Die Ukraine blieb stur: Julia Samoilowa darf nicht einreisen
Genau einen Monat vor dem Finale des diesjährigen Eurovision Song Contest 2017 in Kiew hat der russische Staatssender Perwy Kanal am Donnerstag angekündigt, nicht am Wettbewerb teilzunehmen und die Sendung auch nicht auszustrahlen.
Der Entscheidung vorausgegangen war eine wochenlange Propagandaschlacht: Erst kurz vor Ende der Deadline hatte der russische Sender die Sängerin Julia Samoilowa, die seit ihrer Kindheit wegen einer seltenen Erkrankung des Rückenmarks im Rollstuhl sitzt, als seine Vertreterin bekannt gegeben (queer.de berichtete). Vermutlich wusste er da schon, dass diese 2015 auf der kurz zuvor von Russland annektierten Krim aufgetreten war.
Direktlink | Bis heute streiten Fans, ob Russland ernsthaft vorhatte, Julia Samoilowa wirklich nach Kiew zu schicken oder ob sie als Schachfigur in einer Propagandaschlacht genutzt wurde. Ihrem Song selbst räumten jedenfalls nur wenige Fans hohe Punktzahlen ein.
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Die ukrainischen Behörden verhängten ihren Gesetzen entsprechend ein dreijähriges Einreiseverbot für die Sängerin, und Russland empörte sich recht kalkuliert über die Behandlung einer behinderten Sängerin bei einem Wettbewerb, der in diesem Jahr unter dem Motto "Celebrate Diversity" (Feiert die Vielfalt) steht (queer.de berichtete). Die angebliche Diskriminierung der Sängerin verstoße gegen die Regeln und Prinzipien des Wettbewerbs, kommentierte der Perwy Kanal so auch am Donnerstag.
EBU legte sich für Russland ins Zeug
Ungeschickt verhielt sich bei dem Streit vor allem die EBU: Erst brachte sie eine bislang nie praktizierte Satellitenzuschaltung des Live-Auftritts Samoilowas ins Gespräch (was Russland mit dem Hinweis ablehnte, man wolle keine Sonderbehandlung durch neue Regeln). Während man dann die ukrainischen Behörden zumindest um eine Verschiebung oder temporäre Aufhebung des Einreiseverbots bat, erhoffte man sich ebenso vergebens einen Ersatzkandidaten aus Russland.
Letztlich drohte die scheidende EBU-Chefin Ingrid Deltenre der Ukraine gar mit einer mehrjährigen Teilnahmesperre, sollte sie der Russin keine Möglichkeit für einen Auftritt bieten – die Frage, auf welche ESC-Regelungen sich Deltenre bei der Drohung überhaupt berufen will, blieb dabei ebenso unklar wie bei einem später aufgetauchten Telefonat von ihr mit russischen TV-Komikern. Die Männer, die in der Vergangenheit bereits Elton John reingelegt hatten (queer.de berichtete), entlockten ihr gar die Drohung gen Ukraine, den Wettbewerb in letzter Sekunde nach Berlin zu verlegen, sollte das Land nicht einlenken.
Deltenre hatte in dem Gespräch auch betont, dass aus ihrer Sicht der Vorjahresbeitrag der Ukraine politisch gewesen sei und nicht erlaubt hätte werden dürfen: Jamala hatte den Wettbewerb mit einem Lied über die Behandlung von Krimtartaren durch die Sowjetunion gewonnen. Russland, bei Wettbüros lange Favorit und am Abend Gewinner des Televotings, wurde in einem spannenden Abstimmungsprozedere letztlich nur Dritter. Danach hatten es einen wochenlangen russischen Shitstorm gegen den Contest und die abstimmenden Jurys gegeben.
Direktlink | Jamalas Lied ließ sich zweifellos als eine Anklage gegen Russland deuten, auch deswegen gewann sie den Contest. Der Einsatz der EBU eher auf russischer Seite überrascht nun doch etwas.
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In den Jahren zuvor waren bereits russische Vertreter in den ESC-Hallen ausgepfiffen worden, wegen des Gesetzes gegen Homo-"Propaganda" wie auch aufgrund der Krim-Krise. Das Land hatte aber bei Televoting und Jurystimmen immer wieder weit oben abgeschnitten.
Bald beginnen die Proben
Derweil kritisierte die EBU am Donnerstag erneut vor allem die Ukraine: Man verurteile die Entscheidung zu einem Einreiseverbot für die Sängerin, sagte Frank Dieter Freiling vom ZDF, der als Mitglied der "Reference Group" die Geschicke des ESC mitbegleitet. Diese Entscheidung untergrabe "die Integrität und nicht-politische Natur des Eurovision Song Contests und seine Mission, alle Nationen in einem freundschaftlichen Wettbewerb zusammenzubringen".
Zu möglichen Strafen verlor Freiling kein Wort – auch nicht gen Russland, dass durch den späten Rückzug samt Nichtausstrahlung immerhin einen tatsächlichen Regelverstoß begeht. Man hoffe dennoch auf einen "spektakulären" Wettbewerb, so die EBU.
Immerhin: Nachdem die Produktion vor wenigen Wochen noch wochenlang hinter dem Zeitplan lag und zwischenzeitlich einige Verantwortliche zurückgetreten waren, gibt es inzwischen erste Bilder vom Aufbau der Bühne. Die beiden Halbfinale des ESC finden am 9. und 11. Mai statt, am 13. Mai folgt das Finale.
Nach dem Rückzug Russlands, der in der Hoffnung aller Beteiligten nicht zu weiteren direkten und indirekten Provokationen und Störaktionen führt, treten 42 Länder in Kiew an; Italien, Bulgarien, Schweden und Portugal führen derzeit bei den Wettbüros die Rangliste an. Deutschland mit der Sängerin Isabella Levina Lueen liegt wie in den letzten Jahren weit hinten.
1. Anderer Interpret, aber gleicher Titel
2. Anderer Interpret mit anderem Titel
So gibt es nun endlich Gewißheit und das ist auch gut so.