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Ab Donnerstag im Kino
Ein filmisches Denkmal für den Hoden-Nagler
Irene Langemann porträtiert mit "Pawlenski – Der Mensch und die Macht" den titelgebenden Aktionskünstler und seinen provokanten Kampf gegen den russischen Staat.

Aktion "Fixierung": Im November 2013 setzte sich Pjotr Pawlenski nackt auf den Roten Platz in Moskau und nagelte seine Genitalien fest – aus Protest gegen die politische Gleichgültigkeit der russischen Gesellschaft (Bild: Lichtfilm)
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14. März 2017, 05:35h 3 Min.
Zuletzt sorgte der Künstler Pjotr Pawlenski Mitte Januar für Schlagzeilen: Zum wiederholten Male ist der 32-Jährige nämlich ins Visier der russischen Justiz geraten – nun aber nicht wegen einer seiner provokanten Aktionen, sondern weil ihm – sowie seiner Lebensgefährtin Oksana Schalygina – sexuelle Übergriffe an einer Schauspielerin vorgeworfen werden. Das Paar beteuert hingegen, Opfer einer politischen Intrige zu sein, und ist mit den beiden Töchtern bereits im Dezember 2016 nach Paris geflohen, um hier um politisches Asyl zu bitten. Was an den Anschuldigen tatsächlich dran ist, wird hoffentlich die Zukunft zeigen.
Wie unerschrocken sich Pawlenski in der Vergangenheit immer wieder dem russischen Regime gestellt hat, dokumentiert die Filmemacherin Irene Langemann mit "Pawlenski – Der Mensch und die Macht". Die in Sibirien aufgewachsene Regisseurin beginnt ihren Film mit den Bildern, die den Protagonisten weltweit bekannt gemacht haben: Mit zugenähten Lippen protestiert der Künstler 2012 gegen die Inhaftierung von Mitgliedern der Band Pussy Riot, oder er lässt sich in Sankt Petersburg, wo das Gesetz gegen Homo-"Propaganda" erfunden wurde, nackt in einen Kokon aus Stacheldraht einwickeln.
Politische Kunst, die unter die Haut geht

Poster zum Film: "Pawlenski – Der Mensch und die Macht" startet am 16. März 2017 in deutschen Kinos
Pawlenskis Aktionen gehen im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut, mit Hilfe seines Körpers schafft er leibhaftige Metaphern. Dabei erweisen sich seine gewählten Motive weder als originell (die zugenähten Lippen rufen David Woijnarowicz in Erinnerung und wurden in der letzten Dekade vor allem von Asylsuchenden wiederholt als Protestform gewählt) noch als sonderlich subtil. Dass Pawlenski seiner Sicht, der Staat halte die russischen Bürger an den Eiern gepackt, Ausdruck dadurch verleiht, dass er seinen Hodensack auf dem Pflaster des Roten Platzes festnagelt, darf dennoch erstaunen.
Teil einer großen Oppositionsbewegung wollte der Individualist nie sein. Auch Russlands LGBTI-Community rief Pawlenski zu eigenen Aktionen und Protesten gegen die homophobe russische Gesetzgebung auf. "Ich bin unbedingt für die Überwindung sexueller Unterdrückung und von Tabus, aber sie sind diejenigen, die selbst realisieren müssen, was los ist", sagte er Ende 2013 in einem Interview mit dem Magazin "VICE".
Zugleich macht Dokumentarfilmerin Langemann klar, dass die Aktionskunst ihres Titelhelden nicht allein im publikumswirksamen Malträtieren des eigenen Körpers besteht. Die anschließende Konfrontation mit Polizei, Justiz und Medien ist nämlich stets ebenso Teil der Performance. Pawlenski ist Schöpfer und zugleich stoisches Zentrum einer entlarvenden Choreografie, die vorführt, wie das politische System arbeitet.
Der Preis der Heroisierung
In stilisierten Rekonstruktionen, die visuell Scherenschnitten nachempfunden sind, gibt Langemann Einblicke in Gerichtsverhandlungen und Verhöre, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden haben. Pawlenski erweist sich dabei als schlagfertiger Redner und Mann, der seinen Taten Worte folgen lässt. Diese Einsichten in das künstlerisches Programm des Künstlers, dürften auch denen Pawlenskis Werk näherbringen, die sich von den Aktionen allein eher abgestoßen fühlen.
Dennoch bleibt am Ende der Eindruck, dass Langemanns Film stellenweise bloß an der Oberfläche kratzt und sich mitunter in Lobhudelei verliert. Wenn die Filmemacherin ihrem Protagonisten in der letzten Szene (wenn auch mit einem Augenzwinkern) ein Denkmal setzt, mag man daher nur bedingt zustimmen. Denn der Preis für diese Heroisierung ist eine filmische Auseinandersetzung, die sowohl den Widersprüchen in Pawlenskis Werk als auch denen des russischen Staats zu wenig Beachtung schenkt.
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Pawlenski – Der Mensch und die Macht. Dokumentarfilm. Deutschland/Russland 2016. Regie: Irene Langemann. Laufzeit: 99 Minuten. Sprache: russische Originalfassung mit deutschen Untertiteln. FSK 16. Verleih: Lichtfilm. Kinostart: 16. März 2017. Deutschlandpremiere am 15. März um 20 Uhr im Filmforum NRW in Köln.
Links zum Thema:
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20:15h, 3sat:
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