In einem neuen Interview verteidigt EU-Kommissar Günther Oettinger seine homophobe und rassistische Rede – und verkauft sich als Lesben- und Schwulenfreund.
Von Micha Schulze
Nein, dass er selbst homosexuelle Freunde habe, das kam Günther Oettinger bislang noch nicht über die Lippen. Aber natürlich ist er ein großer Unterstützer der "Gleichgeschlechtlichen", wie der EU-Kommissar lesbische und schwule Menschen nennt.
Nach dem am Samstag veröffentlichten Interview mit der "Welt" hat Oettinger am Sonntag in einem weiteren Gespräch mit dem SWR seine homophobe und rassistische Rede verteidigt. Der CDU-Politiker hatte am vergangenen Mittwoch als Festredner beim 27. "EuropAbend" beim AGA Unternehmensverband in Hamburg unter anderem gegen eine angeblich geplante "Pflicht-Homoehe" gewettert und sich auf Stammtischniveau abfällig über Chinesen ("Schlitzohren und Schlitzaugen") sowie Frauen geäußert (queer.de berichtete).
"Ich habe in meinem ganzen Leben immer bewiesen, dass ich liberal und tolerant bin und dass ich im Grunde genommen für alles offen bin", erklärte Oettinger gegenüber der SWR. "Deswegen habe ich auch in meinen früheren Aufgaben zum Thema Partnerschaft unter Gleichgeschlechtlichen positiv mitgewirkt. Das ist nachweisbar."
Oettinger: Deutschland hat "andere Sorgen" als Homorechte
Der CDU-Politiker Günther Oettinger ist seit 2010 EU-Kommissar in Brüssel, zuvor war er fünf Jahre Ministerpräsident von Baden-Württemberg. (Bild: Mission of Norway to the EU / flickr)
Derzeit habe Deutschland jedoch "andere Sorgen", meinte der EU-Kommissar, der auch Mitglied des CDU-Bundesvorstands ist, und nannte als Beispiele Wettbewerbsfähigkeit, Bildung und Infrastruktur: "Ich habe überhaupt nichts gegen die Ehe unter Gleichgeschlechtlichen. Aber indem wir überall darüber diskutieren und streiten, bleibt keine Zeit für eigentlich andere entscheidende Themen, damit Deutschland und Europa in der dynamischen Welt vorne bleiben können."
Günther Oettinger, der in der "Welt" noch beklagt hatte, "ohne Zusammenhang" zitiert worden zu sein, sieht sich nun als Opfer einer Political Correctness: "Ich glaube, die Grundfrage ist: Wollen wir in der Öffentlichkeit, der Wirtschaft, Gesellschaft, den Medien und in der Politik Redner, die vorher 80-mal abwägen, ob alles passt und jedem passt, oder nimmt man in Kauf, dass jemand auch direkt und frei und auch mal provokativ, vielleicht auch salopp, etwas aussagt. Und ich habe eigentlich immer die Haltung gehabt, dass ich, ohne jemanden beleidigen zu wollen, die Dinge zuspitze, auf den Punkt bringe, um auch die, die zuhören, ein bisschen wachzurütteln."
An einen Rücktritt denke er nicht, stellte der CDU-Politiker im SWR klar: "Ich bin mir sicher, dass ich durch meine Arbeit überzeugen kann. Ich bin dabei, mich voll in die komplexen Haushaltsprobleme Europas für die nächsten Jahre einzubringen, und ich will weiterhin Deutschland in der Kommission gut vertreten."
Heftige Kritik von Grünen, Linken, SPD und LSU
Der 63-Jährige war am Wochenende von Politikern der Grünen, Linken und SPD scharf kritisiert worden. Volker Beck nannte Oettinger wegen seiner Angst vor einer "Pflicht-Homoehe" etwa einen "Wahnwichtel". "Die Äußerungen von Herrn Oettinger sind homophob und rassistisch und sie entsprechen nicht dem, was ein EU-Kommissar leisten muss", erklärte auch Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) am Sonntag. "Wir haben genug Rechtspopulismus in der EU, da muss Herr Oettinger nicht auch noch diesen Job machen". Der EU-Kommissar dürfe seine Äußerungen "nicht kleinreden", forderte Schwesig.
Aus der Union hatte sich der LSU-Vorsitzende Alexander Vogt "entsetzt" über die Rede des Parteifreunds gezeigt und "eine Entschuldigung ohne Wenn und Aber" gefordert (queer.de berichtete).
Günther Oettinger ist seit 2010 EU-Kommissar in Brüssel, zunächst für Energie, seit 2014 für digitale Wirtschaft. Im kommenden Jahr soll er zum einflussreichen Haushaltskommissar aufsteigen. Vor seinem Wechsel nach Brüssel war der CDU-Politiker von 2005 bis 2010 Ministerpräsident von Baden-Württemberg.
Anders als sein Nachfolger Stefan Mappus war der 63-Jährige in seiner Stuttgarter Amtszeit zwar nicht mit homophoben Tiraden aufgefallen, allerdings auch nicht mit einem Einsatz für LGBTI-Rechte. 2005 hatte Oettinger als erster Ministerpräsident im Ländle ein Grußwort für den Stuttgarter CSD verfasst, danach allerdings wegen eines internen Streits in der Südwest-CDU eine Wiederholung und jeden weiteren Kontakt mit den CSD-Organisatoren abgelehnt (queer.de berichtete). In Günther Oettingers Amtszeit mussten sich schwule und lesbische Paare unter anderem in Kfz-Zulassungsstellen verpartnern.
Herr Oettinger, dann bringen Sie doch Ihre Partei dazu, dass sie damit aufhört, die Einführung der Ehe für alle müsse jahrzehntelang sorgfältig "abgewogen"
werden.
Zumal das schon längst passiert ist. Tun Sie's einfach.