In Estland haben Gerichtsentscheidungen zu gleichgeschlechtlichen Paaren die Schlagzeilen an gleich zwei Tagen hintereinander dominiert: Am Dienstag wurde erstmals eine Ehe zwischen zwei Männern offiziell registriert, am Mittwoch wurden die Rechte eines lesbischen Paares ausgeweitet. Beide Paare hatten im Ausland geheiratet.
Am bemerkenswertesten ist die am Dienstag bekannt gewordene Entscheidung eines Bezirksgerichts in der Hauptstadt Tallinn: In zweiter Instanz hatte das Gericht entschieden, dass die in Schweden geschlossene Ehe zwischen einem in Estland residierenden Schweden und einem weiteren Mann als Ehe in das nationale Register eingetragen werden muss.
Die Verwaltung des Landkreises Harju, zu dem Tallinn gehört, hatte die Eintragung abgelehnt, da das Land bislang keine gleichgeschlechtliche Ehe in seinem Gesetz kenne. Die erste Instanz hatte gegen das schwule Paar entschieden, das Bezirksgericht betonte hingegen überraschend, dass der Eintragung nichts im Wege stehen würde.
Die Bezirksregierung hatte keinen Einspruch gegen das Urteil eingelegt, das so Ende Dezember Rechtskraft erlangte. Am Dienstag trug die Verwaltung schließlich die beiden Männer als Eheleute ins nationale Register ein. Nach Ansicht von Menschenrechtsorganisationen könnte damit ein Präzedenfall geschaffen worden sein, der möglicherweise auch inländischen gleichgeschlechtlichen Paaren die Ehe bringen könnte.
Flickenteppich statt Ehe
Zu dem Urteil dürfte beigetragen haben, dass in Estland für gleichgeschlechtliche Paare ein rechtliches Chaos herrscht und Gerichte zuletzt mehrfach versucht haben, den Paaren beizuspringen.
Zwar war Estland 2014 mit der Verabschiedung von einer Art Lebenspartnerschaftsgesetz die erste ehemalige Sowjetrepublik, die Homo-Paare rechtlich anerkannte (queer.de berichtete). Mit dem zum 1. Januar 2016 in Kraft getretenen Rechtsinstitut sollte ihnen wie auch heterosexuellen Paaren fast die gleichen Rechte wie Ehepaaren zustehen, Steuerrecht und Stiefkindadoption inklusive. Doch in der Praxis sind die vor einem Notar abgeschlossenen Partnerschaften bislang überwiegend rechtlos: Die nach der Wahl 2015 in die Regierung aufgenommene "Pro-Patria- und Res-Publica-Union", eine auf Europaebene mit der CDU verbundene nationalkonservative Partei, behindert die Verabschiedung von Ausführungsgesetzen.
In Folge gaben sich im letzten Jahr nur 43 Paare das Ja-Wort. Zu den noch nicht verabschiedeten Ausführungen gehörten etwa das Eintragen der Paare in die Standesbücher ebenso wie die Registrierung zweier gleichgeschlechtlicher Elternteile bei Kindern. In manchen Fällen haben Gerichte inzwischen eine entsprechende Eintragung angeordnet, manche allerdings erst zum Zeitpunkt des Inkrafttretens von Ausführungsgesetzen.
Im Parlament hängt unter anderem auch ein Aufenthaltsrecht für ausländische Partner in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften. Am Mittwoch entschied ein Gericht in Tallinn, einer Amerikanerin, die in ihrer Heimat eine Estin geheiratet hatte, zunächst eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung für das gemeinsame Leben in Estland zuzugestehen. Eine andere Entscheidung widerspreche dem Recht des Paares auf Familienleben und sei diskriminierend. Das Gericht berief sich dabei auch auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Auch deutsche Paare hoffen auf Gerichte
In Deutschland werden im Ausland geschlossene Ehen gleichgeschlechtlicher Paare nicht als Ehe, sondern als Lebenspartnerschaft anerkannt, mindestens eine Klage dagegen ist vor dem Bundesgerichtshof anhängig. Das Gericht ist allerdings nicht bekannt dafür, Rechte auszuweiten – letztes Jahr lehnte es etwa ab, einem Deutschen und einem Niederländer, die in den Niederlanden geheiratet hatten, einen Ehenamen statt einem Lebenspartnerschaftsnamen zu geben (queer.de berichtete). Unterschiede wie dieser erscheinen gering, können aber etwa bei der rechtlichen Anerkennung der Partnerschaft bei einem erneuten Umzug in ein anderes Land ebenso eine Rolle spielen wie bei der Arbeit eines Partners in einem Verfolgerstaat.
Letztlich könnte die Frage beim Bundesverfassungsgericht landen, das bereits die Rechte von Lebenspartnern mehrfach gestärkt hatte. Initiativen zu einer Ehe-Öffnung im Bundestag scheitern seit Jahren am Widerstand der Union, mit Unterstützung des jeweiligen Koalitionspartners. Dabei gibt es in Deutschland längst gleichgeschlechtliche Ehen: Das Bundesverfassungsgericht hat seit 2008 in mehreren Urteilen entschieden, dass Personen nach einer Geschlechtsanpassung nicht von einer Ehe in eine Lebenspartnerschaft oder umgekehrt wechseln müssen. (nb)