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Wende in Anti-Diskriminierungs-Politik
Obama-Erlass zum Schutz transsexueller Schüler offiziell aufgehoben
Die neue US-Regierung weigert sich, Schüler vor diskriminierenden Richtlinien durch Anwendung von Bundesrecht zu schützen. Die Verantwortung liege bei den Bundesstaaten.

Human Rights Campaign / facebook) Vor dem Weißen Haus demonstrieten am Mittwoch Hunderte gegen den Richtungswechsel in der Anti-Diskriminierungs-Politik (Bild:
- Von Norbert Blech
23. Februar 2017, 10:36h 5 Min.
Die neue US-Regierung unter Präsident Donald Trump hat am Mittwoch wie angekündigt im letzten Jahr durch die Obama-Regierung veröffentlichte Richtlinien zum Umgang mit Transsexuellen und Transgendern an Schulen zurückgenommen.
In einem gemeinsamen Schreiben an alle Schulbezirke hatten das Justiz- und Bildungsministerium im letzten Mai festgelegt, dass Schülern die Nutzung von Toiletten und Umkleiden erlaubt werden muss, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen (queer.de berichtete). Auch bei Sportveranstaltungen, in Schuldokumenten und in der persönlichen Anrede seien sie nach ihrer Selbsteinschätzung zu behandeln.
Unter Obama wiesen die Ministerien darauf hin, dass eine andere Behandlung ein Verstoß gegen das 1964 im Rahmen des Civil Rights Act erlassene landesweite Verbot von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts sei – und mit einer Klage oder der Kürzung von Mitteln durch die Regierung beantwortet werden könne.
Diese rechtliche Auffassung haben die Ministerien unter neuer Führung nun zurückgenommen. In einem neuen gemeinsamen Schreiben an die Schulbezirke betonen sie, den früheren Richtlinien fehle eine umfangreiche Rechtsanalyse, sie seien nicht durch einen öffentlichen Verabschiedungsprozess gegangen, säten Verwirrung und hätten Rechtsstreitigkeiten nach sich gezogen.
Einen Ersatz bieten die Richtlinien nicht, Schulen und Bundesstaaten müssen in Folge selbst entscheiden, wie sie mit der Frage transsexueller Schüler umgehen – bestehende positive oder negative Richtlinien können in Kraft bleiben. In manchen republikanischen Staaten waren Gesetze erlassen worden oder sind geplant, die Schüler zum Besuch von Toiletten oder Umkleiden zwingen, die dem Eintrag in der Geburtsurkunde entsprechen.
Kritiker: Trump ist ein Bully
Trump hatte bereits im Wahlkampf angekündigt, die Regelung des Vorgängers aufzuheben. "Der Präsident hat seit langem betont, dass dies eine Angelegenheit der einzelnen Bundesstaaten ist und nicht eine der Bundesregierung", hatte sein Sprecher Sean Spicer am Dienstag bei einer Pressekonferenz gesagt.
"Wir alle wissen, dass Donald Trump ein Bully ist, aber sein Angriff auf Transgender-Kinder ist ein neuer Tiefpunkt", schrieb die Organisation Lambda Legal in einer Presseerklärung – "Bully" ist der englische Begriff u.a. für Schüler, die andere Schüler schikanieren. Die neue Richtlinie "gefährdet die Gesundheit und Sicherheit von Kindern im ganzen Land".
"Trumps Handlung ändert nicht das Gesetz", betonte die Organisation. Wie bereits viele Gerichte festgestellt hätten, seien transsexuelle Schüler durch das föderale Gesetz gegen Geschlechterdiskriminierung weiterhin geschützt. "Aber die Richtlinien aufzuheben, schafft bewusst Verwirrung darüber, was ein föderales Gesetz verlangt. Das Gesetz verbietet Diskriminierung – die neue Regierung lädt dazu ein."
Es handle sich um eine "zynische Verweigerung der Verantwortung der Bundesregierung, föderales Recht zum Schutz bedürftiger Schüler umzusetzen", so Lambda Legal. Das erinnere an die Zeit, als sich frühere Bundesregierungen weigerten, in die Konflikte um segregierte Schulen einzugreifen. Weitere LGBTI-Organisationen äußerten sich ähnlich harsch und entsetzt.
Erziehungsgewerkschaft gegen Trump
Mehrere demokratisch angeführte Bundesstaaten haben bereits angekündigt, transsexuelle Schüler weiterhin vor Diskriminierung und Ungleich- bzw. falscher Behandlung zu schützen. Der Schutz der Schüler werde "fair und rigoros" umgesetzt, betonte etwa der Washingtoner Staatsanwalt Bob Ferguson.
Unterstützung kam auch von der National Education Association, der größten Gewerkschaft des Landes. "Jeder Schüler zählt und hat ein Recht, sich in unseren öffentlichen Schulen sicher, willkommen und wertvoll zu fühlen. Das ist unsere rechtliche, ethische und moralische Pflicht", so Präsidentin Lily Eskelsen García. Die "diskriminierende" Anordung Trumps sei "gefährlich, schlecht beraten und unnötig" und ein "drastischer Abschied von unseren Hauptwerten".
"Wir lehren keinen Hass und wir diskriminieren nicht gegen Personen aufgrund ihrer Religion, ihres Geschlechts oder ihrer Identität. Punkt. Während die Trump-Regierung unsere Schüler und Werte bedroht, werden wir unsere Bemühungen verstärken, die gefährdetsten Bürger zu schützen, darunter unsere LGBTQ-Schüler und -Mitglieder. Wir fordern mehr Staaten, Schulbezirke und Schulen auf, Richtlinien zum Schutz von Transgender-Schülern zu erlassen. Das sind wir unseren Schülern schuldig, denn sie müssen sehen, dass wir eine klare Haltung gegen Diskriminierung zeigen, welche Form auch immer sie einnimmt."
DeVos redet Problem klein
Keine klare Haltung gegen Diskriminierung zeigte die neue Bildungsministerin Betsy DeVos, deren Ernennung u.a. deswegen umstritten war, weil ihre Familie Millionen an Gruppen spendete, die LGBT-Rechte bekämpfte oder Homo-"Heilungen" durchführte (queer.de berichtete).
Am Mittwoch hatten Medien noch berichtet, sie habe die neue Anordnung zu blockieren versucht, der Präsident sei aber seinem neuen Justizminister Jeff Sessions gefolgt. Trump-Sprecher Spicer hatte die Berichte später zurückgewiesen: Es habe nur Debatten über einzelne Formulierunfsfragen gegeben.

Trump mit Betsy DeVos auf einer Veranstaltung in der letzten Woche
In einer zusätzlichen Erklärung betonte DeVos am Mittwoch, da die Obama-Richtlinien durch eine gerichtliche Anordnung blockiert seien, hätten die Änderungen keine direkten Auswirkungen. Die Frage werde am besten durch Bundesstaaten und Schulen selbst gelöst. Sie halte zugleich den "Schutz für alle Schüler, auch LGBTQ-Schüler, für eine Hauptaufgabe ihres Ministeriums und jeder Schule in Amerika". Eine ähnliche ungenaue und unverbindliche Formulierung findet sich auch in dem gemeinsamen Schreiben der Ministerien.
In der Tat hatte ein Bundesgericht die Obama-Richtlinie vorläufig außer Kraft gesetzt, bis eine Klage von ganzen 13 republikanischen Staaten dagegen in der Hauptsache entschieden ist. Die Obama-Regierung hatte gegen den vorläufigen Stopp Einspruch eingelegt – der neue Justizminister Sessions, ein erbitterter Gegner von LGBT-Rechten, hatte als eine seiner ersten Amtshandlungen den Einspruch zurückgenommen (queer.de berichtete). In weiteren Rechtsstreitigkeiten, von denen einige zu erwarten sind, dürften klagende transsexuelle Schüler oder Verbände nicht mit einer Unterstützung der Bundesregierung rechnen.
Instagram / lgbtcenter | Unter den Protestierenden vor dem Weißen Haus war am Mittwoch auch der 17-jährige transsexuelle Schüler Gavin Grimm aus Virginia. Seine Schulverwaltung (Board) hatte ihm verboten, die Jungentoilette zu nutzen. Seine Klage dagegen wird ab Ende März vor dem Supreme Court verhandelt.
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Zehn Staaten wollen North Carolina folgen
Der Kulturkampf um LGBTI-Rechte hatte sich in Amerika nach der Ehe-Öffnung durch das Oberste Gericht vor allem auf die Klo-Nutzung von Transsexuellen und Transgendern verlegt. In 15 Bundesstaaten gibt es einen ausdrücklichen Schutz von Transsexuellen, in einigen weiteren auf Stadt-, Schulbezirks-, oder Schulebene.
Hingegen hatte North Carolina die Toilettenfrage selbst zu einem großen Problem erklärt und in einem umstrittenen Gesetz Transpersonen verboten, die Toilette ihrer Wahl zu nutzen. Das hatte zu zahlreichen Boykottaufrufen und wirtschaftlichen Verlusten geführt, dennoch planen derzeit zehn weitere republikanische Staaten entsprechende Gesetze. Die Frage dürfte nun diverse Gerichtsinstanzen im ganzen Land beschäftigen und wohl letztlich vom Supreme Court gelöst werden.

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