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Ende des Stillstands?
Gutachten fordern Reform des Transsexuellengesetzes
Bei einer Tagung des Bundesfamilienministeriums wurden konkrete und massive Gesetzesänderungen gefordert.

grafische Aufarbeitung zusammen, von der wir hier nur einen Ausschnitt gewählt haben Die lebhafte Debatte der Tagung im Bundesfamilienministerium fasst eine
- 19. Februar 2017, 20:02h 3 Min.
Im Rahmen eines "Fachaustauschs zu geschlechtlicher Vielfalt" hat das Bundesfamilienministerum am Donnerstag zwei Gutachten vorgestellt, die dringende Reformen der Politik im gesetzlichen und medizinischen Umgang mit Transsexuellen, Transgendern und Intersexuellen einfordern.
Das von der Humboldt-Universität zu Berlin erstellte Gutachten "Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen" (PDF) untersucht die Notwendigkeit, das inzwischen vom Bundesverfassungsgericht ins sechs verschiedenen Bereichen für verfassungswidrig erklärte Transsexuellengesetz zu reformieren beziehungsweise durch ein modernes Gesetz zu ersetzen.
Das Gutachten evaluiert die Anwendung des Gesetzes in der Praxis, führt einen internationalen Rechtsvergleich durch und unterbreitet rechtliche Regelungsvorschläge. Nach Jahrzehnten des Stillstands der Politik sind diese so umfangreich, dass sie sich hier kaum zusammenfassen lassen – ein Studium des PDFs lohnt.
Massive Kritik an unpassendem Gesetz
Wie veraltet das Gesetz inzwischen ist, zeige bereits, dass Bedingungen wie Operationszwang und Ehelosigkeit für eine Personenstandsänderung im historischen Zusammenhang mit dem Paragrafen 175 zu sehen seien, so das Gutachten der Humboldt-Universität.
Selbst die heute noch verbleibenden Bedingungen, etwa ein Zwang zu einer oft schikanösen bis übergriffigen Begutachtung, verstießen gegen Grund und Menschenrechte. Das Gutachten fordert zudem u.a. eine bessere Aufklärung an Schulen und im Gesundheitssystem.

Auch das vom Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR) erstellte Gutachten "Geschlechtervielfalt im Recht: Status Quo und Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt" (PDF) kommt zu ähnlichen Schlüssen und befasst sich u.a. näher mit der Rechtsanwendung des im Personenstandsgesetz (§ 22 PStG) geregelten offenen Geschlechtseintrages: Kann ein Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstand ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen. Außerdem stellt das Gutachten im internationalen Rechtsvergleich die Frage, ob ein drittes festgelegtes Geschlecht im Personenstandsgesetz benötigt wird.
Breite Debatte ohne Folgen?
Der Fachaustausch war der letzte von insgesamt vieren in dieser Legislaturperiode, an denen Vertreter aus Praxis, Wissenschaft, Recht, Verbänden der Community und internationalen Organisationen teilnahmen. Eine Dokumentation der Debatte über die Gutachten soll im zweiten Quartal 2017 veröffentlicht werden, heißt es auf der Webseite des Bundesfamilienministeriums.
Das lässt vermuten, dass mit einem gesetzgeberischen Handeln wohl bis zur Wahl nicht mehr zu rechnen ist – der Ministeriumsbericht vom Donnerstag enthält keinerlei Festlegung auf eine Gesetzesiniative. Immerhin gibt es mit den Gutachten eine Grundlage und für die Betroffenen und Verbände ein Druckmittel.

"Geschlechtliche Vielfalt ist eine gesellschaftliche Tatsache und eine gesellschaftspolitische Querschnittsaufgabe", sagte Caren Marks (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesfamilienministerin, zur Vorstellung der Gutachten. "Beide kommen zu der Empfehlung, dass unser Recht geändert werden muss, um die geschlechtliche Vielfalt unserer Gesellschaft und das Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen zu schützen. Es ist notwendig, die Freiheit der Geschlechtsidentität als Menschenrecht zu schützen, Stigmatisierungen abzubauen und starre Rollenbilder aufzubrechen."
Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck forderte in einer Pressemitteilung noch ein Handeln in dieser Legislaturperiode: "Anerkennung selbstbestimmter Geschlechtsidentität ist ein Menschenrecht. Wenn der Staat darauf besteht, das Geschlecht seiner Bürger*innen zu registrieren, dann sollen sie frei und unkompliziert darüber bestimmen dürfen. Das muss endlich auch in ein vernünftiges Gesetz gegossen werden." Andere Länder in Europa seien längst weiter, so Beck, der einen eigenen Gesetzesentwurf seiner Fraktion noch vor der Wahl ankündigte.
Derweil geht bei Aktivisten und Betroffenen die Debatte weiter: Während weitgehend Einigkeit über den Reformbedarf und viele Änderungsvorschläge vorhanden ist, gibt es dennoch teils sehr unterschiedliche Ansichten über konkrete Maßnahmen und speziell über Bezeichnungen. Manche empfinden bestimmte Begriffe, Diagnosen und ihre Auswirkungen als fremdbestimmt, diskriminierend und stigmatisierend, manche wiederum die Gegenvorschläge. Auch der von den Gutachten verwendete Überbegriff "Transgeschlechtlich(keit)" findet nicht bei allen Zustimmung. (cw/pm)

Die schwarz-rote Bundesregierung scheint sich für die Meinung von Experten nicht zu interessieren. Insofern mache ich mir auch hier keine Hoffnungen und warte erst mal ab, was tatsächlich daraus wird.