Die Bundesregierung hält kurz vor Ende der Legislaturperiode weiter an ihrer Ablehnung der Öffnung der Ehe für schwule und lesbische Paare fest. Auf die Frage, ob es nicht Zeit für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei, sich mit der Frage noch einmal vor der Wahl zu befassen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag: "Für diese Bundesregierung kann ich ihnen dazu keinen neuen Stand mitteilen."
Anlass für die Frage des Journalisten Tilo Jung vom Format Jung & Naiv bei der Bundespressekonferenz war der Abschluss des Koalitionsvertrags der neuen Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein, der ein Bekenntnis zur Ehe für alle enthält (queer.de berichtete) – damit würde erstmals ein Land mit CDU-Beteiligung im Bundesrat aktiv die Gleichstellung unterstützen.
Seibert hatte in den letzten Jahren Jung gegenüber mehrfach im Namen der gesamten Bundesregierung aus Union und SPD erklärt, dass die Ehe für alle kein Ziel der Regierung sei, dass diese anders als von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) geäußert eine Grundgesetzänderung benötige, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht homophob und dass die fehlende Gleichstellung keine Diskriminierung sei (queer.de berichtete).
Regierung: Ungleichbehandlung keine Diskriminierung
Diesen Gedanken hatte das Bundespresseamt am Freitag zugleich auf der Facebook-Seite der Bundesregierung wiederholt, nachdem es zunächst an die über 450.000 Follower ein Zitat der neuen Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) postete: "Wer Homosexuelle, schwarze Menschen oder Juden diskriminiert, greift die Grundwerte unserer Gesellschaft an. Unser Zusammenleben basiert auf Respekt."
Die Regierung wies damit auf den am Mittwoch im Kabinett beschlossenen überarbeiteten "Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus" hin, der um das Thema Homo- und Transphobie erweitert wurde. U.a. der LSVD kritisierte bereits, dass der Aktionsplan in diesen Fragen allerdings nur eine "beschönigende Rückschau" sei, statt konkrete Maßnahmen zu versprechen (queer.de berichtete).
Zu dem Facebook-Bild kritisierte ein Nutzer: "Liebe Bundesregierung! Ihr diskriminiert Homosexuelle doch auch! Also greift Ihr unsere Grundwerte doch auch an. Öffnet doch die Ehe für alle. Dann greift Ihr die Grundwerte nicht mehr an."
Die Bundesregierung antwortete darauf: "Tatsächlich nimmt unser Staat (und seine Organe bis hin zur höchstrichterlichen Rechtsprechung) hier eine Ungleichbehandlung heterosexueller und homosexueller Paare im Hinblick auf das Institut der Ehe vor, und zwar mit einer sachlichen Begründung: im Ergebnis nämlich der, dass es sich mit Blick auf das Institut der Ehe nicht um gleiche Sachverhalte handelt, die demzufolge auch nicht gleich zu behandeln sind."
Inzwischen sähen "auch ernstzunehmende Stimmen" aus allen Parteien das teilweise anders, auch gebe es "eine gewisse Dynamik in der gesellschaftlichen Diskussion", räumt das Bundespresseamt ein. "Was man aber auch deutlich sagen muss: Eine Diskriminierung im Sinne einer ungerechtfertigten staatlichen Ungleichbehandlung oder gar einer Herabwürdigung liegt daran (sic!) nicht." Das Amt verweist auf eine Definition von Diskriminierung der Bundeszentrale für politische Bildung – und verschweigt unter anderem die klare Forderung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes nach der Ehe für alle.
"Tatsächlich werden Schwule und Lesben in zahlreichen Teilen der Welt immer noch gravierend diskriminiert", so die Pressestelle abschließend. "In Deutschland ist in Sachen Respekt und Gleichberechtigung in den vergangenen Jahrzehnten einiges erreicht worden, auch ohne dass die Ehe für gleichgeschlechtliche Paar geöffnet worden wäre. Das lässt sich mit Fug und Recht sagen, und das darf man sehr wohl anerkennen".
Entscheidende Wochen in Berlin und Karlsruhe
Die Ehe für alle wird am nächsten Mittwoch dennoch wieder Thema im Rechtsausschuss des Bundestags; entsprechende Gesetzesvorlagen von Grünen, Linken und Bundesrat finden sich dort – wie die Rehabilitierung der Männer, die nach Paragraf 175 in der Bundesrepublik verurteilt worden – zumindest auf der Tagesordnung. Anders als andere Tagesordnungspunkte des Ausschusses sind beide Themen aber nicht auf die aktuelle Tagesordnung des Bundestags für die Sitzungen von Mittwoch bis Freitag gesetzt, so dass diese dort erst eine Woche später in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause behandelt werden könnten.
Das wäre die letzte reguläre Sitzungswoche vor der Bundestagswahl; bis dahin nicht verabschiedete Gesetze würden verfallen. Im Rechtsausschuss hatten Union und SPD die Entwürfe zur Ehe für alle teils seit Jahren von Sitzung zu Sitzung vertagt. Kritiker befürchten eine weitere Vertagung bis zum Ende der Legislaturperiode, um der SPD zu ersparen, im Bundestag an der Seite der Union gegen die Ehe für alle zu stimmen. Diese lehnt die Gleichstellung weiter ab, während die SPD-Spitze gegen eine Abstimmung gegen die Union ist (queer.de berichtete).
Die Fraktion der Grünen hatte zuletzt noch eine Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, das den Rechtsausschuss per einstweiliger Anordnung zwingen soll, die Gesetzentwürfe noch rechtzeitig für eine Debatte und Abstimmung im Bundestag zu behandeln (queer.de berichtete). Die Linksfraktion ist der Klage beigetreten, der Bundesrat nicht (queer.de berichtete). Mit einer Entscheidung, die sich nur mit formalen Fragen zu den Rechten und Pflichten einzelner Beteiligter an einem Gesetzgebungsverfahren befasst, wird in den nächsten Tagen gerechnet. (nb)
Und noch eine unvorhergesehene Überraschung: Die SPD macht beim Diskriminieren mit!