Über 60.000 HIV-Positive werden laut den nun veröffentlichten Zahlen in Deutschland mit antireroviralen Medikamenten behandelt (Bild: flickr / bark / by 2.0)
Auch 2015 steckten sich hierzulande 3.200 Menschen mit HIV an. Um die Zahlen zu senken, müsse endlich die Pille zum Schutz vor HIV auf den deutschen Markt kommen, fordert die Aids-Hilfe.
Die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland und bei Menschen deutscher Herkunft stagniert 2015 laut einer am Montag veröffentlichten Schätzung des Robert-Koch-Instituts wie in den Vorjahren bei 3.200. Auch der Anteil der Männer, die sich beim Sex mit Männern infiziert haben (MSM), liegt mit 2.200 Infektionen unverändert – betrachtet man die letzten zehn Jahre, ist die Entwicklung sogar leicht rückläufig. Trotzdem machen MSM weiterhin gut zwei Drittel aller Fälle aus. 750 Infektionen wurden laut diesen Zahlen auf heterosexuellem Wege übertragen, 250 bei intravenösem Drogenkonsum. Im Jahr 2015 gab es geschätzte 460 Todesfälle bei HIV-Infizierten. Diese Zahlen stellte das RKI in seinem "Epidemiologischen Bulletin" (PDF) vor.
Demnach lebten Ende 2015 rund 84.700 Menschen in Deutschland mit HIV. 54.100 von ihnen sind Männer, die sich beim Sex mit Männern angesteckt haben. Das entspricht einem Anteil von 64 Prozent. 9.000 dieser Männer wissen der Schätzung zufolge noch nichts von ihrer Infektion.
"HIV/Aids ist weiterhin ein Gesundheitsrisiko in Deutschland", betonte RKI-Präsident Lothar H. Wieler anlässlich der Schätzung. Er begrüßte aber, dass die Zahlen seit Jahren stabil seien: "Das ist eine auch im Vergleich zu vielen anderen Staaten positive Nachricht, aber andererseits ist der ausbleibende Rückgang ein Beleg dafür, dass die HIV-Präventionsstrategie der Bundesregierung weiterhin konsequent umgesetzt werden muss", unterstreicht Wieler. Die Zahlen sind zirka halb so hoch wie die Schätzungen aus Frankreich oder Großbritannien, obwohl die Einwohnerzahl in diesen Ländern geringer ist als in Deutschland.
Verbesserte Erfassung führt zu mehr Neudiagnosen
Im August hatte das RKI in seinem "Infektionsepidemiologischen Jahrbuch" von einer höheren Zahl der tatsächlich gemeldeten HIV-Neudiagnosen berichtet, ebenso wie von einem Anstieg bei Syphilis (queer.de berichtete). Diese Zahlen für 2015 richten sich, anders als die aktuell vorgelegte Schätzung, nach dem Zeitpunkt der Diagnose.
Die Zunahme sei auf eine verbesserte Erfassung der HIV-Positiven zurückzuführen, heißt es im aktuellen "Epidemiologischen Bulletin". Außerdem steigerten die verbesserten Testangebote die Zahl der Schwulen und Bisexuellen, die sich testen ließen. Ein dritter Grund für den Anstieg bei Diagnosen sei ein Anstieg der im Ausland erworbenen Infektionen, die zwar hier diagnostiziert werden würden, aber nicht in die Berechnung der HIV-Neuinfektionen aus Deutschland einfließen würden.
Aids-Hilfe fordert PrEP
Für die Deutsche Aids-Hilfe ist der stabil niedrige Wert der HIV-Neuinfektionen ein Erfolg der Präventionsarbeit. "Die Zahl könnte aber noch niedriger sein", schränkte Vorstandsmitglied Sylvia Urban ein. "Denn zurzeit sind einige hoch wirksame Maßnahmen zur Vermeidung von HIV-Infektionen in Deutschland nicht zugänglich. Wer Neuinfektionen senken will, muss alle wirksamen Mittel verfügbar machen!"
Als wichtigstes nicht genutztes Instrument nannte Urban die Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP), also die vorbeugende Einnahme eines Medikamentes durch gefährdete HIV-Negative. Die Europäische Kommission hatte im August die Einführung des derzeit einzigen PrEP-Mittels Truvada auf Antrag der Pharmafirma Gilead Sciences bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur zugelassen (queer.de berichtete). In Deutschland gibt es allerdings über die Finanzierung bislang keine Einigung, wie Urban beklagte: "Der zuständige Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen äußert sich nicht, der Hersteller Gilead beharrt auf dem hohen Preis von über 800 Euro pro Monat. Die Folge sind vermeidbare HIV-Infektionen."
Andere Länder sind in dieser Frage schon weiter: So hat Norwegen vergangenen Monat angekündigt, PrEP künftig kostenlos Personen mit erhöhtem HIV-Risiko anzubieten (queer.de berichtete).
Des weiteren setzt sich die Deutsche Aids-Hilfe dafür ein, dass in deutschen Haftanstalten saubere Spritzen verfügbar sein sollten, um HIV- und Hepatitis-Übertragungen von Häftlingen zu senken, die intravenös Drogen konsumierten. Zudem seien weitere anonyme Angebote für HIV-Tests notwendig. (dk)