Wladimir Putin und die gesamte russische Politik und Justiz hatten bislang meistens über Berichte zu Menschenrechtsverletzungen durch seinen "Statthalter" in Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, hinweggesehen. Unter internationalen Druck könnte sich das gerade ändern.
Nach zahlreichen Appellen aus der internationalen Politik hat sich Russlands Präsident Wladimir Putin am Freitag erstmals zur Verfolgungswelle an schwulen Männern in Tschetschenien geäußert. Auf der Webseite des Kremls erschienen Notizen aus einem Treffen von ihm mit der Menschenrechtsbeauftragten Tatjana Moskalkowa.
Diese stellte ihren Jahresbericht vor und betonte zu Tschetschenien, sie sei zu Rechtsverletzungen gegenüber Menschen mit "nicht-traditioneller Orientierung" kontaktiert worden und habe etliche Anfragen an die Ermittlungsbehörden verschickt. Sie bitte um die Anweisung, dass sich die Menschen an die föderalen Behörden wenden und Zeugenschutzprogramme erhalten könnten, um ihre Rechte zu schützen – eine Verifizierung der Berichte sei schwierig, weil die Menschen nicht ihren Namen angeben wollten.
Putin mit Moskalkowa am Freitag
Putin antwortete, er werde den Generalstaatsanwalt und den Innenminister persönlich dazu auffordern, Moskalkowa zu unterstützten. So könnten die "Informationen oder Gerüchte" geprüft werden. "Ich hoffe, die Kollegen werden reagieren und Sie unterstützen."
Kadyrow: Wir haben keine Schwulen
Eine Aufklärung versprach am Freitag danach auch der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow selbst: "Die Führung und die Strafverfolgungsbehören in Tschetschenien sind bereit, eng mit der Menschenrechtsbeauftragten des Präsidenten, Tatjana Moskalkowa, der Staatsanwaltschaft, dem Innenministerium und anderen Strafverfolgungsbehörden zusammenzuarbeiten, um Medienberichte zu prüfen über die angebliche Verfolgung von Menschen mit nicht-traditioneller Orientierung", sagte er gegenüber RIA Novosti.
Kadyrow mit dem Vorsitzenden des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow. Ihn hatte die Zeitung "Novaya Gazeta" persönlich beschuldigt, an der Verfolgungswelle an schwulen Männern beteiligt gewesen zu sein. Den Berichten zufolge wurden über 100 Menschen in bis zu sechs außergesetzliche Gefängnisse gebracht und dort gefoltert; mehrere Männer starben duch die Prozedur oder wurden von Verwandten umgebracht.
Kadyrow betonte allerdings zugleich, dass es in der tschetschenischen Gesellschaft "kein Phänomen der sogenannten nicht-traditionellen Orientierung" gebe: "Für tausende Jahre haben die Menschen nach Regeln gelebt, die von Gott verordnet und von Moral und Ethik diktiert werden." Unter Tschetschenen habe es nie Homosexuelle gegeben, so Kadyrow. "Es sei denn, wir sprechen von denen, die sich so bezeichnen, damit sie in den Westen gehen können."
Dort werde das Thema "inflationär" behandelt und bekomme mehr Aufmerksamkeit als Kriege, Epidemien und Hungersnöte, kritisierte Kadyrow. Man sei aber an der Wahrheit interessiert: "Das Gesetz wird in Tschetschenien durchgesetzt. Jeder, der es verletzt, muss sich verantworten. Daran sollte es keinen Zweifel geben."
Fünf Wochen Dementis und Ignoranz
Mitte April hatte der Kreml auf seiner Webseite bereits ein Gespräch zwischen Putin und Kadyrow veröffentlicht, in dem dieser die Berichte über die Verfolgungswelle als Gerüchte zurückwies (queer.de berichtete). In den Medien der teilautonomen Republik waren seit dem ersten Bericht der Moskauer Zeitung "Novaya Gazeta" vom 1. April über die Verschleppungen immer wieder Äußerungen von führenden Politikern und selbst vom regionalen Menschenrechtsrat veröffentlicht worden, in denen diese entsprechende Berichte ebenso empört als Lügenkampagne zurückwiesen wie den Gedanken, in dem Land könne es Homosexuelle geben.
Kadyrows Sprecher Alwi Karimov hatte am 1. April zum ersten "Gazeta"-Bericht zur Verfolgungswelle gemeint: "Du kannst keine Personen verhaften oder unterdrücken, die in der Republik nicht existieren. Falls solche Menschen in Tschetschenien existieren würden, hätten ihre Verwandten sie zu einem Ort geschickt, von dem sie nicht zurückkehren können." Auch eine Äußerung von Heda Saratow vom Menschenrechtsrat der Republik ließ sich als Rechtfertigung von Gewalt verstehen (queer.de berichtete). LGBTI-Organisationen hatten deswegen von der föderalen russischen Politik gefordert, auch wegen solcher Aussagen zu ermitteln.
Gegenüber Medien aus dem In- und Ausland hatte Putins Sprecher Dmitri Peskow in den letzten Wochen mehrfach betont, dass es bislang nur Gerüchte gebe, die man nicht kommentieren könne. Auch sei die Angelegenheit keine politische, Betroffene sollten sich stattdessen an die Sicherheitsbehörden wenden. Nach langem Nichtstun hatte sich in der letzten Woche allerdings ein Ermittler der föderalen Staatsanwaltschaft Russlands, des Ermittlungskomitees, mit Journalisten der "Novaya Gazeta" getroffen und sich Beweismaterial überreichen lassen (queer.de berichtete).
In den letzten Wochen hatte die internationale Politik den Druck auf die russische Regierung erhöht. So sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel das Thema am Dienstag gegenüber Putin persönlich und auf einer gemeinsamen Pressekonferenz an (queer.de berichtete). Einen Tag später wurde ein Brief von fünf europäischen Außenministern, darunter Sigmar Gabriel, an Putin bekannt (queer.de berichtete).