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Nach Kritik an schwuler Oper
Deutscher Bühnenverein wirft "Zeit" Homophobie vor
Eine Glosse von Musikkritikerin Christine Lemke-Matwey über das "jämmerliche" Stück "Edward II." an der Deutschen Oper Berlin schlägt hohe Wellen.

Die Oper über den schwulen Mittelalter-Monarchen wurde mit sehr aktuellen Bezügen inszeniert – für "Zeit"-Kriikerin Christine Lemke-Matwey ein "erstaunlich vitaler Opfersinn in der emanzipierten Gemeinde" (Bild: Monika Rittershaus)
- 25. Februar 2017, 06:09h 4 Min.
Der Präsident des Deutschen Bühnenvereins, Ulrich Khuon, hat mit einem Offenen Brief auf eine Glosse der Musikkritikerin Christine Lemke-Matwey in der Wochenzeitung "Die Zeit" reagiert, die zuvor bereits in sozialen Netzwerken heftig kritisiert wurde. Er sei "verblüfft und erschrocken", wie die Journalistin "die von ihr beanstandete mangelnde Qualität der Oper 'Edward II.' in der Deutschen Oper Berlin kurzschließt mit der Homosexualität des Regieteams".
Unter der Überschrift "Dann doch lieber eine Kreuzfahrt!" hatte Lemke-Matwey das Stück über den homosexuellen englischen Monarchen aus dem 14. Jahrhundert komplett verrissen – nach einigen Ausführungen über die für April geplante "Rainbow Cruise", mit der sie das Stück als Angebot "für die schwule Community" vergleicht.
In dem Text, der bislang nur in der Printausgabe veröffentlicht wurde, heißt es: "Der Komponist der Oper: schwul. Der Librettist: schwul. Der Regisseur: schwul. Der Dirigent: wissen wir nicht. Der Intendant: schwul. Der Chefdramaturg: auch. So weit, so gut und schon deshalb kaum erwähnenswert, als sich Oper und Homosexualität von Haus aus nahe sind, nicht nur in Berlin. Man fragt sich allerdings, wie die geballte schwule Bühnenkreativwirtschaft ein derart jämmerliches Stück hervorbringen kann."

Schwule Küsse in der Deutschen Oper: König Edward (Michael Nagy, re.) und sein Liebhaber Piers de Gaveston (Ladislav Elgr) (Bild: Monika Rittershaus)
"Heiligt der Zweck – die Männerliebe als große repräsentative Oper – wirklich alle seichten Mittel?", fragt die "Zeit"-Autorin weiter. "Jedes Brustwarzenpiercing, jeden Federfummel, jedes Papp-Demo-Schild ('Homos raus!') und jedes Schlagzeugklöppeln und Synthesizerjaulen im Orchestergraben?"
In Bonn vor 30 oder 40 Jahren hätte man die Aufführung "für ihren Mut bewundert", so Lemke-Matwey, im Berlin des Jahres 2017 sei sie "aus der Zeit" gefallen: "Sicher ist auch in über 400 Jahren heterosexuell grundierter Operngeschichte nicht alles Gold, was glänzt. Mozart, Verdi und Alban Berg aber ging es nie nur um Sex, so wie es der Berliner Edward jetzt für sich reklamiert."
Khuon: "homophobe Bilder und Zuschreibungen"
Bühnenvereins-Präsident Ulrich Khuon wirft Lemke-Matwey in seinem Offenen Brief vor, "alte, homophobe Bilder und Zuschreibungen" zu reproduzieren: "'Schwul' wird hier als Zuschreibung benutzt, die Menschen auf ein einziges Merkmal reduziert – als wäre klar, welche Träume, Haltungen, Wünsche, Geschmäcker der Komponist, Librettist, Intendant haben, weil sie schwul sind; als wäre damit schon gesagt, um was für Menschen es sich handelt. Das ist ein Merkmal diskriminierender Diskurse."
Die "Zeit"-Glosse passe "in eine Tendenz forcierter normativer Normalitätswünsche und einen sich schon wieder auflösenden Respekt vor Diversität", schreibt Khuon weiter. "'Man wird doch mal sagen dürfen', lautet die Devise."
Theater als Ort der Kollaboration könne sich jedoch nicht auf verkürzte Antworten beschränken, so der Präsident des Deutschen Bühnenvereins: "Vielmehr kann hier ein gelebter Universalismus, der Differenzen und unterschiedliche Bedürfnisse anerkennt, sie aber nicht wertet, als Entwurf erprobt werden. Das macht viel Arbeit und bedeutet ständige Aushandlung, Reibung, Überprüfung der eigenen Perspektiven und Zusammenhänge – ist aber ein Weg, über sich und die eigenen Horizonte und Begrenzungen hinauszuwachsen."
Kritik auch von der "neuen musikzeitung"
Einen "Rückfall in einen Schreibstil, den man ansonsten in der Adenauerzeit verorten würde", kritisierte auch der Komponist Alexander Strauch in einem Beitrag für die "neue musikzeitung": "Verfolgt man andere Kritiken zur Premiere, wird zwischen Musik, Text, musikalischer, bildnerischer und szenischer Interpretation differenziert, mal das eine, mal das andere besser bewertet. Die Zeit ist hier im Ergebnis nur eines: homophob."
Strauch warf Lemke-Mattwey unzulässige Outings und "rosa Listen" vor: "Statt in der Kürze handwerklich einigermassen mit ihrem Zorn zurecht zu kommen, werden die Künstler auf eine einzige Facette ihrer Existenz reduziert und darin zu Versagern abgestempelt. Vor 10, 20, 30 Jahren, je nach Land, Metier und Schicht, genügte dies, um damit Karrieren komplett zu ruinieren."
Noch drei weitere Aufführungen
"Edward II." hatte am 19. Februar in der Deutschen Oper Berlin Premiere. Komponiert wurde die Oper von dem Schweizer Andrea L. Scartazzini, nach einem Libretto von Thomas Jonigk. Im Mittelpunkt steht die Dreiecksbeziehung zwischen König Edward (Michael Nagy), seiner Frau Isabella (Agneta Eichenholz) und seinem Liebhaber Piers de Gaveston (Ladislav Elgr). Weitere Vorstellungen gibt es am 1., 4. und 9. März. (cw)
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