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"Instrumentalisierung von Homophobie"
LSVD wehrt sich gegen "scheinheilige" Kritik von Jens Spahn
In einem "Welt"-Beitrag hatte der CDU-Politiker mal wieder Homophobie allein unter Muslimen thematisiert und dem LSVD eine "Relativierung" vorgeworfen.

In der "Welt" berichtete Spahn, er sein mehrfach in Berlin, Köln oder Münster homophob beleidigt worden, wenn er mit seinem Freund auf der Straße unterwege gewesen sei (Bild: Jörg Klaus)
- Von Norbert Blech
22. Februar 2017, 12:52h 5 Min.
Der LSVD hat dem schwulen CDU-Politiker Jens Spahn eine "Instrumentalisierung der Themen Homo- und Transphobie" vorgeworfen. "Wer mit (ihnen) Ängste vor Flüchtlingen oder Muslim*innen schürt, gleichzeitig aber Lösungen und die volle rechtliche Gleichstellung blockiert oder gegen eine Pädagogik der Vielfalt kämpft, handelt scheinheilig", so der Verband.
Anlass ist ein am Dienstag in der "Welt" erschienener Artikel (kostenpflichtig), in der der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und das Mitglied im CDU-Präsidium wie in früheren Stellungnahmen einseitig Homophobie unter muslimischen Zuwanderern kritisiert.
Die "Welt" nutzt zur Einleitung den Messerangriff auf einen Türsteher der Kölner Szenebar "Iron" vor wenigen Wochen durch einen aus dem Irak stammenden Kölner (queer.de berichtete) und verweist auf Aussagen von Besuchern, "Übergriffe auf Schwule und Lesben durch junge arabische Männer in der Nähe der Bar seien schon länger ein Problem". Der Artikel geht nicht darauf ein, dass eine Besitzerin der Bar einst selbst aus dem Iran geflohen war und auch der angegriffene Türsteher einen Migrationshintergrund hat. Auch hatten bislang weder Bar noch Polizei die Tat als homofeindlich motiviert eingestuft.
Wie bereits vor einigen Tagen nutze Spahn den Messerangriff gegenüber der "Welt" dennoch für die Warnung, dass "mit der großen Einwanderungsbewegung der vergangenen Jahre auch Homophobie ins Land gekommen" sei. Doch diese Begleiterscheinung der Zuwanderung werde "von allzu vielen, auch vom Lesben- und Schwulenverband Deutschlands, heruntergespielt". Es nerve Spahn, "dass wir dieses Problem gar nicht besprechen – aus Angst, man könnte sich irgendwie verheddern in seinem Multikulti-Wohlfühldasein".
Statistiken wenig aussagekräftig
Bereits gegenüber der "Welt" hatte der LSVD die Kritik zurückgewiesen: Es gebe "keine systematischen, aussagekräftigen Statistiken", die Spahns Aussagen widerlegen oder belegen könnten. Unvollständige Daten des Bundesinnenministeriums zeigten für die ersten drei Quartale 2016 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einen leichten Anstieg von 107 auf 113 angezeigte homo- und transphobe Straftaten in Berlin (queer.de berichtete), bundesweit habe es 2015 15 Prozent weniger gemeldete Fälle als 2016 gegeben.
Das Berliner Überfalltelefon "Maneo" habe für 2015 259 homofeindliche Straftaten aufgenommen, mehr als die Polizei, berichtet die "Welt" noch. Die Fallzahlen lägen weiter "auf hohem Niveau", seien aber weitgehend gleichbleibend, hatte Maneo dazu erklärt (queer.de berichtete). Was die Zeitung nicht schreibt: Als die Organisation noch nach der angenommenen Täterherkunft fragte, hatten in einer insgesamt durchwachsenen Statistik Opfer einmal bei 17 Prozent der Vorfälle Täter mit Migrationshintergrund angenommen, dann 2008 bei 40 Prozent (queer.de berichtete). Bei der späteren anoynmen Umfrage gab es einen Manipulationsverdacht durch rechte Kreise, den Maneo abstritt.
LSVD: Einseitige Fixierung hilft nicht weiter
Die "Welt" geht in dem Artikel weiter auf LGBTI-feindliche Gewalt in Flüchtlingsheimen ein, die vom LSVD freilich ebenso thematisiert wurde wie Umfragen, wonach Homophobie unter jungen Menschen mit türkischem beziehungsweise arabischem Hintergrund verbreiteter sei als unter anderen Gruppen im gleichen Alter. Das bedeute allerdings "nicht zwangsläufig, dass sie auch Gewalt anwenden", sagte LSVD-Sprecher Markus Ulrich der Zeitung. Ob ein Mensch zu körperlicher Gewalt greife, hänge "nach aller Erfahrung nicht nur von seiner kulturellen Prägung ab", sondern von einer Vielzahl von Faktoren.

LSVD-Sprecher Markus Ulrich beklagt, dass u.a. die Union Front mache gegen Aktionspläne gegen Homo- und Transphobie, die in allen Teilen der Gesellschaft helfen könnten. Bild: Christine Fiedler / LSVD
Spahn erwecke "den unfairen Eindruck, dass nur Muslime Homosexuelle diskriminieren würden", so Ulrich weiter. Tatsächlich gelte dies aber für Menschen jeder religiösen und kulturellen Prägung, für den frommen Katholiken wie für den gläubigen Muslim. Je weniger religiös Menschen seien, "umso weniger Vorbehalte haben sie meist gegenüber Homosexualität".
Der Bundestagsabgeordnete kritisiert diese Argumentation in der "Welt" als "genau die Art von Relativierung, mit der wir endlich brechen müssen". Er werde "auf der Straße nicht von frommen Katholiken dämlich angemacht, sondern von Menschen, die augenscheinlich eher aus dem islamisch geprägten Kulturraum stammen". Spahn verweist noch auf die Verfolgungslage in islamischen Ländern (die wie in manchen christlich dominierten Staaten etwa in Afrika auch vom LSVD kritisiert wird) und betont als Schlusswort: "In dem Moment, in dem sich der LSVD mit dem Islam genauso scharf auseinandersetzt wie mit der katholischen Kirche, werde ich Mitglied im LSVD."
LSVD: Bundesregierung ignoriert alle Lösungsansätze
Spahns Kritik am LSVD, die es inzwischen sogar in die weder migranten- noch homosexuellenfreundliche "Junge Freiheit" geschafft hat, ließ der Verband nicht auf sich sitzen und kritisierte am Mittwoch in einer Pressemitteilung Spahn zusätzlich wegen Nicht-Handelns. Man begrüße es, "dass endlich auch mal ein CDU-Politiker Homophobie und Gewalt gegen Lesben und Schwule deutlich kritisiert", so Sprecherin Stefanie Schmidt bissig. "Leider" bleibe es "jedoch nur bei bloßer, undifferenzierter Kritik. Lösungen werden von Jens Spahn nicht angeboten, oder gar von seiner Partei, der CDU, regelmäßig blockiert".
Der LSVD kritisiert, dass die Bundesregierung 2015 bei der Reform des Hasskriminalitätsgesetzes das Motiv Homophobie nicht berücksichtig habe – dass sich Spahn "dafür stark gemacht hätte, haben wir nicht mitbekommen". Forderungen des LSVD nach einem Bund-Länder-Programm gegen homo- und transphobe Gewalt sowie nach Förderung und Aufstockung von Präventions- und Anti-Gewaltprojekten seien von der Politik ebenso ignoriert worden wie Forderungen nach einem Eingehen auf LGBTI in Integrationskursen und -materialien.
Seit vielen Jahren fordere der LSVD zudem Bildungs- und Aktionspläne gegen Homophobie sowie die rechtliche Gleichstellung von LGBTI. "Solange auch der Staat diese als Staatsbürger*innen zweiter Klasse behandelt, werden homo- und transphobe Einstellungen legitimiert. Dass es an all diesen Sachen fehlt, daran sind nicht Geflüchtete, Einwanderer*innen oder Muslim*innen schuld. Das liegt in der Verantwortung der Bundesregierung."
Korrektur: Spahn arbeitet natürlich im Bundesfinanzministerium, nicht im Familienministerium.
