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Paragraf 175
Bundestag berät am Freitag in erster Lesung über Gesetz zur Rehabilitierung
Eine Gruppe verurteilter schwuler Männer will die Debatte von der Besuchertribüne des Plenarsaals verfolgen. Alle Details zum Regierungsentwurf.
- Von Manuel Izdebski
22. April 2017, 04:49h 4 Min.
Die Verabschiedung des Rehabilitierungs- und Entschädigungsgesetzes (PDF) für die nach Paragraf 175 verurteilten schwulen Männer geht in die entscheidende Phase. Am 28. April wird der Deutsche Bundestag den von Justizminister Heiko Maas (SPD) vorgelegten Gesetzesentwurf in erster Lesung beraten. Das Gesetz sieht vor, dass die bis 1994 in der Bundesrepublik (und früher in der DDR) gesprochenen Urteile pauschal aufgehoben werden. Außerdem können verurteilte Männer eine Entschädigung beantragen.
Es ist davon auszugehen, dass die Fraktionen von CDU/CSU und SPD den in der Regierungskoalition abgestimmten Entwurf unterstützen. Grüne und Linke haben bereits Änderungsanträge eingebracht (queer.de berichtete). Sie monieren u.a. die ihrer Meinung nach zu geringen Entschädigungsleistungen.
Am 1. Juni soll das Gesetz in dritter Lesung beschlossen werden. Alle Bundestagsfraktionen haben sich darauf geeinigt, auf eine Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss zu verzichten, um das Verfahren zu beschleunigen. Das Rehabilitierungsgesetz wird damit kurz vor der Sommerpause auf den letzten Metern der 18. Legislaturperiode verabschiedet. Es soll bereits am 1. Juli in Kraft treten.
Der Gesetzentwurf im Detail
Nach Paragraf 175 verurteilte Männer können dann innerhalb eines Zeitraums von maximal fünf Jahren ihre Entschädigung beantragen. Dafür sieht der Entwurf folgende Schritte vor:
Bei einer Staatsanwaltschaft muss zunächst eine Rehabilitierungsbescheinigung beantragt werden. Dazu genügt notfalls die einfache Glaubhaftmachung der Verurteilung mittels eidesstattlicher Erklärung. Viele Männer haben ihre Prozessunterlagen nicht aufbewahrt, und auch in den Archiven der Justizverwaltung sind viele Strafakten nicht mehr vorhanden. Die Staatsanwaltschaft stellt nach Prüfung die Rehabilitierungsbescheinigung aus.
Nur mit dieser Bescheinigung kann in einem zweiten Schritt beim Bundesjustizamt die Entschädigungsleistung beantragt werden. Für jedes aufgehobene Urteil gibt es pauschal 3.000 Euro und 1.500 Euro je angefangenes Haftjahr. Durch das pauschalisierte Entschädigungssystem wird auf eine langwierige Einzelfallprüfung der Ansprüche verzichtet.
Wer mehrfach nach Paragraf 175 verurteilt wurde, hat auch entsprechend höheren Anspruch (z.B. drei Verurteilungen = 9.000 Euro). Die Entschädigungsleistung für jedes angefangene Haftjahr gilt nicht nur für Haftstrafen im engeren Sinne, sondern für alle freiheitsentziehenden Maßnahmen, die durch Richterspruch zustande kamen, etwa Jugendarrest oder zwangsweise Unterbringung in einer Psychiatrie. Einen Entschädigungsanspruch hat nur die rehabilitierte Person.
Die Entschädigungsleistungen sind steuer- und pfändungsfrei und dürfen nicht auf Sozialleistungen angerechnet werden. Wer aktuell im Bundeszentralregister noch einen Eintrag hat, kann zugleich die Löschung beantragen. Das Rehabilitierungsgesetz gilt nicht für Vergehen mit Personen unter 14 Jahren, wenn ein Abhängigkeitsverhältnis bestand oder Sex mit Gewalt erzwungen wurde.
Schwule Senioren rechnen mit Antragswelle
Reinhard Klenke, Mitglied im Vorstand der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS), geht davon aus, dass gleich nach dem Inkrafttreten des Gesetzes eine erste Antragswelle erfolgt. "Wir entwickeln gerade verschiedene Handreichungen, um die zumeist betagten Männer bei ihrem Antrag zu unterstützen", erklärt Klenke. "Sinnvoll wäre auch eine telefonische Beratungshotline, aber dafür brauchen wir finanzielle Mittel."

Die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren hat auf CSDs für die Rehabiliierung und Entschädigung demonstriert
Schon jetzt hat die Senioreninitiative zahlreiche Beratungsanfragen verurteilter Männer, der älteste von ihnen ist 88 Jahre alt. Im Justizministerium rechnet man mit insgesamt 5.000 Entschädigungsbegehren. Dafür sollen in den nächsten fünf Jahren 30 Millionen Euro im Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden. Aktuell sind im Bundeszentralregister noch 2.976 Personen mit einer Vorstrafe nach Paragrafen 175 aufgeführt. Die meisten Einträge wurden bereits 1994 mit der Abschaffung des Paragrafen getilgt.
Eine "offene Baustelle" bleibt für Reinhard Klenke die Frage einer Kollektiventschädigung. Justizminister Heiko Maas will dafür der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld eine jährliche Förderung von 500.000 Euro zukommen lassen. Doch das wird nach Meinung von Klenke und seiner Senioreninitiative der Sache nicht gerecht: "Eine Kollektiventschädigung muss auch bei der Generation ankommen, die unter dem Paragrafen gelitten hat. Unabhängig von einer Verurteilung hat die Strafbarkeit viele schwule Männer traumatisiert und ihr Lebensglück beeinträchtigt. Schon ein Ermittlungsverfahren reichte aus, um eine Existenz zu ruinieren." BISS fordert dafür als Wiedergutmachung eine finanzielle Förderung für schwul-lesbische Altenarbeit.
Für die erste Lesung am Freitag, die um 11:10 Uhr beginnen soll, plant der BISS-Vorstand einen Besuch im Bundestag. Mit einer kleinen Gruppe verurteilter Männer wollen die schwulen Senioren von der Besuchertribüne aus die Debatte im Plenarsaal verfolgen. Die "175er" sollen dabei sein, wenn ihnen im Parlament endlich Gerechtigkeit widerfährt. "Für die Männer wird das ein bewegender Moment", ist sich Reinhard Klenke sicher.
Links zum Thema:
» Der Regierungsentwurf als PDF
» Tagesordnung des Bundestags mit Änderungsanträgen















