Mit einem überraschend deutlichen Bekenntnis zur Vielfalt hatte sich Merkel am Mittwoch von Donald Trump abgegrenzt (das Bild zeigt sie bei einem früheren Termin.)
Nach dem LGBT einbeziehenden Grußwort der Kanzlerin an Donald Trump fordert der LSVD, endlich den Diskriminierungsschutz des Grundgesetzes zu erweitern.
Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aufgefordert, sich für eine Erweiterung des Diskriminierungsschutzes des Artikels 3 des Grundgesetzes um das Merkmal "sexuelle Identität" einzusetzen. "Frau Kanzlerin, wir nehmen Sie beim Wort!", schrieb der Verband in einer Pressemitteilung in Anspielung auf ein weit verbreitete und gelobte Stellungnahme der Kanzlerin zum Wahlsieg des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump.
"Deutschland und Amerika sind durch Werte verbunden: Demokratie, Freiheit, dem Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung", hatte die Kanzlerin am Mittwoch gesagt (queer.de berichtete). "Auf Basis dieser Werte biete ich dem künftigen Präsidenten eine enge Zusammenarbeit an."
Die kurze Stellungnahme hatte bei LGBT-Aktivisten für Verwunderung gesorgt – eine solche inklusive Botschaft, die die Vielfalt der Gesellschaft bejaht und verteidigt, hatte man von Merkel bislang nicht vernommen. Als sie 2012 bei einer Andacht vor den Angehörigen der Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" sprach, hatte sie etwa bei einer Auflistung der Vielfalt des Landes Homosexuelle, eine Hauptopfergruppe von Nazis und Neonazis, nicht erwähnt (queer.de berichtete). Auch ausgerechnet nach dem Anschlag auf den LGBT-Club "Florida" war die Kanzlerin in einer Stellungnahme nicht direkt auf LGBT eingegangen (queer.de berichtete) und hatte erst nach tagelanger Kritik mit einer weiteren Stellungnahme reagiert (queer.de berichtete).
Leben ohne Angst und Vorurteile
Lernt die Kanzlerin dazu? "Wir freuen uns sehr", schreibt jedenfalls der LSVD, "dass Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Erklärung an Donald Trump auch betonte, dass die Menschenwürde und der Respekt vor dem Recht des Einzelnen für alle Menschen Geltung habe und die sexuelle Orientierung kein Ausschluss sein darf. Es geht jetzt darum, dass unsere freiheitlich demokratische Gesellschaft es auch zukünftig allen Menschen ermöglicht, jederzeit und an jedem Ort ohne Angst verschieden sein zu können."
Deshalb fordert der LSVD, Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes, also den Schutz vor Diskriminierung, endlich um das Merkmal "sexuelle Identität" zu erweitern: "Damit wir auch in Deutschland davon sprechen können, dass niemand aufgrund seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden darf." Der Missstand, dass Lesben, Schwule, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI) weiter nicht im Grundgesetz berücksichtigt sind, wirke "sich immer noch entscheidend auf die Lebenssituation von LSBTI in Deutschland aus", so der LSVD. "Besonders trans* und intergeschlechtliche Menschen sind im Alltag und im Umgang mit Behörden häufig mit Vorurteilen und Anfeindungen konfrontiert."
Der Verwand verwies weiter auf die fehlende Ehe-Öffnung für schwule und lesbische Paare und betonte: "Wir meinen, dass gerade in unserer heutigen pluralistischen Gesellschaft die Festlegung im Grundgesetz besonders wichtig ist, dass Minderheiten die gleichen Rechte haben und von der Mehrheitsgesellschaft nicht diskriminiert und benachteiligt werden dürfen. Denn bedroht und gefährdet ist nicht die Mehrheitsgesellschaft, bedroht und gefährdet sind die Minderheiten, darunter auch die Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtlichen Menschen."
Traurige rechtliche Realität
Abseits von Artikel 3 findet sich das Merkmal "sexuelle Orientierung" auch nicht ausdrücklich im vor einem Jahr beschlossenen Gesetz gegen Hasskriminalität, in von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) mit Vertretern von sozialen Netzwerken entwickelten Richtlinien gegen Hassbotschaften und auch nicht im Volksverhetzungsparagrafen, trotz manchem Wahlversprechen.
Im letzten Jahr hatte Merkel einem Schüler gesagt, dass sie sich bei der Ehe für alle "jetzt nicht verbiegen" müsse
Merkel hatte die letzten Jahren die Erweiterung von Rechten für Lebenspartnerschaften, etwa bei der Einkommenssteuer, öffentlich solange abgelehnt, bis sie jeweils vom Bundesverfassungsgericht durchgesetzt wurden. Im letzten Jahr hatte sie sich in mehreren Interviews gegen eine Ehe-Öffnung und gegen ein gemeinschaftliches Adoptionsrecht für Homo-Paare ausgesprochen (queer.de berichtete); beide Projekte werden von der Großen Koalition nicht angegangen und entsprechende Initativen der Opposition und des Bundesrats blockiert und vertagt (queer.de berichtete).
Dennoch ist es sinnvoll, wie der LSVD auf den Widerspruch hinzuweisen. Allerdings habe ich den Eindruck, dass die Strahlkraft in die breite Öffentlichkeit nicht sonderlich groß ist. Mir ist bislang kaum mal ein Bericht - jenseits der queeren Medien-Filterblase - aufgefallen, in dem auch nur ansatzweise auf die Forderungen des LSVD eingegangen wird. Liegt es an der (unzureichenden) Öffentlichkeitsarbeit des LSVD, am Desinteresse/der Ignoranz der Mainstream-Medien, an beidem oder an etwas völlig anderem? Keine Ahnung. Jedenfalls bezweifle ich stark, dass überhaupt irgendjemand außer uns davon Notiz nehmen wird. Stattdessen wird die Forderung leider mal wieder hoffnungslos im Rauschen des journalistischen Pressewalds untergehen.