Mit Vielfalt sind Edmund Stoiber und seine Partei auch 2017 noch überfordert
In einem von der CSU in sozialen Netzwerken viel verbreiteten polemisch-populistischen Gastbeitrag im parteieigenen "Bayernkurier" hat der ehemalige bayrische Ministerpräsident und Partei-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber "linke Parteien" kritisiert, weil diese "Sicherheit gegen Freiheit" ausspielten.
So beklagte der 75-Jährige, eine Ablehnung von Vorratsdatenspeicherung oder mehr Videoüberwachung sei "brandgefährlich": "Für die Linken gilt: Im Zweifel für das Risiko." Dazu zählte Stoiber auch die Ablehung der Einstufung der Maghreb-Staaten als "sichere Herkunftsländer", also "ein schnelleres Asylverfahren für Asylbewerber aus Nordafrika, deren Antrag offensichtlich unbegründet ist und die teilweise ein hohes Sicherheitsrisiko darstellen".
Direkt nach Bezügen zur Kölner Silvesternacht und dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt kritisierte Stoiber dann unter der Zwischenüberschrift "Ideologie geht vor Realpolitik": "Ganz besonders schlimm sind manche Grüne, für die Unisex-Toiletten und Transgender-Seminare einen höheren Stellenwert haben als mehr Kompetenzen für Polizei und Verfassungsschutz." Die Grünen seien letztlich ein "Sicherheitsrisiko" und kein geeigneter Koalitionspartner für die CSU.

Es ist nicht ganz klar, auf welche "Transgender-Seminare" sich Stoiber bezieht – in den letzten Wochen hatten sich rechte Kreise vor allem über ein Seminar der Bundeswehr zur Inklusion von LGBTI als vermeintliches "Sex-Seminar" empört und lustig gemacht, das freilich auf eine Initiative von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zurückgeht (queer.de berichtete).
Und auch die seit Wochen anhaltende Empörung von CSU, AfD oder "Demo für alle" über Unisex-Klos wirkt konstruiert: Anfang Januar hatte der neue grüne Berliner Justizsenator Dirk Behrendt einen Zwischenbericht zur möglichen Einrichtung entsprechender Toiletten vorgelegt, der auf eine Anfrage des vorherigen Senats zurückging (queer.de berichtete). Erste Zwischenberichte hatte noch sein CDU-Vorgänger Thomas Heilmann vorgestelt; unter der großen Koalition waren bereits einige Toiletten eingerichtet worden, Rot-Rot-Grün plant nun ein Modellprojekt mit zehn Toiletten.
Mit Worten und Taten gegen die Homo-Ehe
Stoiber, der kürzlich in der "Welt" meinte, er sei gegenüber Homosexuellen toleranter geworden (queer.de berichtete), hatte in der Diskussion um die Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes 2001 gemeint: "Wenn ich über die steuer- und erbrechtliche Anerkennung von homosexuellen Paaren diskutiere, kann ich gleich über Teufelsanbetung diskutieren." Wenig später ging das von ihm geführte Bayern mit einer Klage und einem Eilverfahren beim Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz vor, scheiterte aber in Karlsruhe.
Protest beim Kölner CSD 2002 gegen den damaligen Unions-Kanzlerkandidaten Stoiber. Bild: Norbert Blech
2005 kritisierte Stoiber die geplante Ausweitung der Lebenspartnerschaft um die Stiefkindadoption, da ein Adoptionsrecht für Homo-Paare "unvereinbar mit dem Interesse am Wohl des Kindes" sei: "Wir werden das Bundesverfassungsgericht anrufen um zu klären, ob das noch im Rahmen unserer Verfassung ist." Zur Begründung der in Karlsruhe eingebrachten, später aber zurückgezogenen Klage meinte Stoiber: "Kinder dürfen nicht ohne ihren ausdrücklichen Willen ein Eltern-Umfeld erhalten, das mit dem Leitbild des Grundgesetzes und der Rolle von Mutter und Vater nicht übereinstimmt."
Noch 2013 kritisierte Stoiber, ebenfalls in einem beginnenden Bundestagswahlkampf, "rot-grüne Ideologie" wolle "Werte, die den Bestand und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft garantieren, untergraben". Zu Plänen wie der Ehe für alle sage die CSU: "Schluss mit dieser Relativierung von Ehe und Familie! Das macht die Wurzeln unserer Gesellschaft kaputt" (queer.de berichtete).
Mit Homo- und Transphobie in den Bundestagswahlkampf?
Vier Jahre später hat sich die Position der CSU nicht grundlegend verändert, im Bund verhindert sie mit der CDU weiter die Ehe für alle – Bayerns Justizminister Winfried Bausback nannte sie erst kürzlich einen "ideologisch begründeten Angriff auf das Institut der Ehe" (queer.de berichtete). Im letzten November hatte die Partei ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet, das sich wie Stoiber nicht nur gegen "Relativierungsversuche" der Ehe aus Mann und Frau richtet, sondern auch im Tonfall der AfD gegen eine "Gesellschafts- und Bildungspolitik, die Gender-Ideologie und Frühsexualisierung folgt" (queer.de berichtete).
CSU-Werbung auf Facebook im Jahr 2017
Zuletzt machte die CSU vermehrt wie die AfD in sozialen Netzwerken Stimmung gegen Diversity-Politik. Die Bundestagsabgeordnete Katrin Albsteiger veröffentlichte Spruchbilder wie "Grün heißt: Den Gang zur Toilette kontrollieren, aber unsere Grenzen nicht." Und die Partei selbst warnte auf Facebook vor "Genderwahn" und "Gaga-Vorschlägen", wie ihn Unisex-Toiletten darstellten (queer.de berichtete).
Kein Wunder, dass die CSU-Fraktion im bayrischen Landtag sich kürzlich von der homofeindlichen "Gender-Gaga"-Autorin Birgit Kelle über Politik aufklären ließ (queer.de berichtete). Die populistische Rhetorik hat derweil Folgen: Nachdem Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle im letzten Herbst Kelle und die Organisatorin der "Demo für alle", Hedwig von Beverfoerde, empfangen hatte, wurde eine bereits beschlossene akzeptierende Schulaufklärung über LGBTI deutlich abgeschwächt (queer.de berichtete).
Die Stimmungsmache gegen "Transgender-Seminare" & Co. dürfte im Wahlkampf zunehmen. Wie die AfD wirbt die CSU inzwischen übrigens auch um die Wählergruppe der Russlanddeutschen, von der sie sich Stimmen für ihre ihre Law-and-Order-Vorstellungen oder eine konservative Gesellschaftspolitik erhofft. Auf Facebook bekommen Russlanddeutsche derzeit ein Bild von Parteichef Horst Seehofer angezeigt mit dem russischsprachigen Spruch: "Wir wollen keine Republik, in der linke Kräfte und Multikulturalismus dominieren!" Die personalisierte Werbung bekommt etwa angezeigt, wer den staatlichen (und oft homophoben) Propagandakanal RT abonniert hat.
