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Brandbrief eines enttäuschten schwulen Konservativen
LSU-Aktivist kehrt CDU enttäuscht den Rücken
Es geht nicht mehr, findet Henning Niemann. Er gibt sein CDU-Parteibuch zurück, obwohl er mit Herz und Seele Konservativer ist. Der Grund: Seine ehemaligen Parteifreunde halten weiter an der Diskriminierung Homosexueller fest.

Die LSU warb auf dem letzten CDU-Bundesparteitag für die Ehe für alle – es gibt aber Zweifel, ob die Gleichbehandlung mit der Union zu machen ist (Bild: LSU)
- 7. Juni 2017, 12:01h 4 Min.
Henning Niemann, ehemaliger Beisitzer im Vorstand der nordrhein-westfälischen Schwulen und Lesben in der Union (LSU), hat am Dienstag auf Facebook seinen Austritt aus der CDU bekannt gegeben. In seiner lesenswerten Begründung nennt der aus Königswinter bei Bonn stammende Konservative als einzigen Grund den Widerstand seiner Partei gegen die Gleichbehandlung von Schwulen und Lesben im Ehe-Recht – und wird damit wohl anderen frustrierten LSU-Aktivisten aus der Seele sprechen.
In der Begründung, die er an die aus NRW stammenden Bundestagsabgeordneten Elisabeth Winkelmeier-Becker und Norbert Röttgen richtete, schreibt Niemann:
An sich ist alles in Ordnung in der Partei für mich. Ich bin Steuerzahler, Arbeitnehmer, Verbraucher, Verkehrsteilnehmer, Bürger, und in all diesen Dingen meine ich, dass mich die CDU am besten vertritt. Bis auf eine Ausnahme, diese ist aber für mein Leben so essentiell, dass ich es nicht mehr tolerieren kann. Ich habe gehofft an dieser Tatsache auch selbst etwas verändern zu können, allerdings habe ich immer mehr den Eindruck, dass das unmöglich sein wird.
Ich werde vom Staat, vom Gesetzgeber diskriminiert. Ich habe nicht die gleichen Rechte wie andere Menschen. Alle derzeit im Bundestag vertretenen Parteien möchten das verändern, jedoch verhindert das ausschließlich die CDU/CSU. Ich darf nicht den Menschen heiraten den ich liebe, für den ich sorgen und einstehen will, in guten und in schlechten Zeiten. So wie es unserem Staat und unserer Gesellschaft guttut und wie es auch vom Staat und unserer Gesellschaft gefördert wird. Sie vermuten es sicher schon, ja, ich bin schwul.
Als schwuler Konservativer will ich selbstverständlich meine Partnerschaft absichern und befestigen gegen Risiken in Gesundheit, Wirtschaft und Gesellschaft. Ja, sicher, dafür gibt es das Konstrukt der "Eingetragenen Lebenspartnerschaft". Alleine schon die Bezeichnung ist abstoßend. […] Sie zwingt mich jedes Mal, wenn ich meinen Familienstand angebe, sei es nun bei Behörden, bei Bewerbungen, bei Vermietern und ganz gleich wo auch gleichzeitig bekannt zu geben und zu sagen: "Ich bin schwul". Ich werde dazu gezwungen, vom Gesetzgeber gezwungen, ständig über meine Sexualität zu reden. Das ist diskriminierend und das ist entwürdigend. Allein aus diesem Grund sind mein Partner und ich in keiner eingetragenen Lebenspartnerschaft. Das Kreuzchen bei "ledig" kommt ohne hochgezogene Augenbraue daher und verbessert die Chancen auf Arbeitsplatz und Wohnung oder Baufinanzierung ungemein.
Zudem, so beklagt Niemann, enthielten Lebenspartnerschaften auch andere Nachteile gegenüber der Ehe – nicht nur im Adoptionsrecht, sondern etwa bei einem Umzug ins Ausland.

Henning Niemann (2.v.l.) in besseren Zeiten: 2013 posierte er mit anderen Vorstandskollegen der LSU NRW und dem Bundes-LSU-Chef Alexander Vogt (2.v.r.). Bild: LSU NRW
Dabei sei das völlig unnötig, wie selbst Kanzlerin Angela Merkel deutlich gemacht habe:
Sogar die Bundeskanzlerin sprach auf der Trauerfeier für Herrn Dr. Westerwelle seinen Partner als "seinen Mann" an, eigentlich muss sie ihn ja als "seinen Lebenspartner" oder "seinen Partner" bezeichnen. Was für eine Heuchelei! Im Leben hat Frau Merkel längst eine innerliche Gleichstellung vollzogen, lediglich vor den Mitgliedern ihrer Partei täuscht sie ein ungutes Bauchgefühl vor. Die Gesellschaft und auch Ihr eigener Wortschatz ist schon viel weiter als die offizielle Gesinnung der CDU. In der großen Mehrheit der Gesellschaft ist schon längst von "Hochzeit" und "Heiraten" die Rede, nicht vom "Verpartnern".
Das Fass zum Überlaufen habe für Niemann die homophobe Haltung des NRW-Landeschefs und designierten Ministerpräsidenten Armin Laschet im Wahlkampf gebracht. Laschet hatte betont, dass mit ihm keine Gleichbehandlung von gleichgeschlechtlichen Paaren zu machen sei – und sogar behauptet, das Grundgesetz enthalte ein verstecktes Ehe-Verbot für Schwule und Lesben (queer.de berichtete).
Niemann stellt nur eine einzige Forderung an seine Ex-Partei:
Ich fordere die Öffnung der Ehe für alle, damit diese elende, verletzende und unnötige Diskriminierung ein Ende findet und wir homosexuellen Menschen aufhören können, ständig über unsere Sexualität reden zu müssen. Damit wir uns nicht immer wieder für unsere sexuelle Orientierung rechtfertigen müssen. Damit endlich auch das als normal gilt, was normal ist. Den Menschen zu heiraten, den man liebt und zu dem man steht, egal welches Geschlecht er hat. Werden Sie eine moderne Partei, öffnen Sie die Ehe für alle. Dann komme ich zurück, vorher nicht. Und ich bin sicher es kommen noch viel mehr dazu!
Ob jemand wie Elisabeth Winkelmeier-Becker, an den der Brief Niemanns adressiert war, eine solche Argumentation versteht, ist fraglich. Sie verteidigte erst im März im Bundestag das Ehe-Verbot für Schwule und Lesben – und spielte sich statt über Diskriminierung nachzudenken lieber selbst als Opfer auf. "Nicht jeder, der gegen die Homo-Ehe ist, ist homophob", meinte die seit 1984 verheiratete Politikerin aus dem Rhein-Sieg-Kreis damals (queer.de berichtete). Jeglicher Debatte über die Ehe-Öffnung erteilte sie eine Absage, weil die Ehe "kein staatlicher Begriff [ist], sondern ein kulturell-religiös vorgeprägter Begriff, der uns überhaupt nicht gehört". (dk)














Interessant insbesondere auch die Begründung: die Ehe für alle soll nicht eingeführt werden, damit endlich alle gleiche Rechte haben und sich auf Grund dieser neuen Situation nun endlich gleichwertig fühlen dürfen - nein: statt dessen ist das Ziel, ganz in der Masse verschwinden zu können und überhaupt nicht mehr über die eigene Persönlichkeit reden oder etwas zeigen zu müssen.
Das heißt, letztendlich sind nicht Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz die Antriebsfedern, sondern ein Nicht-mit-der-eigenen-Identität-klarkommen, sodass man auf ein Mittel hofft, diese NOCH weiter ausblenden zu können.
Nur: da bleibt sie halt trotzdem, diese eigene Identität. Auch bei allen Versuchen, sie unter den gutbürgerlichen Teppich zu kehren.
Für mich, Ihr ahnt es, klar der falsche Ansatz bzw. die falsche Begründung für Gleichberechtigung.
Ziel muss vielmehr sein, ohne Angst verschieden sein zu können.
Das ist natürlich schwieriger als ein bloßes Verkriechen unter einem neuen Gesetzesteppich.
Aber nachhaltiger. Und befreiender.