Michael J. muss sich erneut einem Verfahren stellen
Ein Berufungsgericht in St. Louis (US-Bundesstaat Missouri) hat am Dienstag wegen eines Verfahrensfehlers das Urteil gegen den HIV-positiven Michael J., das von Aids-Aktivisten scharf kritisiert worden war, aufgehoben. Damit muss das Gerichtsverfahren neu aufgerollt werden.
Der 24-Jährige war vergangenes Jahr zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er nach Überzeugung eines Bezirksgerichts mit fünf Männern ungeschützten Sex gehabt hatte, ohne ihnen von seiner HIV-Infektion berichtet zu haben. Einer der Sex-Partner wurde später ebenfalls positiv getestet (queer.de berichtete). Die Geschworenen hatten den Studenten sogar für 60 Jahre hinter Gitter bringen wollen (queer.de berichtete).
Das "Missouri Court of Appeals, Eastern District" begründete die Aufhebung des Urteils damit, dass der Bezirksrichter beim ersten Verfahren Telefonate, die der Beschuldigte nach seiner Verhaftung aus dem Gefängnis gemacht hatte, im Verfahren abspielen ließ, ohne sie dessen Anwälten vorher vorgelegt zu haben. Die Berufungsrichter haben allerdings nicht über einen Einspruch von J.s Anwälten entschieden, die das Urteil als Verstoß gegen die US-Verfassung ansahen, da die Strafe in keinem Verhältnis zur angeblichen Tat stehe.
Gesetz stammt aus Zeiten der Aids-Panik
Das ursprüngliche Urteil basiert auf einem Gesetz, das während der Aids-Panik in den Achtzigerjahren in Missouri – und in ähnlicher Form in mehr als der Hälfte der US-Bundesstaaten – erlassen worden war. Demnach verbietet der Bundesstaat HIV-Positiven, Sex zu haben, ohne ihre Partner über den HIV-Status aufzuklären. Nach dem Gesetz könnten sogar Positive belangt werden, deren Viruslast nicht nachgewiesen werden kann und die ein Kondom benutzt haben. Die Mindesthaftstrafe bei einer Übertragung beträgt zehn Jahre und liegt damit gleich hoch wie bei vollendetem Totschlag. Bei fahrlässiger Tötung – etwa wenn ein betrunkener Autofahrer ein Kind tödlich verletzt – verlangt das Gesetz dagegen nur sieben Jahre Haft.
J.s Anwalt Lawrence Lustberg zeigte sich erleichtert darüber, dass das "drakonische" Urteil aufgehoben worden ist. "Solche Gesetze, nach denen Herr J. angeklagt wurde, sind problematisch, weil sie das Stigma und die Abneigung gegenüber Menschen, die mit HIV leben, fördern. Damit verletzen die Gesetze die Rechte dieser Menschen."
Auch die Bürgerrechtsorgansation "American Civil Liberties Union" (ACLU) begrüßte die Aufhebung des Urteils und forderte eine Gesetzesänderung. "Das Gesetz ist veraltet und stammt aus einer Zeit, als die HIV-Politik auf Panik basierte", erklärte ACLU-Anwalt Anthony Rothert. "Die Staatsanwaltschaft hat sich die Aids-Angst in dem Verfahren zunutze gemacht, gepaart mit Rassismus und Homophobie."
Aids-Aktivisten hatten die Verurteilung scharf kritisiert, weil eine derartige Strafverfolgung im Kampf gegen HIV nicht helfe, sondern im Gegenteil Menschen dazu verleite, sich nicht testen zu lassen. Auch die Deutsche Aids-Hilfe kritisiert die Kriminalisierung der (potenziellen) HIV-Übertragung als kontraproduktiv. HIV-Prävention dürfte nicht einseitig positiven Menschen aufgebürdet werden.
In Deutschland werden HIV-Positive ebenfalls wegen Sex bestraft, allerdings nicht so hart wie in den USA. 2014 verurteilte das Oldenburger Landgericht etwa eine positive Sexarbeiterin, weil sie ungeschützten Geschlechtsverkehr mit mehreren Kunden hatte (queer.de berichtete). (dk)