Regisseur Patric Chiha hat eine Gruppe von bulgarischen Roma, die als Sexarbeiter für schwule Männer in Wien leben, mit der Kamera begleitet (Bild: Edition Salzgeber)
Jetzt auf DVD: Patric Chiha porträtiert in seiner Doku "Brüder der Nacht" osteuropäische Roma, die sich in Wien prostituieren, und vermischt dabei Sozialstudie mit homoerotischem Fiebertraum.
Von Carsten Moll
Das "Café Rüdiger" im Wiener Bezirk Margareten ist laut eigenen Angaben eine "charmante Bar, in der sich Anbieter und Investoren finden". Zu diesen "Anbietern" gehören auch Stefan, Yanko, Nikolay, Asen und Vassili. Die jungen Männer sind allesamt bulgarische Roma, die fernab der Heimat etwas Geld verdienen wollen und so zu Strichern wurden.
Während in Bulgarien Frau und Kinder auf finanzielle Unterstützung warten, vertreiben sich Yanko und seine Jungs die freie Zeit in Wien mit Alkohol, Billard und natürlich Puffbesuchen. Denn auch wenn sie Abend für Abend ins Rüdiger kommen, um gegen Entlohnung mit älteren Österreichern Sex zu haben, so würde sich wohl keiner von ihnen als schwul bezeichnen. Manche der Roma lassen gerne den knallharten Macho raushängen, während andere von der großen Liebe mit dem Nachbarmädchen aus Bulgarien träumen. Und doch kommt es auch zwischen den Männern selber immer wieder zu zärtlichen Annäherungen sowie intimen Momenten.
Fakt und Fiktion verschwimmen
Die Edition Salzgeber hat "Brüder der Nacht" auf DVD veröffentlicht
Von der ersten Szene an gibt der Film von Patric Chiha ("Boys Like Us") Rätsel auf: Die Dialoge wirken lebensecht, die Protagonisten sind keine Schauspieler und geben dem Team hinter der Kamera immer wieder Interviews – und trotzdem erscheint "Brüder der Nacht" nicht wie ein typischer Dokumentarfilm. Während manche Szenen wie aus dem Leben gegriffen sind, sind andere anscheinend gespielt. Chihas Inszenierung lässt allerdings nie klar erkennen, wo die Grenze verläuft. Fakt und Fiktion werden so zu einer untrennbaren Einheit.
Für zusätzliche Irritation sorgt zudem der muntere Einsatz filmischer, ja mitunter theatralischer Mittel. Neben dem präsenten Soundtrack lässt vor allem die künstlerische Beleuchtung das Geschehen ins Surreale gleiten: Leuchtendes Blau und Rosa machen aus der Sozialstudie, die "Brüder der Nacht" im Kern ist, einen homoerotischen Fiebertraum zwischen Fassbinder und Kenneth Anger – Matrosen und Motorradfahrer inbegriffen.
Das Konzept, dem Chiha hier folgt, ist durchaus gewagt und doch überzeugt das Ergebnis dieses filmischen Grenzgangs. Denn "Brüder der Nacht" vermeidet nicht bloß gekonnt Klischees des Doku-Genres, sondern lässt außerdem seine aus angespannten Verhältnissen stammenden Figuren fernab von Verklärung oder mitleidigem Pathos schillern.
Infos zur DVD
Brüder der Nacht. Dokumentarfilm. Österreich 2015. Regie: Patric Chiha. Laufzeit: 88 Minuten. Sprache: deutsch-bulgarische Originalfassung. Untertitel: Deutsch. FSK 16. Edition Salzgeber