Frau Ministerpräsidentin, in einem "Fresh"-Interview hat sich Ihr Herausforderer, der CDU-Vorsitzende Armin Laschet, gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechliche Paare ausgesprochen. Er ist der Auffassung, dass das Grundgesetz diese nicht zulasse, da dort die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau definiert sei. Sehen Sie das auch so?
Klare Antwort: nein! Wir wollen die Ehe für alle. Der Ehebegriff im Grundgesetz sieht die Verschiedengeschlechtlichkeit nicht vor. Eine einfache gesetzliche Regelung ist daher – ohne Verfassungsänderung – möglich. Das ist Beschlusslage der SPD. In Deutschland ist es Zeit für ein klares Ja zur modernen Gesellschaft. Und die Ehe für alle gehört für mich dazu.
Die rot-grüne NRW-Landesregierung hat mit dem "Aktionsplan für Gleichstellung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt – gegen Homo- und Transphobie" ein umfangreiches Programm auf die Beine gestellt. Wie sehen sie denn Ihre eigene Bilanz?
NRW hat seit 2010 auf dem Weg zu einer Gesellschaft der Vielfalt bereits viel erreicht. Wir waren das erste Flächenland mit einem Aktionsplan und damit Vorreiter. Sogar die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz hat das als beispielhaft gelobt. Viele der 100 Maßnahmen sind in laufende Programme, Gesetze und weitere Vorhaben eingegangen. In NRW werden zum Beispiel nun bei der rechtlichen Gleichstellung im Besoldungs- und Versorgungsrecht die Lebenspartnerschaft und die Ehe gleich behandelt.
Und auch im Bundesrecht wurden, zum Teil durch Initiativen auch von NRW, wesentliche Änderungen umgesetzt wie die Gleichstellung im Steuerrecht, die Stiefeltern- und Sukzessivadoption sowie der Verzicht auf den Geschlechtseintrag im Personenstandsrecht bei nicht eindeutigem Geschlecht. Wir werden auch weiterhin Koordinierungsstellen fördern und erfolgreiche Kampagnen wie "Anders und gleich – Nur Respekt Wirkt" fortführen.
Was ist mit dem Bereich Regenbogenfamilien, ist der nicht ausbaufähig? In NRW gibt es anders als in Berlin noch keine Familienberatungsstelle mit diesem Beratungsschwerpunkt.
Bei einem Treffen von Familienministerin Kampmann und der Landesarbeitsgemeinschaft Regenbogenfamilien NRW im April 2016 wurde deutlich, dass unser Familienbild bunt ist und Vielfalt anerkennt. Eine gute Basis ist der Familienbericht NRW, der sich in einem eigenen Kapitel den Regenbogenfamilien widmet. Grundsätzlich gilt, dass Familienberatung alle Familien anspricht. Das Familienministerium hat im Jahr 2015 ein Projekt des Vereins vielfältig gefördert, das unter anderem spezifische Beratung für Regenbogenfamilien anbietet. Wie gut das Angebot für diese Familien in NRW ist, zeigt auch das vom Bund geförderte Projekt des Lesben- und Schwulenverbands "Beratungskompetenz Regenbogenfamilie". 13 von 22 empfohlenen Beratungsangeboten stammen aus NRW.
Erst 1994 wurde der Paragraf 175, der männliche Homosexualität unter Strafe stellte, endgültig abgeschafft. Im benachbarten Rheinland-Pfalz stellte die Landesregierung einen Forschungsbericht über die Aufarbeitung der Folgen dieses Paragrafen vor. Ist so etwas auch in NRW geplant?
Die Rehabilitierung der nach 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten ist der Landesregierung ein wichtiges Anliegen. Der damalige Paragraf 175 wäre nach heutigem Verständnis mit der Menschenwürde unvereinbar. Wir hatten bereits im Oktober 2012 den Bund über den Bundesrat aufgefordert, Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung zu ergreifen. Dem Thema Rehabilitierung wurde zudem ein Kapitel im Aktionsplan gegen Homophobie gewidmet und es stand bei den Hirschfeld-Tagen 2014 im Fokus.
Die Hirschfeld-Tage stehen für Akzeptanz sexueller Vielfalt und erinnern an die Verfolgung und Repression von Homosexuellen von der Nazizeit bis in die frühe Bundesrepublik. In vielen Vorträgen, Lesungen und Workshops, aber auch in Aufführungen und Ausstellungen hat NRW zusammen mit über 50 Organisationen ein Zeichen gegen das Vergessen gesetzt.
Anfang 2015 startete zudem ein von der Landeszentrale für politische Bildung NRW gefördertes Projekt zur Aufarbeitung der Diskriminierung von Homosexuellen-Lebenswegen in den Jahren 1945 bis 1969 durch Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Ende 2016 hat das Bundesjustizministerium einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem eine Rehabilitierung und eine Entschädigung für die Betroffenen erreicht werden soll. Das begrüßen wir sehr.
Bereits 2011 bekam Hannelore Kraft für ihre Verdienste in der LGBTI-Politik die "Kompassnadel" des Schwulen Netzwerks und der Aidshilfe NRW verliehen (Bild: Schwules Netzwerk NRW)
NRW ist bekanntlich ein Flächenland. Queere Szene und Kultur sind in Städten wie Köln oder Düsseldorf fester Bestandteil des Stadtbildes und der Stadtgesellschaft. Anders sieht es im ländlichen Raum aus. Welche Möglichkeiten sehen Sie, Initiativen wie etwa LGBTI-Jugendarbeit im ländlichen Raum zu fördern?
Besonders das Modellprojekt Niederrhein des Sozialvereins für Lesben und Schwule hat es sich zum Ziel gemacht, modellhaft Lösungen für den ländlichen Raum zu entwickeln und praktisch zu erproben. Bei der Entwicklung passender Angebote für junge Menschen werden die Träger vor allem der Offenen Jugendarbeit von der NRW-Fachberatungsstelle "gerne anders!" unterstützt. Insgesamt ist NRW in diesem Bereich gut aufgestellt und hat von Bielefeld über das Münsterland bis an den Niederrhein gut erreichbare und verlässliche Strukturen der Offenen Kinder-und Jugendarbeit für LGBTI-Jugendliche. Das Land hat hierfür in dieser Legislaturperiode rund 1,6 Mio. Euro bereitgestellt.
Ein wichtiger Baustein gegen Diskriminierung ist politische Bildung. Welche Möglichkeiten sehen Sie hier, die Aufklärung bei LGBTI-Themen zu verbessern?
Ein Baustein im Rahmen der politischen Bildung ist die Aufklärung und Information. Die Landeszentrale für politische Bildung bietet daher in ihrem Schriftenprogramm auch Titel dazu an. Thema ist zum Beispiel, wodurch das Geschlechterverhältnis in Deutschland geprägt wird und welche Rolle dabei Kultur und Religion, Migrationshintergrund und Hautfarbe spielen. Wir zeigen, dass wir politische Bildung in diesem Bereich sehr ernst nehmen.
Ein deutliches Zeichen für ein vielfältiges NRW sind sicher die über zehn CSD-Straßen- und -Kulturfeste. Werden Sie diese Ziele in diesem Jahr mit uns auf einer CSD-Bühne vertreten?
Ich würde gern wieder einmal bei einem CSD dabei sein, kann aber leider noch keine Zusage machen. In der Zeit bin ich ja hoffentlich noch in Koalitionsverhandlungen. (lacht)
Welche Wünsche haben Sie an die LGBTI-Community?
Die Community soll einfach so bleiben wie sie ist: bunt, engagiert, vielfältig und auch manchmal unbequem! Lesben, Schwule und Trans*Menschen sind Teil unserer offenen Gesellschaft und bereichern diese. Sie schotten sich nicht ab. Auf den CSD-Veranstaltungen im ganzen Land kommen sie mit Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch und werben für Akzeptanz. Und auch das restliche Jahr machen sie deutlich: Menschen in NRW sind verschieden und das ist auch gut so. Ich sehe in der Unterschiedlichkeit von Menschen keinen Nachteil, sondern ganz im Gegenteil eine Bereicherung für uns alle.