Die Teilnehmer der "Demo für alle" gaben sich am Sonntag weniger als "besorgte", denn als diskriminierte Eltern – um das vermeintliche Recht gebracht, ihren Kindern ihre diskriminierende Sicht auf Homo- und Transsexualität ohne Gegenrede beizubringen (Bild: Norbert Blech)
Während ein großes, buntes Bündnis in der Innenstadt für Akzeptanz für LGBT warb, liefen die Homo-Hasser mit weniger Teilnehmern als erwartet durch leere Straßen.
Von Norbert Blech
Es war wie immer harter Tobak, den die "Demo für alle" am Sonntag in Wiesbaden auftischte. Nach etlichen Besuchen in Stuttgart, einem in Hannover und einem Beinahe-Protest in München war die Bewegung aus christlichen Fundamentalisten und konservativen über rechtspopulistischen bis rechtsextremen Propagandisten am Sonntag erstmals in der hessischen Landeshauptstadt zu Gast.
Die schwarz-grüne Landesregierung hatte kürzlich eine Überarbeitung ihrer Richtlinien zur Sexualerziehung (PDF) bekannt gegeben und dabei erstmals die Akzeptanz von LGBTI zum Unterrichtsziel erklärt (queer.de berichtete). Diese "radikalen" Richtlinien habe die Regierung gegen den Wunsch der katholischen Bischöfe und der Eltern des Landes "heimlich" in Kraft gesetzt, meinte Demo-Organisatorin Hedwig von Beverfoerde empört wie immer zum Einstieg ihres Protests.
Hedwig von Beverfoerde heizte den Platz ein, Musik gab es zwischendurch auch
Es ist die bei ihr übliche Verschwörung, es als undemokratisch zu bezeichnen, wenn ein durch Wahlen ins Amt gekommener Minister nach einem Verfahren mit langem Vorlauf und unter Beteiligung aller relevanten Gruppen etwas beschließt, das einem nicht passt. In diesem Fall: "Mit dem Lehrplan sollen alle sexuellen Orientierungen als gleichwertig bezeichnet werden."
Der Platz pfiff und buhte zu dieser grausigen Vorstellung, auch als die in Magdeburg residierende Aktivistin betonte, dass Kinder mit dieser Aufklärung "viel zu früh belästigt" werden: "Die möchten das gar nicht." Sie wisse das, sie sei schließlich Mutter.

Beverfoerde, die die ersten Anti-Bildungsplandemos in Baden-Württemberg aus dem Haus der AfD-Europabageordneten Beatrix von Storch aus organisiert hatte, betonte, im Ländle habe man für eine "Entschärfung" der Pläne gesorgt, in Bayern seien entsprechende Pläne sogar zurückgezogen worden (CSU-Kultusminister Ludwig Spaenle hatte Beverfoerde und die homofeindliche Publizistin Birgit Kelle empfangen und das Inkrafttreten der neuen Richtlinien danach zunächst bis zu einer Überprüfung des Texts offiziell ausgesetzt, queer.de berichtete).
CDU und "Demo für alle" auf Distanz
In Hessen hat Kultusminister Ralph Alexander Lorz (CDU), der sich innerhalb weniger Wochen einem Bombardement von Schreiben entsprechend angestifteter "besorgter Eltern" und einer Online-Petition mit fast 22.000 Unterschriften gegenübersah, freilich die neuen Richtlinien bereits ausdrücklich verteidigt, wie auch CDU-Generalsekretär Manfred Pentz jenen Eltern ausführlich antwortete, warum Akzeptanz, nicht Toleranz das Schulziel sein müsse.
Das ist schon bemerkenswert: Während die CDU in Baden-Württemberg sich vor der letzten Wahl als parlamentarischer Arm der Bewegung gab und sich Spitzenkandidat Guido Wolf gar mit den beiden CDU-Mitgliedern Beverfoerde und Kelle traf, hatte Pentz am Freitag in einem Schreiben an Parteimitglieder gewarnt, dass an der "Demo für alle" Vertreter der AfD und NPD teilnehmen, und gebeten: Um sich "ganz deutlich von den genannten, rechten Parteien abzugrenzen, möchte ich Sie dazu auffordern, sich klar von der 'Demo für alle' zu distanzieren".
Die CDU übt Distanz zur "Demo für alle", ein Novum
Beverfoerde betonte auf dem Platz noch einmal, dass man sich von extremistischen, auch antisemitischen Ideen, Parteien und Gruppen distanziere – in ihrer Auflistung fehlten allerdings Homofeindlichkeit und die AfD. Mitglieder der rechten Partei waren zahlreich vor Ort, auch wenn diesmal keines auf die Bühne gebeten wurde.
Es sei eine "Verleumdung", dass die "Demo für alle" extremistisch oder fundamentalistisch sei, so von Beverfoerde: "Wir sind die Mitte der Gesellschaft". So will die Protestbewegung zumindest offiziell wirken, was ihnen Medien und die Politik in Baden-Württemberg lange abkauften, in Hessen hingegen – trotz Beistand durch Grußwort und Segen vom Fuldaer Bischof Algermissen – eher nicht.
Sexuelle Vielfalt = Relativierung der Ehe
Der nächste Redner sprach dann auch gleich vom "Gift der Gender-Ideologie", mit der Ehe und Familie "relativiert" würden: Manfred Spieker, Professor für Christliche Sozialwissenschaften im Ruhestand und Vertreter des "wissenschaftlichen" Beirats der Homo-"Heiler" vom Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft, beklagte, dass die Verbindung aus Mann und Frau im Lehrplan zu einer Variante verschiedener möglicher Verbindungen "reduziert" werde.
Manfred Spieker meinte, nur Ehe unf Familie sorgten für die "Regeneration" und Zukunft der Gesellschaft
Dass die Schule Jugendliche beim Coming-out unterstützen solle, verletze diese in ihrer Intimsphäre, so Spieker. Schließlich würden 80 Prozent der Kinder, die gleichgeschlechtlich empfinden, als Erwachsene zu ausschließlichen Heteros. Viele ähnlich absurde Thesen, auch über eine "konstruierte" Diskriminierung Homosexueller, hatte er bereits Anfang des Jahres bei einem gut besuchten "Wissenschaftskongress" der "Demo für alle" in Stuttgart zum Besten gegeben (queer.de berichtete).
Mathias von Gersdorff, Frankfurter Aktivist der "Aktion Kinder in Gefahr" und der "Deutschen Vereinigung für eine christliche Kultur", betonte, man protestiere für das Erziehungsrecht der Eltern: "Kinder gehören den Eltern und nicht dem Staat". Man müsse kämpfen, dass "Deutschland nicht zum Gender-Land wird".
Für den fundamentalistischen Aktivisten, der u.a. die Lebenspartnerschaft wieder abschaffen und CSDs verbieten will, ist die Forderung des Elternrats, im Lehrplan den Begriff "Toleranz" statt "Akzeptanz" zu nutzen, ein "Trugschluss": Mit "sexueller Vielfalt", dem eigentlichen Problembegriff, dürfe es keine Toleranz geben. Es versprach, das Thema "jahrelang" weiterzuverfolgen, damit diese Toleranz keine Schule mache. Speziell an CDU-Mitglieder appellierte er, Druck auf die eigene Partei zu machen.
"Selbstbestimmungsrecht der Eltern" statt der Kinder
Für Druck auf die Union sah sich auch Mechthild Löhr zuständig, die Bundesvorsitzende der "Christdemokraten für das Leben". Sie begrüßte die "tolerante Demo" vor sich, die sich "friedlich" gegen die Bildungspläne "wehrt". Worte und Ablehnung können freilich auch Gewalt sein, und die Abtreibungsgegnerin kritisierte allen Ernstes, dass der Staat mit der Schulaufklärung die "Lufthoheit über die Kinderbetten" erlangen wolle.
Bereits der Begriff "Sexualerziehung" sei "übergriffig", so Löhr, die das "Selbstbestimmungsrecht der Eltern" und deren Glaubensfreiheit gewürdigt sehen will. Löhr sprach sich gegen einen "indoktrinierenden" Unterricht aus, in dem "verschiedene sexuelle Orientierungen hinzunehmen" seien. Diese "Randthemen" dürften auch nicht das "Hauptziel" des Unterrichts werden, schließlich wüchsen 75 Prozent der Kinder bei Eltern aus Mann und Frau auf.
Mit Mechthild Löhr war die Union trotz der Bitte um Distanz bei dem Protest vertreten. Auch die Basis soll noch nicht überzeugt sein.
Beverfoerde, die die klassischen homofeindlichen Einpeitscher wie Gabriele Kuby oder Birgit Kelle diesmal offenbar nicht buchen konnte, hatte zwei nicht näher vorgestellte Mütter und Großmütter mitgebracht. Eine Brunhilde Rusch betonte, dass sich Kinder überhaupt nicht für sexuelle Vielfalt interessierten, die ein Angriff auf die durch Gott gegebene Würde des Menschen sei. Ohnehin erwähnte sie gleich mehrfach ihren christlichen Glauben als Antrieb: "Ich weiß, dass Gott bei uns ist. Gott hilf uns, Amen!"
Das Erziehungsrecht liege als "Naturrecht" bei den Eltern, betonte eine weitere "besorgte" Mutter. Eltern sollten sich gegen den "sexuellen Missbrauch" durch Schulaufklärung wehren, mit Leserbriefen, aber auch im persönlichen Gespräch mit Lehrern und Schulleitungen. Andreas Zweininger, Vorsitzender der "Freien Christlichen Schule Wiesbaden", nannte die durch "Lobbyisten" erzwungene "Akzeptanz eines Lebensstils" im Lehrplan verfassungswidrig: "Ein kleines Häuflein Aktivisten lässt die Mehrheit der Gesellschaft nach seiner Pfeiffe tanzen."
Kurze Demo mit rechtem Anstrich
Das kleine Häuflein rechter und fundamentalistischer Aktivisten machte sich danach auf einen nicht mal 15-minütigen Weg – wegen einer Sitzblockade hatte die Polizei die Demo zu einer Miniroute gebeten. Die "Frankfurter Rundschau" machte bei diesem Protest durch drei fast menschenleere Straßen mehrere Teilnehmer der rechtsextremen Partei "Der dritte Weg" aus sowie zu Beginn des Zugs – und in einem Fall als Demoordner – mehrere NPD-Kader.
Teilnehmer der NPD mit eigenem Plakat
Auch die "Identitäre Bewegung", eine Art jugendliche Einschüchterungstruppe der AfD, war wie bei den Stuttgarter Demos mit einem Plakat "Genderterror raus aus den Köpfen" vertreten – nur wenige Meter von Beverfoerde entfernt. Die meisten Demonstranten ließen sich aber schlecht zuordnen: Viele trugen die offenbar hundertfach hergestellten und frei verteilten Schilder der "Demo für alle" in Blau und Rosa. Nachdem bei einem Protest der Bewegung in Hannover vor zwei Jahren nur minimal überklebte AfD-Plakate das Bild dominiert hatten, hatte Beverfoerde das Mitbringen von Parteiplakaten als unerwünscht erklärt.
Am Weg standen immer wieder Gegendemonstranten, die die Polizei trotz Kritik von Teilnehmern der "Demo für alle" mit ihren Slogans gewähren ließ – es herrsche schließlich Meinungsfreiheit. Beverfoerde versprach, man werde nicht nachlassen, solange der Lehrplan nicht zurückgezogen werde: "Wir kommen wieder."
Mehr für Vielfalt auf der Straße als dagegen
Die "Demo für alle" kam nach eigener Schätzung auf 1.900 Teilnehmer, die Polizei schätzte laut "Welt" 700 (nach zuletzt rund 5.000 in Stuttgart) – das ist wenig für einen Protest, für den rechte Medien und Parteien seit Wochen geworben hatten, selbst die Bundes-AfD hatte dazu einen Facebook-Eintrag verfasst. Die Demo hatte sich dazu den eher abgelegenen und kleinen Platz vor dem Kultusministerium ausgesucht und wohl eher eine Inszenierung für Politik und Medien und die wochenlange Hetze und Mobilisierung in rechten Foren zum Ziel denn eine echte Überzeugungsarbeit.
Die Gegenkundgebung kurz vor Abschluss mit dem Rathaus im Hintergrund
Deutlicher um Überzeugung der Menschen ging es dem Aktionsbündnis "Für Akzeptanz und Vielfalt – gegen Diskriminierung und Ausgrenzung", das sich den belebten Platz vor dem Rathaus für seine aufklärende Kundgebung ausgesucht hatte. Dort hatte etwa das immens wichtige und immer immenser angefeindete Schulaufklärungsprojekt Schlau Hessen einen Infostand aufgebaut, um Eltern die Sorgen vor der eigenen Antidiskriminierungsarbeit zu nehmen.
"Respekt vor sexueller Vielfalt ist ein elementarer Bestandteil einer freien, humanen Gesellschaft", sagte Michael Wilk vom Aktionsbündnis in einem Redebeitrag. "Es wird Zeit, dass die Schule ihren Lehrauftrag nachkommt und Hass und Vorurteilen keinen Raum lässt!", meinte Jakob Kirfel vom Stadtschüler*innenrat Wiesbaden. Der Bevollmächtigte für Integration und Antidiskriminierung der Landesregierung, Jo Dreiseitel (Grüne), betonte die Wichtigkeit der Aufklärung. Vom Rathaus des schwulen SPD-Oberbürgermeisters Sven Gerich (der nicht auftrat) wehte dazu die Regenbogenflagge.
Zuvor war das Protestbündnis, das rund 100 Gruppen und Vereine aus der Szene und Stadtgesellschaft umfasste, Evangelische Kirche, GEW oder die Lesben und Schwulen in der Union inklusive, ebenfalls durch die Innenstadt demonstriert und hatte bereits den Platz vor dem Bahnhof mit all seinen Winkeln ausgefüllt. Die Veranstalter rechneten wohl zutreffend mit 2.000 bis 3.000 Teilnehmern.
Die Demo am Vormittag kurz nach dem Start am Hauptbahnhof
Die mit Großlagen selten konfrontierte Wiesbadener Polizei war mit einem zunächst sichtlich nervösen Großaufgebot im Einsatz. Es soll zu kleineren Rangeleien gekommen sein; als an einer Ecke Gegendemonstranten zur "Demo für alle" vordrängen wollten und die Polizei sie zurückdrängte, wurde eine Journalistin der Rundschau verletzt.
Man darf die Hintergrundarbeit der "Demo für alle", die rechte Themensetzung gegen "Gender" & Co. in den Hassspalten des Internets nicht unterschätzen, aber den Tagessieg gegenüber Medien, Bevölkerung und Vernunft dürfte die Akzeptanz-Fraktion eingefahren haben. Insgesamt blieb es friedlich, Wiesbaden hat ein großes, wichtiges Zeichen für Vielfalt gesetzt. Ob die "Demo für alle" wirklich wiederkommt, bleibt offen. Diese sei eine "Demo von einigen gegen viele", hatte es vom Lautsprecherwagen der Gegendemo geheißen.
31.10., 11h: Angaben zu Redner für freie Schule in Wiesbaden korrigiert und ergänzt
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Schön, dass das nur so ein mickriges Häufchen war, von denen die meisten zu dieser Gruppe gehören, die nichts besseres zu tun haben als quer durch Deutschland zu reisen und auf jeder rechten Demo mitzumarschieren.
Aber auch wenn das nur ein paar Hundert Witzfiguren waren, die sich nur blamiert haben, so bleibt es dennoch wichtig, immer und immer wieder genug Gegendemonstranten zu versammeln, um deren Lügen zu entlarven und um zu zeigen, dass sie nicht für die Mehrheit sprechen, sondern nur eine vom Hass zerfressene schrille Minderheit sind.