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Verfolgungswelle in Grosny & Co.
Tschetschenien: Schweden berief russischen Botschafter ein
Die internationale Diplomatie bemüht sicht, die Verschleppung, Folter und Ermordung von Schwulen durch Sicherheitskräfte aufzuklären und zu stoppen. Die Verantwortlichen streiten diese Taten weiter ab.

Der russische Präsident Wladimir Putin (l.) lässt seinen "Statthalter" in Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, in der Regel kritiklos gewähren – Einsatz von Milizen, Morde und Folter eingeschlossen
- Von Norbert Blech
23. April 2017, 10:47h 5 Min.
Das schwedische Außenministerium hat aufgrund der zahlreichen Berichte über die Verschleppung schwuler Männer in Tschetschenien den russischen Botschafter Wiktor Tatarinzew einbestellt. Das sagte eine Sprecherin des Ministeriums am Donnerstag der Nachrichtenagentur AFP.
Die Staatssekretärin Annika Söder habe aufgrund der "alarmierenden Berichte, dass Homosexuelle in Tschetschenien inhaftiert und gefoltert werden", gegenüber dem Botschafter betont, dass die russische Regierung eine Verantwortung habe, "dass Menschenrechte im ganzen Territorium respektiert werden", so Ministeriumssprecherin Johanna Westlund.
Der Botschafter habe bestätigt, dass er diese Aussage nach Moskau weitergeben werde, so Westlund, die gegenüber AFP keine weiteren Details des Gesprächs bekannt gegen wollte. In der Meldung verwies die französische Nachrichtenagentur zugleich auf ihre Berichterstattung zu Tschetschenien: Zusammen mit anderen internationalen Medien konnte sie eine vom russischen LGBT Network organisierte Notunterkunft für Betroffene in Moskau aufsuchen und für einen Videobericht mit einigen Flüchtlingen sprechen.
Der russische LGBTI-Verband hatte für diese Arbeit international um Spenden gebeten. Inzwischen konnte man mehreren dutzend Männern bei der Flucht aus der Region helfen, die für viele aufgrund weiterer Bedrohungen u.a. durch die Verwandtschaft nur ein Zwischenstopp sein könne. Das Network hat betont, dass nach Treffen mit Betroffenen drei – von ihm ausdrücklich nicht benannte – europäische Botschaften ihre Visa-Bestimmungen gelockert und dadurch Menschen die Flucht ermöglicht hätten.
Wirbel um angebliche Kadyrow-Drohung
Derweil sorgte in den letzten Tagen eine angebliche Äußerung des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow für Empörung in sozialen Netzwerken. Alan Duncan, Staatssekretär im britischen Außenministerium und schwuler Politiker der Tories, hatte am Donnerstag im Parlament recht frei über die "barbarischen" Berichte gesprochen und diese auf Kadyrow zurückgeführt. Weiter meinte Duncan: "Quellen haben gesagt, dass er [Kadyrow] die [LGBT]-Community bis zum Beginn des Ramadans eleminiert haben möchte."
I made clear in Parliament today that the reported attacks on LGBT people in Chechnya are utterly contemptible. We…
Posted by Alan Duncan MP on Donnerstag, 20. April 2017
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Das britische Portal "Pink News" hatte daraus einen Tag später eine direkte Aussage und quasi aktuelle Drohung Kadyrows gemacht – der Ramadan beginnt Ende Mai. Das Portal verwies dabei auf eine Rückfrage beim Foreign Office, das auf eine Aussage Kadyrows in einem russischsprachigen Medienbericht verwiesen habe. Auf eine Rückfrage von queer.de hat das Außenministerium nicht reagiert.
Russischen Menschenrechtsorganisationen ist eine entsprechende krasse Medienäußerung Kadyrows, die zugleich als Beweis das Vorgehen gegen die Menschenrechtsverletzungen und ihre Verantwortlichen vereinfachen würde, nicht bekannt. Vielmehr heißt es von LGBTI-Verbänden, ein solcher angeblicher Wunsch des Präsidenten sei bereits Anfang Mai zusammen mit den ersten echten und falschen Gerüchten über die Verfolgungswelle in Tschetschenien als Hörensagen einer Vermutung aufgetaucht, die man nicht weiter verfolgt habe.
Seit diesen ersten Zeugenberichten hatten einige Medien den Verlauf der Verfolgungswelle näher recherchiert, die offenbar schon im letzten Dezember begonnen hatte. Die Zeitung "Novaya Gazeta" und Radio Free Europe hatten zwei informelle Gefängnisse, in denen die außergesetzlichen Verhöre stattfanden, benannt, auch hatte die Zeitung Indizien für eine direkte Beteiligung des tschetschenischen Parlamentsvorsitzenden Magomed Daudow vorgelegt.
Von der "Gazeta" stammt auch ein von Alan Duncan aufgegriffenes anonymes Zitat aus tschetschenischen Behörden über "präventive Säuberungen" – die Zeitung hatte das in Verbindung gesetzt zur umstrittenen Anmeldung von CSD-Demonstrationen durch Moskauer Aktivisten im Nordkaukasus, nicht aber in Tschetschenien selbst. LGBTI-Aktivisten gehen nicht davon aus, dass diese wirklich Auslöser der Verfolgung waren, die schon früher einsetzte und eine jahrelange Einschüchterung und Erpressung von Schwulen durch Sicherheitskräfte zu einem möglicherweise systematischen Vorgehen verschärfte.
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Weiter kaltschnäuziges Abstreiten aus Grosny
Kadyrow selbst hatte wie Staatsmedien und weitere Offizielle der autonomen Republik die Berichte in den letzten Wochen immer wieder empört zurückgewiesen, was teilweise bis hin zu recht offenen Gewaltandrohungen gegen Journalisten von "Novaya Gazeta" und "Echo Moskau" ging. Am Samstag sagte Kadyrow bei einem internationalen Festival in Grosny, die korrupten, teuflischen Journalisten sollten vor dem tschetschenischen Volk niederknien, weil sie es beleidigt und gedemüdigt hätten.
Der Menschenrechtsrat Tschetscheniens habe sich in den letzten Tagen die angeblichen Geheimgefängnisse angesehen und dort nichts gefunden, so Kadyrow, der auch abstritt, dass Menschen aus Tschetschenien geflohen seien: "Niemand ist weggegangen. Tschetschenien ist klein. Jeder wüsste davon."
Kadyrow hatte die Verfolgung schwuler Männer bereits am Mittwoch in einem auf Video festgehaltenen Treffen mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin abgestritten (queer.de berichtete). Am Donnerstag hatte Putin-Sprecher Dmitri Peskow erneut betont, dass ihm keine Bestätigungen über Gewalt oder Festnahmen vorlägen, nur "Phantom-Beschwerden" anonymer Personen, die sich an die Strafverfolgungsbehörden wenden sollten.
Diesen lagen dabei schon Anzeigen und Beweise vor, auch gegen tschetschenische Offizielle wegen gewaltverherrlichender Äußerungen. So hatte Kadyrows Sprecher Alwi Karimov zu den ersten Berichten über die Verfolgungswelle vor drei Wochen gesagt: "Du kannst keine Personen verhaften oder unterdrücken, die in der Republik nicht existieren. Falls solche Menschen in Tschetschenien existieren würden, hätten ihre Verwandten sie zu einem Ort geschickt, von dem sie nicht zurückkehren können."
Update 13.10h: Grüne setzen Thema auf Tagesordnung des Bundestags
Die Grünen werden die Schwulenverfolgung und die Menschenrechtslage von Journalisten und Bürgerrechtlern in der kommenden Woche zum Thema im Bundestag machen, in der Fragestunde und mit einem Berichtsbegehren im Innenausschuss. Das kündigte der Grünenpolitiker Volker Beck am Sonntag an. "Die Bundesregierung muss Russland nicht nur an seine menschenrechtlichen Verpflichtungen erinnern. Sondern es muss durch Aufnahme von gefährdeten Personen und Unterstützung von Menschenrechtsorganisation aktiv werden", so Beck. "Müde Erklärungen" des Russland-Beauftragten der deutschen Bundesregierung reichten als Handeln bei diesem Thema nicht aus. Gernot Erler hatte vor zwei Wochen Aufklärung und Hilfe für die Betroffenen gefordert (queer.de berichtete).
Update 17.30h: Online-Petition an Merkel
Enough is Enough, das Aktionsbündnis gegen Homophobie und Quarteera rufen zur Unterzeichnung einer Online-Petition an Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, mit der diese aufgefordert wird, bei einem anstehenden Besuch in Russland Präsident Putin aufzufordern, "diesen furchtbaren Verbrechen unverzüglich ein Ende zu bereiten und alle Verantwortlichen für die Verhaftungen, Folterungen und Morde an schwulen Männern in Tschetschenien vor Gericht zu bringen". Ein entsprechendes Handeln Merkels hatte zuvor bereits der LSVD gefordert (queer.de berichtete).
Mehr zum Thema:
» Alle queer.de-Berichte zu Tschetschenien
















Union und SPD spielen die Ahnungslosen.
Nicht nur die Bundeskanzlerin Angela Merkel, sondern auch der zuständige Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) und der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD).
Und auch der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ignoriert diese "Säuberungswellen" komplett...