Özlem Alev Demirel ist seit Juni 2014 die Landessprecherin der Partei Die Linke in NRW. Das Interview mit der türkisch-deutschen Politikerin kurdischer Herkunft ist zuerst im queeren NRW-Magazin "Fresh" erschienen. (Bild: DIE LINKE Nordrhein-Westfalen / flickr)
Warum soll man die Linke in NRW aus queerer Sicht wählen?
Wir möchten, dass Queerpolitik endlich Querschnittsaufgabe in NRW wird. Dazu muss das Thema in der Staatskanzlei angesiedelt werden und nicht länger in einem kleinen Ministerium. Bis jetzt werden zum Beispiel Gewalttaten gegen Schwule und Lesben überhaupt nicht als solche erfasst. Da blockt NRW-Innenminister Jäger. Und wir stehen dafür ein, dass der Aktionsplan gegen Homophobie endlich ausreichend finanziert wird. Wir treten dafür ein, die ARCUS-Stiftung in NRW zu unterstützen, und wollen zum Beispiel die queere Jugendarbeit stärken.
Die Speicherung von HIV-Positiven und Hepatitis-Infizierten als "ansteckend" in Datenbanken der NRW-Polizei war ein großes Thema, was ist draus geworden? Was muss passieren, damit die Daten gelöscht werden?
SPD und Grüne haben mit dieser Speicherung angefangen. Öffentlich geworden ist das erst durch die Anfrage unseres Landtagsabgeordneten Daniel Schwerd, der von den Piraten zur Linken gewechselt ist. Da haben sich SPD und Grüne ertappt gefühlt und eine "Bund-Länder-Gruppe" eingerichtet, die nun beraten soll. Das reicht aber nicht. Die Daten müssen sofort gelöscht werden. Im Bundesland Berlin ist das sofort geschehen, als die Linke im Herbst mit an die Regierung kam. Das wollen wir auch in NRW.
Özlem Demirel saß von 2004 bis 2010 im Kölner Stadtrat und von 2010 bis 2012 im Landtag. Die 37-jährige Politikerin, die inzwischen in Düsseldorf wohnt, will ihre Partei zurück in das Parlament bringen. (Bild: Dietrich Dettmann)
Über eine Million Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten für die Kirche. Nicht nur Arbeitnehmer_innenrechte, sondern auch Persönlichkeits- und Menschenrechte lässt die Kirche in ihren Betrieben nur eingeschränkt gelten. Gehört das kirchliche Arbeitsrecht abgeschafft?
Der Skandal ist ja, dass nicht die Kirche, sondern der Staat die Mitarbeiter bezahlt. Wir geben der Kirche Geld für Kindergärten und sie entlässt dann zum Beispiel in Oberhausen eine Reinigungskraft, weil die sich mit ihrer Freundin verpartnert. Ein Unding. Wir sagen: Geld vom Staat gibt es nur noch, wenn es keine Diskriminierung mehr gibt. Und dass sogar die Bischöfe vom Staat bezahlt werden, geht gar nicht. Dafür gibt es Kirchensteuer. Den Religionsunterricht müssen wir durch Lebenskunde und Ethik ersetzen. Wir sind für Religionsfreiheit, aber eben auch für die Trennung von Kirche und Staat.
Das Gesetz zur Entschädigung beim Paragrafen 175 ging euch nicht weit genug, zudem fordert ihr die Aufarbeitung der "freiwilligen" Kastration homosexueller Männer. Wie wichtig ist Euch das Thema geschichtliche Aufarbeitung?
Erst einmal müssen die noch lebenden Opfer der Schwulenverfolgung zumindest so entschädigt werden, dass sie nicht in Armut sterben. Da muss das Land NRW jetzt auch einen Härtefallfonds auflegen, die 3.000 Euro pro Haftjahr, die auf Bundesebene geplant sind, reichen nicht. Und dann brauchen wir in NRW ein großes Forschungsprojekt zur Aufarbeitung. Die Landesregierung hat in den letzten Jahren weiterhin Akten zum Paragrafen 175 vernichten lassen und uns jetzt gesagt, dass sie zu den Fällen, wo schwule Männer sich aus Angst vor Strafverfolgung haben kastrieren lassen, nichts weiß. Wenn Geschichte sich nicht wiederholen soll, dann muss man sie aufarbeiten. Das ist zur Schwulenverfolgung immer noch nicht geschehen.
Die Mai-Ausgabe des Magazins "fresh", für die dieses Interview entstand. Frühere Interviews zur NRW-Wahl mit Vertretern weiterer Kandidaten sind unten verlinkt.
Rechtspopulismus ist auf dem Vormarsch. Wie stellt ihr Euch gegen die AfD?
Die AfD hetzt gegen alles, was nicht in ihr Weltbild passt, sie geht reaktionär mit dem Frauenbild um, sie diffamiert und will Fortschritt zurückdrehen. Schwule und Lesben sind besonders gefährdet. Andere Parteien üben sich bei dem Protest gegen die AfD eher in Zurückhaltung, wir organisieren und unterstützen alle Proteste gegen die AfD. Und wir kämpfen auch dagegen an, dass einige so tun, als schütze die AfD jetzt die Schwulen vor dem reaktionären Islam. Nein: Islamismus und Rechtspopulismus sind sich in ihrem autoritären Weltbild ähnlich. Da dürfen sich Lesben und Schwule auch nicht gegen Migrantinnen und Flüchtlinge ausspielen lassen.
Worin unterscheidet ihr Euch denn von den Grünen bei den Forderungen für LGBTI-Rechte?
Warme Worte allein reichen nicht, muss ich den Grünen sagen. Ich habe wahrgenommen, dass in den letzten Jahren Projekte nicht ausreichend finanziert wurden. Und die HIV-Datenspeicherung in Polizeidatenbanken ist nun auch wirklich ein Skandal, da haben die Grünen mindestens geschlafen. Mir machen bei den Grünen auch Leute wie Kretschmann und Palmer Sorge, die ja zum Teil offen homophob agieren. Das kann man von den Grünen in NRW allerdings so nicht sagen, es gibt in NRW durchaus auch Gemeinsamkeiten, zum Beispiel beim Kampf gegen die AfD und den Rechtspopulismus.
Gibt es denn aussichtsreiche schwul-lesbische Kandidaten unter den ersten 15 realistischen Plätzen wenn ihr bei fünf bis sieben Prozent landet?
Zum einen haben wir Jasper Prigge auf Platz 8, der ist ja innenpolitisch und im Queer-Bereich richtig Klasse dabei. Und dann auf Platz 13 Anja Vorspel aus Düsseldorf, die immer auch Frauen- und Lesbenpolitik gemacht hat und zudem sehr fit in Umwelt- und Verkehrsthemen ist. Unsere Liste ist überhaupt bunt und vielfältig, in jeder Hinsicht.
Die Linkspartei lehne ich ab, weil sie ersten historisch gesehen die Rechtsnachfolgerpartei der SED ist, die die DDR wirtschaftlich gegen die Wand gefahren hat und die in ihrer Parteiengeschichte Personen wie Honecker, Mielke und Co. hatte sowie die Stasi zu verantworten hat, die Bürgerrechtler in Bautzen eingesperrt hat.
Auch möchte die Linkspartei Eurobonds und eine Vergemeinschaftung der Schulden Griechenlands, Spaniens, Italiens mit Deutschland und den anderen Nordstaaten Europas. Das kommt für mich auf KEINEN Fall in Betracht. Deutschland hat laut Bund der Steuerzahler insgesamt rund ZWEI BILLIONEN Euro an Schulden und wenn die Linken immer das Märchen erzählen, Deutschlands Wirtschaftskraft sei an der Misere in Südeuropa Schuld und habe daher dort mitzufinazieren, dann stößt das auf meine klare Ablehnung. Der deutsche Steuerzahler hat jetzt bereits schon die zwei BILLIONEN Euro an Altschulden zu tragen.
UND dann immer diese völlig abstrusen Vorstellungen wie vom bedingslosen Grundeinkommen, das die Kipping will. Geht überhaupt nicht, weil nicht Finanzierbar. Wir stehen nicht auf der Welt allein, sondern leider im harten Wettbewerb zu China, Japan, Südkorea, usw. und können uns solche nicht finanzierbaren Gedankenmodelle aus dem "Pipi Langstrumpf"- Land nicht leisten.
Fazit: ich hoffe das die Linkspartei so wie in Schleswig-Holstein es NICHT in den Landtag in NRW schafft.