Nach Ansicht der Bundesregierung werden Homosexuelle in Marokko nicht systematisch verfolgt, obwohl ihnen eine dreijährige Haftstrafe droht (Bild: Hamza Kanouni / flickr)
Die Bundesregierung hat in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion (PDF) ihre Ansicht verteidigt, dass Marokko Schwule und Lesben nicht systematisch verfolgen lässt. "Das Thema [Homosexualität] wird immer noch gesellschaftlich tabuisiert, eine systematische Verfolgung homosexueller Personen findet jedoch nach Erkenntnissen der Bundesregierung nicht statt", heißt es in der vom Innenministerium formulierten Antwort.
Dabei, so LGBTI-Aktivisten, gibt es immer wieder Verhaftungen und Verurteilungen wegen Homosexualität, speziell in ländlichen Gebieten (queer.de berichtete). Nach Ansicht der Bundesregierung seien diese Verurteilungen aber "selten". Auch seien sie oft nicht auf die sexuelle Orientierung, sondern politische Aktivitäten zurückzuführen: "Die Rechtsvorschriften werden in Marokko in der Praxis weniger gegen Einzelpersonen, als vielmehr zur Verhinderung der Gründung von Organisationen herangezogen, die sich für die Rechte dieses Personenkreises einsetzen wollen."
Wenn gleichgeschlechtliche Handlungen unter Strafe gestellt werden, sei dieser Umstand "als solcher keine Verfolgungshandlung", so die Bundesregierung unter Berufung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2013. In der Luxemburger Entscheidung beharrten die Richter damals aber auch darauf, dass verfolgte Homosexuelle eine "soziale Gruppe" seien, die Anspruch auf Asyl haben, sollten Gefängnisstrafen "tatsächlich verhängt werden" (queer.de berichtete).
Bundesregierung an homosexuelle Marokkaner: Versteckt euch einfach!
In ihrer Antwort unterscheidet die Bundesregierung auch zwischen einer Verfolgung von Schwulen und Lesben, die ihre sexuelle Orientierung geheim halten, und solchen, die das nicht tun. Versteckt lebende sexuelle Minderheiten seien laut der Antwort sicher ("Homosexualität wird hingenommen, solange sie im Verborgenen gelebt wird") – die Anfrage der Linken berichtet von einem Asylantrag einer lesbischen Marokkanerin, der unter anderem mit dieser Argumentation als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt wurde.
Dabei hieß es in der EuGH-Entscheidung vor vier Jahren, die sexuelle Orientierung sei ein so einschneidendes Merkmal, dass man Schwulen und Lesben nicht zumuten könne, diese geheim zu halten, um eine Verfolgung in ihrem Heimatland zu vermeiden.
Über das Thema, ob Schwule und Lesben in Algerien, Marokko und Tunesien tatsächlich systematisch verfolgt werden, streitet die Bundesregierung mit Opposition und LGBTI-Aktivisten bereits seit längerem (queer.de berichtete). Ein Grund ist die geplante Anerkennung der drei Maghreb-Staaten als "sichere Herkunftsstaaten", wodurch Asylbewerber leichter abgelehnt und abgeschoben werden können.
Für Ulla Jelpke von der Linksfraktion ist es "mehr als zynisch", dass Anträge von schwulen oder lesbischen Asylbewerbern aus Marokko immer wieder abgelehnt werden, obwohl die Bundesregierung zugibt, dass offen gelebte Homosexualität in Marokko gesellschaftlich nicht toleriert und Schwule und Lesben strafrechtlich verfolgt werden.
Die Abgeordnete Ulla Jelpke (Die Linke) hält den Umgang mit homosexuellen Asylbewerbern in Deutschland für zynisch (Bild: Deutscher Bundestag / Achim Melde)
In den letzten Wochen schlugen LGBTI-Aktivisten immer wieder Alarm, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mehrfach und willkürlich Homosexuelle in Verfolgerstaaten zurückschicken wolle. Das "Queer Refugees Network Leipzig" berichtete etwa Mitte Januar, dass die Behörden keinen der von ihnen betreuten LGBTI-Flüchtlinge aus Tunesien anerkannt habe (queer.de berichtete). Das Bundesamt hatte auch bei ihnen argumentiert, dass die Betroffenen ihre Homosexualität in der Heimat verheimlichten könnten, da Offenheit bei der eigenen sexuellen Orientierung nach Ansicht der Beamten "nicht wichtig und identitätsprägend" sei. Nach Protesten zog das BAMF die Entscheidung bei einem Tunesier schließlich wieder zurück (queer.de berichtete).