Der Anbieter, der überwiegend in Russland Wohnungen vermittelt, will mit diesem Tool über den Homoanteil in den Städten Russlands "aufklären"
"Finde heraus, wieviele Schwule in russischen Städten leben" – so wirbt die russische Webseite "MyLinker", die Wohnungen von privaten Vermietern für kurze Aufenthalte vermittelt, für den neuen Zusatzdienst "GayLocator". Das Angebot richtet sich allerdings nicht an Homo-Touristen, sondern soll, mit plattester Homophobie, die Firma als vermeintlich russisch-traditionelle Alternative zu weltweiten Diensten wie Airbnb in die Schlagzeilen und das Bewusstsein bringen.
Gibt man eine Stadt ein, erhält man eine Berechnung über den Anteil der Homosexuellen an der Bevölkerung. Die Berechnung freilich ist bereits völlig gaga: Der Dienst überprüft, wie oft in der jeweiligen Stadt bei Google nach "Porno" und wie oft nach "Gay Porno" gesucht wurde. Dieses Verhältnis wird dann auf die Bevölkerung hochgerechnet. Sotschi mit rund 400.000 Einwohnern käme nach GayLocator-Rechnung auf 6.700 Homosexuelle. (Weitere Aussagen und Motive der Firma und die Suchanfragen selbst samt Ergebnissen lassen vermuten, dass es hier primär um die Angst vor Schwulen aus heterosexueller männlicher Sicht geht, wegwegen die Begriffe hier synonym genutzt werden.)
Gefahr!
Das wäre in Sotschi ein Homo-Anteil von nicht mal 1,7 Prozent. Dennoch warnt das Portal in roter Farbe vor einer "Gefahr": "Da gibt es viele Schwule. Wir werden euch helfen, im Falle einer Spitze von Aktivitäten die Schwulen abzuwehren." Es bleibt unklar, was damit gemeint sein soll, jedenfalls soll man an der Stelle seine E-Mail-Adresse eintragen. Etwas später im Text wird ein Rabatt angeboten, der umso größer ausfällt, je kleiner der Homo-Anteil ist.
Westliche Dienste wie Airbnb brächten für russische Kunden ein "erhöhtes Risiko": Wer wolle sein Baby schon an Orten unterbringen, an sich denen Homosexuelle vergnügten, fragt das Portal. Es verweist darauf, dass Airbnb Besitzer von Wohnungen aus dem Programm entfernt, die Homosexuelle als Gäste ablehnen (queer.de berichtete). "Diese Besitzer kamen zu uns :-)".
Große Aufmerksamkeit, wenig Einsicht
In LGBT-Foren in russischen sozialen Netzwerken wurde die Kampagne entsetzt kommentiert: "Die warnen vor uns, als wären wir Vergewaltiger oder Zombies", beklagte ein Nutzer. Ein anderer bemerkte, dass Medien bei der Berichterstattung ignorierten, dass Airbnb umfassende Antidiskriminierungsrichtlinien nicht nur zu Homosexuellen aufgestellt hatte. Wie wäre wohl eine Kampagne aufgefasst worden, in der etwa vor Behinderten gewarnt worden wäre? Auch als Verteidigung russischer Werte gegen den Westen?
Andere Nutzer warnten davor, die Webseite durch Kritik erst bekannt zu machen. Doch Medien berichteten bereits – und holten immerhin Stellungnahmen ein. "Das Projekt spielt mit dem Gefühl einer Gefahr. Wenn Du jemanden als gefährlich bezeichnest, nur weil er eine unterschiedliche sexuelle Orientierung hast als Du, ist das nicht nur eine Beleidigung, sondern Anstiftung zum Hass", sagte etwa der LGBT-Aktivist Igor Koschetkow dem Portal "Takie Dela". Er beklagte, dass es in Russland keine Antidiskriminierungsregelungen gebe, die solche Kampagnen verhinderten.
Nikolai Baew vom Moskauer CSD ergänzte: "Menschen, die in der Wirtschaft tätig sind, wissen, dass die Mehrheit der Russen homophob sind. Sie wollen diese Vorurteile nutzen, um ihre Geschäfte anzukurbeln." Inzwischen gibt mehrere Online-Petitionen gegen die Kampagne.
Eine vergleichende Werbung der Firma im sozialen Netzwerk vk, die man auch ohne Russischkenntnisse versteht
Ein Sprecher der in Kasan beheimateten Firma sagte, man halte die Aktion für einen netten Scherz – das hätten auch befreundete Schwule so gesehen. Letztlich trete man für das Recht von Wohnungsbesitzern ein, selbst zu bestimmen, an wen man vermiete.
In ihrem Profil im sozialen Netzwerk vk verteidigte sich die Firma weiter gegen den erhobenen Vorwurf der Volksverhetzung: "Der Fakt, dass wir die traditionelle heterosexuelle Beziehung als sozial mehr akzeptiert ansehen als die homosexuelle, kann aus unserer Sicht keinen Gesetzesverstoß darstellen." Man entschuldige sich aber, wenn jemand sich persönlich verletzt fühle. Der "GayLocator" ist weiter online.
PR im Land des Homo-"Propaganda"-Gesetzes
Homofeindliche PR-Kampagnen sind in Russland keine neue Erfahrung: So ließ 2014 eine Marketingfirma in St. Petersburg ein von ihr gestiftetes Steve-Jobs-Denkmal an der Polytechnischen Universität entfernen – nach dem Coming-out seines Nachfolgers Tim Cook habe man das Denkmal in Form eines iPhones aufgrund der Gesetzeslage nicht mehr ausstellen können, die Bewerbung "sexueller Perversionen" sei schließlich verboten, hieß es. In Wirklichkeit wollte die Firma wohl vor allem in die Schlagzeilen (queer.de berichtete).
Das klappt übrigens auch in Gegenrichtung: Zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi machte international eine Meldung die Runde, der Zugang zu einem russischen Klon der Dating-App "Grindr" sei in der Stadt geblockt worden, zuvor hätten User auf dem Smartphone eine Warnung vor Verhaftungen erhalten. Russische LGBTI-Aktivisten hielten das für einen Marketinggag, Zweifel an den Vorwürfen konnte der Entwickler nie entkräften.
Man sollte wohl eher vor Russland warnen...