liberalen Schwulen und Lesben forderten u.a. 50 Millionen für eine kollektive Entschädigung in Form einer Kapitalaufstockung der Hirschfeld-Stiftung sowie eine individuelle in Form einer Rente (queer.de berichtete). Jasper Prigge, stellvertretender Landessprecher der Linken in NRW, bemängelte in einem Gastbeitrag auf queer.de u.a., dass Personen nicht berücksichtigt werden, die durch "Rosa Listen" oder Ermittlungen stigmatisiert oder geoutet wurden, ohne verurteilt worden zu sein. Auch der Grünenpolitiker Volker Beck hatte angemerkt, dass schon die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens die Vernichtung der bürgerlichen Existenz und den Verlust des Arbeitsplatzes zur Folge haben konnten. "Deshalb müssen auch Berufs- und Rentenschäden Berücksichtigung finden."

Der Beginn des Referentenentwurfs
Einig scheint sich die Politik immerhin, dass die Kriminalisierung und Verfolgung homosexueller Männer "grundrechts- und menschenrechtswidrig" war, wie es in der Begründung des Gesetzentwurfs heißt. Das Justizministerium schätzt, dass – bei insgesamt rund 69.000 Verurteilungen, von denen noch 2.900 im Zentralregister erfasst seien – noch rund 5.000 Verurteile leben könnten. Es rechnet mit Entschädigungskosten in Höhe von rund 30 Millionen Euro, dazu kämen rund 1,8 Millionen Euro Personal- und rund 450.000 Euro Sachkosten. (nb)















Aus welchem Grund sollen 50 Mio an eine Stiftung gehen, wenn die eigentlichen Geschädigten gerade mal mit 30 Mio rechnen können?
Das ist doch abwegig. Da sollte man viel lieber die Entschädigung für den Einzelnen, je nach Haftdauer oder sonstigen messbaren Beeinträchtigungen, deutlich aufstocken. Ob es dann als Rente ausgezahlt wird oder auf einen Schlag ist unerheblich.