Anders als von einigen EU-Kollegen hatte von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD, hier bei einem Besuch in Estland) zur Schwulenverfolgung in Tschetschenien lange nichts gehört. (Bild: Estonian Foreign Ministry / flickr)
Die Außenminister von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und Schweden haben sich in einem Brief an den russischen Außenminister Sergej Lawrow "tief besorgt" über die "zahlreichen Berichte" zur Verfolgung von Homosexuellen in Tschetschenien gezeigt.
"Wir rufen die russische Regierung auf, die schrecklichen Vorwürfe zu untersuchen und die Sicherheit von Aktivisten und Journalisten, die diese untersuchen, zu garantieren", forderten die fünf EU-Minister Sigmar Gabriel, Jean-Marc Ayrault, Boris Johnson, Bert Koenders und Margot Wallström.
Die russische Regierung müsse ihren Einfluss auf die regionalen Behörden in Tschetschenien nutzen, "so dass die Repressionen sofort aufhören, die Opfer Hilfe erhalten und die Täter vor Gericht gestellt werden", heißt es weiter in dem Schreiben.
Vom Kreml ignorierte Verfolgungswelle
Laut mehreren Medienberichten und Augenzeugen sind in den letzten Monaten in der teilautonomen Republik über 100 Männer durch Sicherheitskräfte in bis zu sechs Geheimgefängnisse verschleppt worden. Dort wurden sie gefoltert, um die Namen weiterer Schwuler preiszugeben. Einige Männer starben während der Prozedur oder wurden nach der Freilassung von ihren Familien getötet, andere konnten fliehen.
Seit Bekanntwerden der Verfolgungswelle Anfang April unterstützt das russische "LGBT Network" Betroffene bei der Flucht aus der Region, bietet ihnen eine Notunterkunft an und versucht, ihnen die weitere Flucht ins Ausland zu ermöglichen, da sie in Russland nicht sicher seien; es steht dazu auch mit mehreren europäischen Botschaften in Kontakt. Der Verband kann auch aus Deutschland heraus mit Spenden unterstützt werden.
Obwohl einige Augenzeugen der Taten aus einer der Notunterkünfte heraus zuletzt Interviews an in- und ausländische Medien gaben, hatte der Kreml die Berichte über die Verfolgungswelle bisher unter Verweis auf Dementis aus Grosny als unbestätigt zurückgewiesen und betont, dass die Angelegenheit aus seiner Sicht keine politische Frage sei, sondern eine der Strafverfolgungsbehörden.
Auch Merkel ermahnte Putin
Am Dienstag hatte bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Thema bei einem Treffen mit dem russischen Präsidenten in Sotschi angesprochen und diesen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz öffentlich gebeten, seinen Einfluss gegenüber der tschetschenischen Politik geltend zu machen (queer.de berichtete).
Zuvor hatte sich die Bundesregierung in öffentlichen Äußerungen zu Tschetschenien im Vergleich zu anderen EU-Ländern auffällig zurückgehalten. Michael Roth (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, hatte am letzten Mittwoch im Bundestag erklärt, dass sein Amt sowohl in Kontakt mit verfolgten Schwulen aus der Region stehe als auch mit Personen, die Hilfe für sie organisieren (queer.de berichtete). Die schwedische Regierung hatte in der Frage den russischen Botschafter in Stockholm einbestellt (queer.de berichtete). (nb)
Update 11.22h: LSVD: Betroffenen Schutz und Asyl anbieten
Der LSVD hat den Einsatz von Merkel und Gabriel am Donnerstag in einer Pressemitteilung begrüßt: "Der internationale Druck darf jetzt nicht nachlassen. Deutschland muss hartnäckig auf Aufklärung der Morde, Bestrafung der Schuldigen und sofortiger Freilassung aller verschwundenen Männer bestehen."
Deutschland müsse zudem gefährdete Personen aus Tschetschenien sowie über sie berichtende Journalisten schützen, ihnen die Aufnahme anbieten oder die Visa-Vergabe für Betroffene lockern, so LSVD-Sprecher Helmut Metzner. "Auch hier sollten die Bundeskanzlerin und der Außenminister nun handeln: Die deutschen Konsulate und die deutsche Botschaft müssen dementsprechend angewiesen werden."
Auch dürfe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Asylanträge lesbischer, schwuler, bisexueller und transgeschlechtlicher Tschetschenen nicht weiter ablehnen, fordert der LSVD. "Eine Aufforderung, Schutz in anderen Teilen Russlands zu suchen, ist angesichts der dortigen Menschenrechtslage ebenfalls keine Alternative. Zu groß ist die Gefahr, dass die Familien den Wohnort erfahren, die Geflüchteten dort angreifen oder ermorden."