Einige Tage nach Europarat, Europaparlament und mehreren europäischen Regierungen sowie etlichen Menschenrechtsorganisationen hat am Freitag auch das Auswärtige Amt zu der Verschleppung schwuler Männer in Tschetschenien Stellung genommen.
"Die Nachrichten aus Russland über die Verfolgung Homosexueller in Tschetschenien beunruhigen mich zutiefst", sagte der Koordinator der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft, Gernot Erler, in einer auf der Webseite des Amts verbreiteten Stellungnahme.
Der SPD-Politiker forderte "die russische Regierung dazu auf, diesen schrecklichen Meldungen nachzugehen und, sollten sie sich als richtig herausstellen, den Betroffenen sofort notwendige Unterstützung zu gewähren und die Täter zur Verantwortung zu ziehen". Erler erinnerte Russland an internationale Verpflichtungen zum Recht auf Leben, zum Folterverbot und zum Recht auf Freheit und Sicherheit.
Schwere Vorwürfe, wenig Resonanz
Am letzten Samstag hatte die Zeitung "Novaya Gazeta" berichtet, dass in den letzten Wochen über 100 Männer wegen tatsächlicher oder angeblicher Homosexualität von Sicherheitskräften entführt, gefoltert, erpresst und teilweise getötet worden seien. Die für die Recherchen verantwortliche Redakteurin der Zeitung und der russische LGBT-Verband gehen von 20 bis 50 Toten aus.
Während das LGBT Network eine Hotline für Betroffene eingerichtet hat und nach eigenen Angaben bis Freitag fünf Menschen bei einer Flucht aus der Region helfen konnte ("Enough is Enough" und das Aktionsbündnis gegen Homophobie haben dazu ein Spendenkonto eingerichtet), hatte die Zeitung in der Nacht zum Mittwoch nachgelegt und Augenzeugenberichte und die Adresse eines Geheimgefängnisses in Argun in der Nähe der Hauptstadt Grosny veröffentlicht. Auch beschuldigte sie den tschetschenischen Parlamentsvorsitzenden Magomed Daudow, die Aktionen angeordnet zu haben.
Der zweite, detaillierte Bericht der "Novaya Gazeta"
Konsequenzen in der Politik in Moskau und Grosny oder weitere Medienrecherchen vor Ort hatte das bislang nicht ausgelöst. Nur die Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation, Tatjana Nikolajewna Moskalkowa, hat inzwischen angekündigt, der Sache mit Anfragen an die regionalen Ministerien und föderalen Ermittlungsbehörden auf den Grund gehen zu wollen.
Indifferenz in Moskau, Hetze in Grosny
Aus Grosny kamen bis Freitag nur empörte Dementis. Alwi Karimow, der Sprecher des Präsidenten Ramsan Kadyrow, sagte: "Du kannst keine Personen verhaften oder unterdrücken, die in der Republik nicht existieren. Falls solche Menschen in Tschetschenien existieren würden, hätten ihre Verwandten sie zu einem Ort geschickt, von dem sie nicht zurückkehren können." Heda Saratow vom Menschenrechtsrat der autonomen Republik hatte betont, dass Bürger alles tun würden, damit es keine LGBT in ihrem Land gebe.
Die Äußerungen empörten auch die deutsche Bundesregierung. Diese erwarte "von der russischen Regierung, dass die von lokalen Behörden in Tschetschenien gemachten Aussagen nicht toleriert werden", so Erler in seiner Stellungnahme. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatte am Montag einen Kommentar zu den Äußerungen abgelehnt, da er "kein großer Experte" zu Homosexualität sei. Die angeblichen Taten seien zudem eine Frage für die Justiz, nicht die Politik.
Der russische Präsident Wladimir Putin (l.) lässt seinen "Statthalter" in Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, in der Regel kritiklos gewähren – Einsatz von Milizen, Morde und Folter eingeschlossen
Empörung und Solidarität kann derweil auch die Community zeigen: Nach bereits erfolgten Mahnwachen in München und Nürnberg ist an diesem Samstag ein Trauermarsch in Berlin geplant, zu dem "Enough is Enough", das Aktionsbündnis gegen Homophobie und Quarteera eingeladen haben. Start ist um 15 Uhr am Auswärtigen Amt, die Demo endet später mit einer Kundgebung vor der Russischen Botschaft. Für Montag ruft zudem der RosaLinde e.V. zu einer Kundgebung in Leipzig ab 19 Uhr vor dem Russischen Generalkonsulat auf.
Update 16.45h: Videos von Berliner "Trauermarsch"
Mehrere hundert Menschen sind am Samstag vom Auswärtigen Amt in Berlin zur russischen Botschaft demonstriert. Zum Abschluss des "Trauermarsches" von "Enough is Enough", Aktionsbündnis gegen Homophobie und Quarteera gab es mehrere Reden:
Es muss jetzt eine aufklärung geben.
Und wenn nichts kommt aus moskau oder grosny, dann muss eben sigmar ran, und tacheles sprechen.
Aber als erstes brauchen jetzt verfolgte eine sichere burg. Und hier sollte die bundesregierung hilfestellung geben. Das heisst auch asyl für schwule männer aus tschetschenuen aufgrund sexueller verfolgung muss gesichert sein.