Das frühere SPD-Mitglied Frank-Christian Hansel ist einer der Gründer der Berliner AfD und sitzt seit der Wahl im letzten September im Abgeordnetenhaus
Thema verfehlt: Der Berliner AfD-Abgeordnete Frank-Christian Hansel hat sich ausgerechnet bei einer Debatte im Abgeordnetenhaus zur geplanten Rehabilitierung und Entschädigung der Männer, die nach 1945 aufgrund ihrer Homosexualität verurteilt wurden, gegen LGBTI-Rechte ausgesprochen. Außerdem nutzte er die Pläne der Bundesregierung, um gegen Muslime und Flüchtlinge zu hetzen sowie um seine Partei als verfolgte Minderheit darzustellen.
Die Debatte am Donnerstag befasste sich mit einem Antrag der FDP-Fraktion, sich im Bundesrat für eine Ergänzung der Entschädigung der Opfer der staatlichen Schwulenverfolgung um eine Rente starkzumachen. Sebastian Czaja (FDP), Melanie Kühnemann (SPD), Stefan Evers (CDU), Carsten Schatz (Die Linke) und Sebastian Walter (Grüne) gelang eine Diskussion mit vergleichsweise wenig Parteienstreit und vielen angemessenen Worten über die Opfer. Die Debatte lässt sich beim rbb online ansehen.
Hansel hingegen ging nur kurz auf die nach Paragraf 175 verurteilten Männer ein, für die man die bundesgesetzliche Entschädigungslösung begrüße. Man wisse, dass "das jeweils erduldete Leid nicht mehr aus der Welt zu schaffen" sei, auch "viel zu oft nicht gelebtes individuelles Liebesglück vieler Tausender" sei nicht mehr rückholbar.
Direkt im Anschluss betonte Hansel unvermittelt, dass die AfD nicht homophob sei, wenn sie die Ehe für alle ablehne: "Die grundgesetzlich gebotene Privilegierung von Familien mit Kindern" bedeute "keine Diskriminierung von anderen Lebensgemeinschaften, die gegebenfalls kinderlos bleiben. Wer sich für mehr Kinder in Familien einsetzt, ist im Umkehrschluss nicht homophob."
Wie ein Großteil von Hansels Rede stammt die Aussage aus den Antworten der Berliner AfD zu den Wahlprüfsteinen des LSVD zur letztjährigen Abgeordnetenhauswahl (PDF). Darin wird die Gleichstellung homosexueller Paare als "umgesetzt" bezeichnet und ist von "theoretisch ausgeschlossener Nachwuchsproduktion" die Rede. Der Magdeburger AfD-Abgeordnete Hans-Thomas Tillschneider hatte die "Privilegierung" der Hetero-Ehe kürzlich so begründet, dass die Kinder produzierende Familie "für den Fortbestand unseres Volkes unverzichtbar" sei. Ähnlich wurde einst die Verschärfung des Paragrafen 175 begründet.
Vorgelesene Wahlprüfsteine mit Auslassungen
Die Partei stehe immerhin "vollumfänglich hinter der Eingetragenen Lebenspartnerschaft mit all ihren Rechten und Pflichten", so Hansel erneut aus dem Schreiben an den LSVD zitierend. Ein entsprechendes Bekenntnis hat es jedoch nicht in das Berliner und in das Bundes-Wahlprogramm geschafft und ist auch nicht im Grundsatzprogramm der Partei enthalten, trotz gestellten Antrags (queer.de berichtete).
"Die AfD erkennt schwul-lesbische Lebensformen als Ausdruck einer freien Gesellschaft an und steht auch für den Schutz dieser Minderheiten", meinte der selbst schwule Politiker in seiner Rede weiter – in den Wahlprüfsteinen wendet sich die Berliner AfD gegen eine Aufnahme des Merkmals "sexuelle Identität" in das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes und gegen eine Weiterentwicklung der Landes-Initiative zur Akzeptanz sexueller Vielfalt. In einem anderen Teil der Plenardebatte hatte der Abgeordnete Stefan Franz Kerker Gelder für "Transgender-Toiletten" beklagt: "Ich habe noch keinen Transgender gesehen, der an einer kaputten Blase gestorben wäre."
"Wir haben nie gegen Schwule gehetzt, zumindest in der Berliner AfD. Wir hetzen auch nicht gegen Transgender", sagte Hansel in der Debatte. "Wir sind keine Populisten. Wir zündeln auch nicht." Diese Bilder sollen rechts den Berliner AfD-Politiker Jörg Sobolewski beim Abfackeln einer Regenbogenflagge zeigen, was von ihm nicht dementiert wurde. Die AfD hatte den Vorgang als "nicht so spektakulär" bezeichnet und Soboloweski kürzlich auf den Listenplatz 7 für den Bundestag aufgestellt (queer.de berichtete). Auf Listenplatz 1 dürfte Beatrix von Storch in das Parlament einziehen.
Der beste Schutz Homosexueller sei "die Durchsetzung des Rechts in Deutschland und ein glaubwürdiges Bekenntnis aller Migranten zur FDGO", so Hansel. "Spielraum für islamisches Scharia-Recht oder irgendwelche anderen schwulenfeindlichen Religionslehren, die sich gegen Homosexuelle richten, darf es in Deutschland nicht und nie wieder geben." Auf andere Religionen und ihre Fürstreiter, etwa die christlich-fundamentalistische Aktivistin und Berliner AfD-Landesvorsitzende Beatrix von Storch, die aktiv LGBTI-Rechte bekämpft, ging er nicht ein.
Die "Ausgrenzung" der AfD als neues "Unrecht"
Den folgenden Teil seiner Rede nutzte Hansel, um die AfD als eine insbesondere von Homosexuellen verfolgte Minderheit darzustellen. Es scheine "in der schwul-lesbischen Funktionärscommunity noch nicht angekommen zu sein, dass man gerade als Homosexueller eine islamkritische Meinung haben darf – wenn nicht sogar muss -, ohne dafür beschimpft oder gesellschaftlich ausgegrenzt zu werden." So sei es ein Skandal, dass der Regenbogenfonds der schwulen Wirte die AfD auch in diesem Jahr wieder vom Motzstraßenfest ausschließen wolle.
Und so meinte Hansel in dieser Debatte zum Paragrafen 175 dann allen Ernstes: "Es geht uns um die gesellschaftliche Ächtung im Jahr 2017, aufgrund einer politischen Meinung. Uns geht es um den Skandal, dass heute gesellschaftlich ausgegrenzt wird, wer sich als AfDler oder als Sympathisant der AfD outet. Uns geht es um den Skandal, dass es im Jahre 2017, in dem wir uns für den Versuch einer Widergutmachung vergangenen Unrechts bemühen, möglich ist, auch ohne Strafparagafen sozial geächtet zu werden, wenn man offen nicht schwul, aber AfD ist."
Warnung vor Scharia-Recht
Es sei "alleine die AfD, die konsequent dafür eintritt, dass auch in 20 Jahren homosexuelle Paare ungestört und ohne Scharia-Wächter berlinweit händchenhaltend durch unsere Straßen flanieren können", malte Hansel ein rassistisches Horrorszenario an die Wand. "Wir wollen verhindern, dass bestimmte Migranten […], dass auch in 20 Jahren möglicherweise [ein] islamisch begründeter 175 hier eingeführt wird." Die restlichen Parteien sollten sich dem anschließen, so Hansels Schlusswort: "Denn dann hätte diese Debatte heute auch ihren Sinn."
Eine Debatte, in der es bei allen anderen Rednern um die Schuld und Reue der deutschen Politik für die jahrzehntelange Verfolgung Zehntausender Homosexueller ging (nach einem Paragrafen, der über mittelalterliches Strafrecht in direkter Linie zum Alten Testament steht, wie über Kolonisation zugleich übrigens die meiste heute noch stattfindende Schwulenverfolgung), macht nach Ansicht der AfD also nur Sinn, wenn man stattdessen einzig über "islamisch" begründete Schwulenverfolgung redet – und auch nur im angsteinflößenden, nicht an Lösungsansätzen interessierten Ton.
Auch in sozialen Netzwerken nutzte die AfD die Debatte zum Paragraf 175 vor allem für eigene Themen
Die von der AfD regelmäßig abgewerteten Szeneverbände leisten hier übrigens von lokaler bis internationaler Ebene durchaus Produktiveres – und schauen auch nicht weg, wenn mit Beatrix von Storchs "Initiative Familienschutz" oder der "Demo für alle" verbundene evangelikale Organisationen in christlichen afrikanischen Staaten für eine Bestrafung Homosexueller kämpfen oder in Russland LGBTI zum Ziel staatlicher Propaganda und absurder Gesetze werden.
Und während wohl auch in 20 Jahren Muslime in deutschen Parlamenten weiterhin eher unterrepräsentiert sein dürften, kommt die AfD inzwischen auf, Stand Sonntagmorgen, beachtliche 147 Landtagsabgeordnete, die mit Unterstützung staatlich bezahlter Mitarbeiter eine im wiedervereinigten Deutschland beispiellose Hetze gegen LGBTI betreiben.
So wie in Sachsen-Anhalt, wo der AfD-Abgeordnete Andreas Gehlmann im vergangenen Jahr in einem Zwischenruf Haftstrafen für Homosexuelle – und damit also die Wiedereinführung des Paragrafen 175 – forderte (queer.de berichtete).
Auch seine Fraktionskollegen wetterten in einer anderen Sitzung derart gegen Homosexualität als "Fehler der Natur", "Abweichung" und "Irrtum", der "lebensgefährlich für die Menschheitsfamilie" sei, dass CDU-Innenminister Holger Stahlknecht danach in bedächtiger Stimme warnte, das sei nicht mehr weit entfernt von einer Unterscheidung zwischem wertem und unwertem Leben: "Wir hatten einmal eine Zäsur in unserer Geschichte […] Ich möchte nicht, dass wir der Versuchung erliegen, dass sich Gleiches, wenn auch nur ansatzweise, noch einmal wiederholt."
Wie in diesem queer.de-Artikel (und vorausgehenden) ist es notwendig, dass in Parlamentsdebatten einerseits die neuen Nazis im hellblauem AfD-Gewand mit ihrer Homo- und Transphobie zitiert werden, andererseits den kleinen Vereinen und (leider) wenigen Aktivist*innen der LGBT-Community gedankt wird für ihren Einsatz - die sich einsetzen für die notwendige Aufklärungsarbeit an Schulen, Gewaltopfer unterstützen und solidarisch sind gegen Ausgrenzung aufgrund von Herkunft, Weltanschauung, Geschlecht, sexueller oder geschlechtlicher Identität. Dieses Gegenmodell zu Kelle, von Storch, Gauland, le Pen, einigen Bischöfen (Laun) usw. wirft eine andere Perspektive auf die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland und Europas, anders als das Unterwerfungs- / Islamisierungs- / Übersexualisierungs- / Anti-Gleichstellungs-Geblubber dieser christlich-fundamentalistischen und nationalfaschistischen Kräfte.
Dann werden auch die Widersprüche der AfD deutlich, in die sie sich ihre Vertreter*innen verstricken, wie in dieser Berliner Hetzrede: von Muslimin*innen ein "Bekenntnis zur FDGO" einfordern, aber dies weder bei ihren Parteifreunden im Saarland oder Sachsen gewährleisten zu können, noch den grundgesetzlichen und staatlichen Schutz für LGBTI zu unterstützen - und nicht nur, wenn es darum geht gegen "Ausländer", Geflüchtete und Menschen muslimischen Glaubens zu hetzen.