Asexuelle Aktivisten beim World Pride 2014 in Toronto (Bild: Ben Meisner)
Der Verein AktivistA widerspricht dem Psychologen Guido Gebauer, der Asexualität in vielen Fällen für ein Missverständnis hält.
Von Carmilla DeWinter und Marcel Schwalb (AktivistA)
Mehr als 40 Prozent der asexuellen Menschen sind in Wirklichkeit gar nicht asexuell, sondern sie verwechseln Asexualität mit sexuellen Problemen oder fehlenden sexuellen Gelegenheiten – dies behauptet zumindest der Hannoveraner Psychologe Guido Gebauer in einer Studie (queer.de berichtete). Der ihr zugrundeliegende Online-Test ist jedoch weder repräsentativ noch erfüllt er wissenschaftliche Standards. Wir haben uns deshalb zu dieser Gegenrede entschlossen.
Dass Außenstehende die Selbstbeschreibung von Menschen aus dem asexuellen Spektrum anzweifeln, ist nicht neu – wie andere Minderheiten sind wir beim Coming-out nicht nur der Angst ausgesetzt, dass wir aufgrund eines neu aufgedeckten sexuellen Minderheitenstatus vielleicht nicht mehr geliebt werden, sondern müssen gleichzeitig die andere Person davon überzeugen, dass das Phänomen tatsächlich existiert.
Wir gehen auch davon aus, dass Menschen sich nicht ohne Not und vorherige Selbsterforschung als zum asexuellen Spektrum gehörig beschreiben. Wenige sortieren sich aus Lust und Laune außerhalb der Heteronorm ein. Eine Selbstbeschreibung als asexuell ist häufig schambehaftet und kann zu erheblicher Verzweiflung führen.
Wenn ein Online-Test Fragenden Hilfestellung geben möchte, ist das zuerst ein äußerst löbliches Ziel. Er wird von manchen sicher gern angenommen, scheint es doch einfacher, ein Dutzend Fragen zu beantworten, statt seitenweise Erfahrungsberichte in einschlägigen Foren zu lesen oder sich in den sozialen Medien durch Postings mit mehr oder weniger vielen neuen Begriffen zu wühlen. Nun sollte in diesem Fall die Hilfestellung fundiert und in der Beratung verantwortlich geschehen.
Das Ringen um eine Definition von Asexualität
Für Asexualität gibt es mehrere Erklärungsansätze. Am weitesten verbreitet ist die Definition von asexuell als "fühlt keine sexuelle Anziehung". Diese Erklärung wird von AVEN, einem Netzwerk für asexuelle Menschen, nicht nur im englischsprachigen Raum benutzt. Auch Anthony Bogaert, der wissenschaftliche Pionier im Forschungsbereich Asexualität, unterstützt diesen Ansatz. Dies würde Asexualität zu einer sexuellen Orientierung machen. Die deutschsprachige Asexuellen-Community fand die Beschreibung einer Abwesenheit nicht optimal, deswegen prangt seit zehn Jahren auf der Startseite des deutschsprachigen AVEN-Forums: "kein Verlangen nach sexueller Interaktion".
Die Community hat sich darauf geeinigt, dass keine Einigkeit hergestellt werden kann – beide Erklärungen sind akzeptabel, beide sind keine Vorschrift dafür, dass sexuelle Aktivitäten mit anderen Personen auf keinen Fall stattfinden dürfen. Und was jemand allein tut, ist sowieso außen vor. Eine allgemeingültige Definition von Asexualität liegt also gegenwärtig weder in der Wissenschaft noch im Selbstverständnis Asexueller vor.
Auch Guido Gebauer schreibt: "Asexualität ist noch kein in der Wissenschaft einhellig akzeptierter und übereinstimmend definierter Begriff." Danach beginnt er allerdings, ein Bild von Asexualität zu entwerfen, das im Gegensatz zu allen anderen uns bekannten Quellen ausschließt, dass "echte Asexuelle" sich selbst befriedigen dürfen. Wer also sexuelles Verlangen ohne Ziel spürt, ist dieser Definition zufolge nicht asexuell. Aufgrund dessen und der verwendeten Sprache hat Gebauers Erhebung für Menschen, die Hilfe suchen, wenig praktischen Wert und verunsichert mehr als sie hilft.
Unsicherheiten und Ausschlusskriterien im Online-Test
Grundsätzlich maßt sich die Test-Auswertung eine klare Aussage über die vorhandene oder nicht vorhandene Asexualität der Teilnehmenden an, obwohl eine einheitliche Definition nicht existiert und die Überlappungen schnell in Graubreiche fallen.
Es sei angemerkt, dass ein mehr oder weniger unbewusster Widerstand gegen Sex durchaus zu Potenzproblemen, Orgasmusschwierigkeiten, Schmerzen und anderen Problemen führen kann. Die gemessenen dreizehn Prozent "sexuelle Funktionsstörungen" können also durchaus mit Asexualität überlappen. Wahrscheinlich ekeln sich auch manche Menschen vor Sex mit Menschen, die sie nicht sexuell anziehend finden – und asexuelle Menschen finden eben niemanden anziehend. Eine klare Abgrenzung von Ekel und Asexualität ist also auch nicht möglich.
Hinzu kommt, dass der Test sich explizit an Menschen wendet, die Rat suchen und sich auf dem Gebiet noch nicht auskennen. Trotzdem zwingt er diese unsicheren Menschen, sich zu verorten, da er bei der aktuellen Einschätzung kein "Ich weiß nicht" zulässt. Wer die zahlenmäßige Auswertung liest, findet denn auch heraus, dass die Fehlerquote vor allem durch Menschen zustande kam, die sich "eher" als asexuell einschätzten. Menschen, die sich also sowieso nicht sicher waren und sich wahrscheinlich noch nicht als asexuell geoutet hatten.
Dass durch diese Faktoren eine hohe "Fehlerquote" vorliegt, ist zwangsläufig gegeben. AktivistA bedauert, dass dieser Unsicherheitsfaktor in den Pressemeldungen unterschlagen wurde. Aus derlei undifferenzierten Texten lässt sich unglücklicherweise ein Generalverdacht gegenüber als asexuell geouteten Menschen ableiten, dass sie zu einem großen Anteil nur ratlos seien und professionelle Hilfe bräuchten. Wir empfinden dies für unsere Arbeit als nicht besonders förderlich.
Die Erhebung von Guido Gebauer ist weder repräsentativ noch sind die Ergebnisse in ihrer einnehmenden Definitionsmacht für uns nachvollziehbar. Für Menschen, die sich selbstsuchend mit dem Thema Asexualität auseinandersetzen, ist sein Online-Test keine Hilfe. Stattdessen empfehlen wir zur Informationssuche das AVEN-Portal, welches bereits seit 15 Jahren fundierte Kenntnisse über das asexuelle Spektrum vermittelt.
Der Verein AktivistA setzt sich seit 2012 für die Sichtbarmachung und Aufklärung zum Thema Asexualität in der Gesellschaft ein. Er organisiert regelmäßig und ehrenamtlich Veranstaltungen, Informationsstände, Vorträge und Interviews über Asexualität und das asexuelle Spektrum.
Ich empfinde die Kritik als unberechtigt. Habe den Test gerade durchgeklickt. Bei der Frage ob man Schmerzen beim Sex hat sowie bei der Frage ob man sich vor Sexualität ekelt, gibt es immer die Möglichkeit "Ja, aber Sexualität interessiert mich nicht und deshalb belastet es mich nicht" auszuwählen. Wer angibt dass er Sex um seinerselbst will, einen Orgasmus dabei anstrebt und sich regelmäßig selbstbefriedigt, gilt vielleicht unter dem amerikanischen AVEN als "sex-postiv" Asexuell. Dann fehlt eben nur die "sexuelle Anziehung". Leider kann man das nicht sauber subsumieren, da ein Asexueller schon per Definition gar nicht wissen kann was das ist. Da diese Anziehung eine rein emotionales Erleben beschreibt kann man deren Existenz ja niemanden ansehen. Das fällt höchstens auf, wenn jemand sehr auf visuelle Reize reagiert und deshalb sagt andere "heiß" zu finden. Dabei zwischen ritualisiertem Sozialverhalten und tatsächlich autentischer Gefühlsäußerung zu unterscheiden ist mir da kaum/gar nicht möglich.
Aus meiner Warte: Ich war nie verliebt, hatte nie das Bedürfnis Sex zu habe. Ich musste 20 werden um überhaupt zu wissen, wo genau mein Vaginalgang sich befindet und er kommt mir so überflüssig vor wie mein Blinddarm. Erst durch andere habe ich mich mit Sexualität auseinandergesetzt und habe eine Art theoretisches Verständnis davon entwickelt. Erfahrungswert aus meiner Sicht ist dabei vor allem, dass man Frauen auf ein sexuelles Erweckungungserlebnis verweist. Die Vorstellung ich bräuchte einen Mann der mir meinen weiblichen Körper erklärt kommt mir schon absurd vor, allerdings wird es dann noch seltsamer mir vorzustellen sexuelle Handlungen von anderen an mir vornehmen zu lassen in der Hoffnung meine Gefühlswelt damit auf den kopfgestellt zu bekommen. Mein armer dafür ausgewählter Sexualpartner kann so einer immensen Erwartungshaltung wohl kaum gerecht werden. Vor allem wäre das ganze für mich ja genauso, als würde ich mir eine Massage oder einen Tantrakurs buchen. Da ich niemanden erotisch finde ist die Wahl der Person ja ziemlich egal und das Massagen im gutdurchbluteten und mit reichlich Nervenzellen ausgestattet Genitalbereich intensiver wahrgenommen werden als am Oberarm wäre mit Sicherheit auch bei mir der Fall. Jetzt könnte ich sagen, hier ist der Unterschied: Für mich ist es rein körperliche Stimulation welche mir in Aussicht gestellt wird. Deshalb ist mein Interesse daran vermutlich auch nicht vorhanden. Für andere ist es mehr, da sie ihr Gegenüber erotisch finden, Sexualität eine Art körperliche Kommunikation ist und dadurch viele zusätzliche Anreize entstehen.
Die meisten Asexuellen sind aber auch Romantiker. Dadurch ergibt sich das Konzept "sex-positiv"+Romantisch (also eine emotionale auf optische und geschlechtsspezifische Marker anspringende Anziehung), wie zB diese junge Frau hier, die glaube ich auch bei AktivistaA aktiv ist, und mal bei hyperbole (YouTube Kanal) in der Reihe "Frag ein Klischee" aufgetreten ist:
www.blogarama.com/blogs/600355-handyfeuerzeug-blog/8815796-a
sexualitat-und-spass-sex
m.youtube.com/watch?v=wjbEQZudE2s
Da Frage ich mich: Wird hier nicht einfach sexuelle Anziehung in emotionale Anziehung umettiketiert?
Oder noch kontroveser, handelt es sich einfach um einen wegeleugneten Gleschlechterunterschied? Immerhin 80% der Asexuellen sind Frauen. Es ist nur eine These, aber wenn sexuelle Anziehung nur die Fixierung auf visuelle Reize beschreibt, dann wäre ja klar das viele Frauen rausfallen. "50 Shades of Grey", andere Erotikromane oder Fanfiktions ohne Bilder sind unter Frauen ja auch populärer als Pornos und Magazinen mit Erotikbildern, Frauen werden in der Werbung auch verhältnismäßig selten mit nackten Männern angeworben. (Eher mit Babykatzen ...) Möglich ist es das ausschließlich mit Sozialisation zu erklären. Ich stelle auch die Möglichkeit in den Raum, dass ich von mir selbst auf andere schließend die Sexualität von Frauen kleinrede. Geh ich aber von dem äußeren Verhalten aus komme ich zum Eindruck, dass eine Mehrheit der Frauen diese Art der romantisch sex-positiven "Asexualität" erleben. Zumindest ist es als Frau weder tabu noch revolutionär eine geringe Libido zu haben und Sex von "Liebe" abhängig zu machen. Der Terminus "Asexuell" kommt mir da deplatziert und unsinnig vor.