Zu Update springen: Linke kritisiert Spahn als "psychologischen Musterfall eines um Anpassung bemühten schwulen Mannes" (17.20 Uhr)
Der CDU-Politiker Jens Spahn hat in einem am Mittwoch in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" veröffentlichten Interview beklagt, dass die Diskriminierung von Müttern angeblich oft weniger Beachtung fände als die von Homo-Paaren: "Die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften hat in manchen Kreisen inzwischen mehr Akzeptanz als die vollzeiterziehende Mutter. Beides hat Respekt verdient. Mehr Family-Mainstreaming statt immer nur Gender-Mainstreaming wäre mal was."
Gender-Mainstreaming umschreibt eine staatliche Strategie, die Gleichbehandlung der Geschlechter zu erreichen; sie gehört seit Ende der Neunzigerjahre zu den vertraglich festgelegten Zielen der Europäischen Union. Auf der rechten und rechtspopulistischen Seite des politischen Spektrums wird das Wortgebilde aber auch als Kampfbegriff gegen Schulaufklärung oder die Gleichbehandlung von Homosexuellen verwandt – etwa vom "Freiheitlich-konservativen Aufbruch in der Union" oder der AfD.
In dem Interview (Überschrift: "Die Deutschen sind satt geworden") wirft Spahn Gegnern auf der linken Seite des politischen Spektrums auch vor, "Toleranz für Intolerante" zu haben: "Warum gilt der Kampf für Frauen- und Schwulenrechte gegenüber einem konservativen Islam eigentlich auf einmal als rechts und konservativ?", fragt Spahn. Wichtig sei, "unsere Werte" zu bewahren.
Kritik an Muslimen und LGBTI-Aktivisten
Der 36-Jährige hatte in den letzten Jahren immer wieder Zwangsmaßnahmen für die Eingliederung von Muslimen gefordert – etwa ein Burkaverbot für Frauen oder ein Nacktduschgebot für Männer. Gleichzeitig kritisierte er LGBTI-Aktivisten, die seiner Meinung nach zu aggressive Forderungen stellten – sie sollten stattdessen Gegnern der Gleichbehandlung "Toleranz und Respekt" entgegenbringen. Trotz des erbitterten Widerstandes in seiner eigenen Partei betonte der Politiker aus Nordrhein-Westfalen, dass er die Ehe-Öffnung in Deutschland "noch in diesem Jahrzehnt" erwarte. Der Lesben- und Schwulenverband kritisierte Anfang des Jahres, dass Spahn Homophobie als allein muslimisches Problem ansehe und alle anderen Formen des Homo-Hasses ausblende (queer.de berichtete).
Spahn, der in der internationalen Presse schon als möglicher nächster Kanzler gehandelt wird, hat in den letzten Wochen sein konservatives Image in mehreren Interviews geschärft. So beklagte Spahn in einem in dieser Woche in der Ulmer "Südwestpresse" veröffentlichten Gespräch eine "importierte Homophobie" und zeigte sich erfreut, dass es auch in der "linken Schwulenszene" inzwischen "bürgerliche Wünsche nach Verbindlichkeit, Erwartungssicherheit und Ordnung" geben würde. In einem kürzlich veröffentlichten Interview mit dem Journalisten Klaus Kelle, dem Ehemann der aus Talkshows und der "Demo für alle" bekannten "Gender-Gaga"-Autorin Birgit Kelle, stellte er klar: "Der gemeinsame Gegner steht links und nicht in den eigenen Reihen."
Update 17.20 Uhr: Linke kritisiert Spahn als "psychologischen Musterfall eines um Anpassung bemühten schwulen Mannes"
Die Linkspartei in Nordrhein-Westfalen hat scharfe Kritik an den Äußerungen von Jens Spahn geübt. Jasper Prigge, der queerpolitische Sprecher der NRW-Linken, wirft Spahn in einer offiziellen Pressemitteilung der Partei vor, offenbar ein Problem mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit zu haben. "Anders ist nicht erklärbar, dass Spahn allen Ernstes davon faselt, dass gleichgeschlechtliche Paare in der Bundesrepublik mehr Akzeptanz genössen als 'vollzeiterziehende Frauen'. Fakt ist, dass ja gerade CDU und CSU die Öffnung der Ehe für schwule und lesbische Paare ebenso verhindert wie die notwendige Gleichstellung von Frauen und Männern im Erwerbsleben", so Prigge.
"Unerträglich" seien auch Spahns "erneute Angriffe auf Muslime". "Akzeptanz und Gleichstellung von Lesben und Schulen werden in der Bundesrepublik nicht durch sie gefährdet, sondern durch die reaktionären christlichen Ideologen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, deren Gefallen ja Spahn gerade mit seinen reaktionären Aussagen finden will."
Spahn wirke mit seinen Äußerungen "wie der psychologische Musterfall eines um Anpassung bemühten schwulen Mannes, der seine ihm wohl selbst als Makel erscheinende Homosexualität durch Angriffe auf Muslime, selbstbewusst lebende schwule Männer und alternative Lebensweisen zu kompensieren sucht, um in seinem reaktionären CDU-Umfeld akzeptiert zu werden."
Schwul und in der CDU ist bis heute ein Zeichen für "Ich wäre viel lieber hetero".