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Von Abu Nawas bis Abdellah Taïa
Queer in der arabischen Welt – kein Gegensatz

Homoerotische Dichtung hat im Islam eine lange Tradition
- 20. Dezember 2016, 12:11h 4 Min.
Im Rahmen der Hirschfeld-Tage referierte Yara Mayasa am Montag in Erfurt über die lange Tradition von Homosexualität in der arabischen Literatur und im arabischen Film.
Von Sebastian Weise
Homosexualität in der arabischen Welt – auf den ersten Blick scheinbar ein gegensätzlicher Satz, welcher in uns, das heißt in uns Europäern und Europäerinnen, die schlimmsten Assoziationen hervorruft: Ausgrenzung, Verfolgung, Gefängnis, Mord.
Dabei spielt Homosexualität in der arabischen Kultur schon seit Jahrhunderten eine wichtige Rolle. Um eben dies zu belegen, war die syrisch-türkische Aktivistin Yara Mayasa am Montag im Rahmen der Hirschfeld-Tage in Erfurt zu Gast. Ihr Vortrag im Studentenzetrum Engelsburg ist eine Reise durch die arabische Literatur und den arabischen Film.
Mayasa nimmt Bezug auf die Knabenliebe im antiken Ägypten, verweist auf Sex als religiösen Akt in den antiken Tempeln und bringt dem interessierten Publikum den arabischen Dichter Abu Nawas, der schon im achten Jahrhundert homoerotische Gedichte schrieb, näher.
Dann macht sie einen Sprung ins 20. Jahrhundert, berichtet Buch für Buch, wie negativ über Schwule und Lesben geschrieben wird. Auch die frühen Werke des ägyptischen Schriftstellers und Literaturnobelpreisträger Naguib Mahfouz bleiben von dieser Kritik nicht verschont. Ein Lichtblick ist, dass in der neueren arabischen Literatur die Natürlichkeit von Homosexualität betont wird. Dass dem Verständnis von Homosexualität als Krankheit, als Sexsucht und auch als Schande für die Familie widersprochen wird.
Die angebliche Sexsucht der Homosexuellen im Film
Gleiche Vorgehensweise setzt Yara Mayasa für die von ihr ausgewählten Filme fort. Sie gibt Beispiel für Beispiel, zeigt Trailer und verweist darauf, dass gerade Filme mit queerem Inhalt stark zusammengeschnitten werden. Doch auch hier überwiegt das negative Homosexuellenbild. Eine angebliche Sexsucht, die auch vor Vergewaltigungen nicht haltmacht, bestimmten die Filme "When there is a better time" und "Undercover the hidden".
Dabei spielt die Ausnutzung von Lesben und Schwulen, mal untereinander, mal von Heterosexuellen, eine gewichtige Rolle. Als Beispiel führt Mayasa den Film "Family Secrets" an, hier spielen Ausnutzung und Vergewaltigung in der Familie die zentrale Rolle. Die Frage, ob solche Filme das Vertrauen innerhalb der arabischen LGBTI-Community beeinflussen, bleibt offen.

Yara Mayasa bei ihrem Vortrag in Erfurt (Bild: Sebastian Weise)
Mayasa stoppt, sie fasst kurz zusammen und zieht einen Vergleich, der in die Frage gipfelt: Wieso es vor Hunderten von Jahren eine stärkere Akzeptanz von Homosexualität gab? Doch diese naive Frage zielt auf etwas ab, dass gar nicht existierte. Denn Abu Nawas musste für seine homoerotischen Gedichte ins Gefängnis sowie Repressionen in Kauf nehmen und die erwähnte Knabenliebe ist keine gleichberechtigte homosexuelle Partnerschaft, vielmehr nahmen sich alte sozial hoch angesehene Männer junge Knaben, die dadurch einen sozialen Aufstieg erfuhren. Weibliche Homosexualität wird zu jener Zeit kaum oder gar nicht ausgelebt. Von einer besseren Akzeptanz kann also gar nicht die Rede sein.
Nach dieser Zusammenfassung wird als Schlussakt der Kurzfilm "A Lesbian Tale" aus dem Jahr 2014 gezeigt. Ein Kurzfilm, der den Widerspruch zwischen Religion und Homosexualität aufbricht. Steht anfangs die Verleumdung der eigenen Homosexualität im Vordergrund, wird diese akzeptiert und führt gleich darauf zum nächsten Konflikt. Nämlich, ob Homosexualität eine Sünde sei, ob Religion und Homosexualität miteinander vereinbar sind. Die Antwort des Films: Ja, sie sind es. Und so wird in dem Kurzfilm ein positives und starkes Bild von Homosexuellen gezeigt. Doch neben der innigen Liebe erfährt das lesbische Pärchen auch viel Leid und muss sich diese Liebe erkämpfen.
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Sichere Räume für schwul-lesbische Künstler
Aber wie geht es weiter? Welche Möglichkeiten sind der arabischen Literatur und dem Film gegeben, um sich weiterzuentwickeln? Schließlich sind Veröffentlichungen von Büchern und Filmen unter der Zensur und der politischen und gesellschaftlichen Verfolgung nicht einfach. Verbote und Kürzungen gibt es immer wieder. Dennoch wird viel in Syrien, Beirut und im Libanon veröffentlicht. Mit Helem gibt es in Beirut sogar eine arabische LGBTI-Organisation, die regelmäßig zu Filmvorführungen und Buchbesprechungen einlädt. (In Algerien hat sich eine queere Organisation sogar nach dem Dichter Abu Nawas benannt.) Diese Treffen bieten nicht nur sichere Räume für schwul-lesbische Künstler sowie Interessierte und damit Diskussionen zu den einzelnen Werken, sondern könnten genauso gut eine Wiege für neue selbstbewusstere Bücher und Filme werden.
Der palästinensisch-israelische Dokumentarfilm "Oriented" ist solch ein selbstbewusster Film. Freilich nicht in Beirut entstanden, aber die Dokumentation bricht mit ihrem Bericht über eine schwule Clique in Tel Aviv aus dem klischeehaften Homosexuellenbild aus. Auch Saleem Haddads Roman "Guapa" versucht diesen Ausbruch und der marokkanische Schriftsteller Abdellah Taïa sowieso. Letzterer hat schon jetzt mit seinen Büchern und Filmen in Marokko wichtige Debatten zu LGBTI angestoßen.
Homosexualität in der arabischen Welt – nein, dies ist kein Gegensatz. Vielmehr ist sie im arabischen Film und Literatur nicht nur im negativen Kontext präsent, sondern fordert Veränderungen, mehr Rechte und ein gesellschaftliches und politisches Umdenken.
Unter dem Motto "L(i)ebe die Vielfalt" standen bis zum 19. Dezember bei den dritten Hirschfeld-Tagen rund 115 Veranstaltungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen auf dem Programm. Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld als Veranstalterin kooperierte dabei mit neun regionalen Partnern aus der Community. Weitere Infos auf hirschfeld-tage.de.
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de
















Heute ist es leider genau andersherum: mehrheitlich wird Homosexualität im Islam mit seinen unterschiedlichen Strömungen (Schiiten, Sunniten mit Scharia im Nahen Osten, Wahabiten, Salafisten, usw.) abgelehnt und auf homosexuelle Handlungen werden Haftstrafen bis hin zu Todesstrafen verhängt.