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Werden es Lesben künftig einfacher haben, sich künstlich befruchten zu lassen? (Bild: ZEISS Microscopy / flickr)
- 27. Oktober 2016, 13:03h 3 Min.
Die WHO denkt offenbar darüber nach, Schwulen, Lesben und heterosexuellen Singles den Zugang zu Reproduktionsmedizin zu erleichtern.
Die Weltgesundheitsorganisation könnte laut einem Bericht des britischen "Daily Telegraph" die Definition von "unfruchtbar" ändern, so dass sie auch pauschal Langzeitsingles und Schwule und Lesben umfasst. Bislang hat die WHO mehrere Definitionen veröffentlicht, die sich auf das körperliche Unvermögen von Paaren oder Frauen beziehen, ein Kind zu bekommen.
Nun könnte die WHO den Begriff "Unfruchtbarkeit" auch soziologisch interpretieren: Unfruchtbarkeit wäre demnach bereits das Unvermögen, einen zur Kindszeugung passenden Partner zu finden. An der neuen Definition arbeitet dem Bericht zufolge der kalifornische Arzt Dr. David Adamson. Er wolle mit der Neuregelung "das Recht aller Menschen auf eine Familie" etablieren. Das schließe, so Adamson, ausdrücklich "alleinstehende Männer, alleinstehende Frauen, schwule Männer und lesbische Frauen" ein.
"Diese Neuregelung würde es Menschen ermöglichen, Kinder unabhängig davon zu bekommen, ob sie einen Partner haben oder nicht. Das ist eine radikale Änderung, die den Umgang mit diesem Bereich des Gesundheitsschutzes im Ansatz verändert", so Adamson. Anfang nächsten Jahres würden die neuen Richtlinien an die nationalen Gesundheitsminister gesandt. Noch sind die Details des Textes aber völlig unbekannt. Er hatte vorab für einige Verwirrung gesorgt, weil die WHO "Unfruchtbarkeit" bislang teilweise als "Behinderung" definiert, was für Singles oder Schwule und Lesben als unpassende Begrifflichkeit aufgefasst werden könnte; zugleich führt dieser Begriff aber erst in vielen Ländern zu einer Kostenübernahme im Bereich der Reproduktionsmedizin.
Druck auf Gleichbehandlung wird erhöht
Die Änderung der Definition könnte den Druck auf Länder erhöhen, Singles und Homosexuellen bessere Möglichkeiten für Nachwuchs zu ermöglichen. In der Regel übernehmen die Staaten die Definitionen der Weltgesundheitsorganisation.
Damit könnte in Deutschland etwa lesbischen Frauen der Zugang zu künstlicher Befruchtung frei gemacht werden. Bislang ist die sogenannte In-vitro-Fertilisation nur für heterosexuelle Paare vorgesehen und wird teilweise von der Krankenkasse erstattet. Erst im Januar hatte die Große Koalition die Gleichstellung von Lesben bei der Finanzierung dieser Praxis abgelehnt (queer.de berichtete). Im vergangenen Jahr hatte auch das Finanzgericht Münster die Kosten der Befruchtung einer lesbischen Frau für steuerlich nicht abzugsfähig erklärt. Die Ungleichbehandlung von Homosexuellen sei aufgrund der "unterschiedlichen biologischen Ausgangslage" gerechtfertigt, hieß es im Urteil (queer.de berichtete).
Bei schwulen Männern – ebenso wie bei heterosexuellen Single-Männern – ist der Kinderwunsch komplizierter und praktisch nur durch eine Leihmutterschaft zu erfüllen. Diese ist in Deutschland, wie in den meisten Ländern, allerdings verboten. Eine Änderung dieser Regelung wird von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit aus ethischen Gründen abgelehnt – und wird von den meisten LGBTI-Organisationen auch nicht gefordert.
Die Neudefinition könnte zu einem neuen Kulturkampf führen. Im britischen "Telegraph"-Artikel macht bereits die LGBTI-feindliche christliche Organisation "Comment on Reproductive Ethics" gegen die Neuregelung Stimmung. Josephine Quintavalle, die Gründerin und Chefin von CORE, beschrieb die angeblichen Pläne der WHO als "absurden Nonsens", der den "natürlichen Geschlechtsverkehr zwischen einem Mann und einer Frau" entwerte. (dk)













