Die Entscheidung der Grünen, die Ehe für alle zur Bedingung für eine Koalition zu machen, ist ein Einschnitt: Obwohl die Ökopartei wie nie zuvor in ihrer Geschichte offen ist für eine Koalition mit der Union, gibt es eine Schmerzgrenze: Neben umweltpolitischen Themen ist dieses Mal auch die Ehe für alle dabei. Das ist ein Riesenschwenk im Vergleich zur letzten Wahl vor vier Jahren, als die Gleichbehandlung von Schwulen und Lesben von den Grünen noch überhaupt nicht als Priorität eingeschätzt worden war. Sollte Angela Merkel nach dem 24. September auf die Unterstützung der Grünen angewiesen sein, kann die Partei nicht mehr hinter dieses Versprechen zurückgehen.
Nun sollte die Ehe-Öffnung in einem sich liberal gebenden Deutschland eigentlich nicht kontrovers sein: Laut Umfragen verstehen mindestens drei Viertel der Deutschen nicht, warum hierzulande immer noch ein Ehe-Verbot für Schwule und Lesben existiert. Doch als Gewinnerthema sehen es die anderen Parteien nicht: Die SPD, die laut Umfragen so weit von der Kanzlerschaft entfernt ist wie Deutschland vom Sieg beim Eurovision Song Contest, leistet sich einen peinlichen Schlingerkurs: Manche Sozialdemokraten wie Justizminister Heiko Maas kokettieren zwar damit, die Ehe für alle zur Bedingung zu machen; die Parteispitze weigert sich aber beharrlich. Und wie soll man überhaupt einer Partei vertrauen, die vor vier Jahren mit "100 Prozent Gleichstellung nur mit uns" geworben hat und dann ungeniert bei Koalitionsverhandlungen die Ehe für alle unter den Tisch fallen ließ?
Bei den anderen Parteien mit Aussicht auf Bundestagsmandate sieht es nicht viel besser aus: FDP-Parteichef Christian Lindner hatte schon letztes Jahr angedeutet, dass er mit der Union ins Bett geht, egal ob die Ungleichbehandlung im Ehe-Recht beendet wird oder nicht. Die Linke hat vor gut einer Woche auf ihrem Parteitag eher das Ziel verfolgt, Dauer-Opposition zu bleiben; nebenbei geht die Partei penetrant beim homophoben Regime in Russland hausieren. Auf der anderen Seite wartet die AfD, die Schwule und Lesben höchstens gut findet, wenn es darum geht, gegen Muslime zu hetzen.
Kritiker: Ehe für alle "rockt" niemanden
In der Presse gab es zum Streben der Grünen nach Gleichbehandlung ein eher maues Echo. Die gebetsmühlenartig wiederholte Kritik: Das Thema sei zu unwichtig, zu kompliziert, außerdem sei jetzt der falsche Zeitpunkt. So schreibt etwa die "Rhein-Neckar-Zeitung" aus Heidelberg: "Jetzt ist es die 'Ehe für alle'. Vordergründig ein hehres Ziel, das aber zum einen rechtlich sehr komplex in der Umsetzung sein wird – und das zweitens bei einer großen Zahl von Wählern auf wenig Gegenliebe stoßen dürfte." Der Vorschlag habe "das Zeug, ein schwarz-grünes Bündnis oder eine Jamaika-Koalition zu verhindern", befindet die "Zeit". Und Publizist Hugo Müller-Vogg befindet in "Tichys Eiblick": "Die Wählerschaft rocken lässt sich mit diesem Thema aber nicht." Anders als in den USA, wo die Ehe für alle jahrelang von christlich-fundamentalistischen Aktivisten bekämpft wurde, wird in Deutschland versucht, die Gleichbehandlung zu bagatellisieren.
Dabei mehren sich auch in der Union die Stimmen für die Ehe für alle – etwa vom designierten schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther. Viele Lesben und Schwule in der Union dürften der Ökopartei auch dankbar sein, dass sie ihren eigenen Leuten einen Ruck geben könnte.
Deutschland fällt immer mehr zurück
In anderen Ländern ist das bereits geschehen. Konservative Parteien haben die Gleichbehandlung aus eigener Kraft, aber auch unter dem Druck von Koalitionspartnern, vollzogen, etwa in Schweden oder Großbritannien – und das teilweise sogar mit Überzeugung. So sagte der frühere Londoner Premier David Cameron bereits vor sechs Jahren: "Die Gesellschaft wird stärker, wenn wir Verantwortung übernehmen und einander unterstützen. Ich bin nicht für die Ehe-Öffnung, obwohl ich ein Konservativer bin; ich unterstütze die Ehe-Öffnung, weil ich ein Konservativer bin." Auch für die Union dürfte es also rhetorisch kein Problem sein, auf Gleichbehandlungskurs umzuschwenken.
Wie isoliert Deutschland dasteht, zeigt sich beim Blick auf die Landkarte: Alle westlichen Nachbarn Deutschlands haben die Ehe für alle bereits eingeführt. 2001 war Deutschland mit der Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes noch ein Vorreiter, heute dient die deutsche Verweigerung Homo-Hassern aus Polen oder Russland als Entschuldigung für Diskriminierung.
Besonders ärgerlich ist, mit welchen sprachlichen Verrenkungen Schwarz-Rot das Ehe-Verbot für Schwule und Lesben rechtfertigt. So behauptete die Bundesregierung vergangene Woche, dass es sich dabei zwar um eine Ungleichbehandlung handle, aber nicht um eine Diskriminierung. Ob wir uns diesen gefährlichen Blödsinn die nächsten vier Jahren noch anhören müssen, wird wohl davon abhängen, ob es die Grünen in die Regierung schaffen oder nicht.
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Aber die Wahlumfragen schauen anders aus.
1. Die AfD wird in den Bundestag einziehen. LEIDER !!!
2. Für eine Regierungskoalition aus SPD/Grüne gibt es sicherlich keine Mehrheit, das ist jetzt schon klar.
3. Eine Regierungskoalition aus SPD/Grünen/Linkspartei wird rechnerisch derzeit auch nicht genug Stimmen haben; und selbst wenn es reichen würde, gibt es sowohl in der SPD am rechten Flügel als auch bei der Linkspartei am linken Flügel starke Bedenkenträger und Gegner. Das wäre eine Regierungskoalition mit Dauerstreit und würde wahrscheinlich keine Legislaturperiode überleben.
4. SPD und CDU regieren sehr "gemütlich" miteinander und haben sich alle schön in Ihren Ministerposten eingerichtet und die beteiligten Protagonisten wie Gabriel als Aussenminister, Schäuble als Finanzminister, Nahles als Arbeitsministerin, usw. würden liebend gern so weiterregiern, wie es derzeit der Fall ist.
Fazit: Ich gehe davon aus, dass wir im Oktober eine Neuauflage von Rot/Schwarz bekommen oder aber das Schwarz/Gelb regiert, falls es für CDU/FDP reicht ("ist aber auch unwahrscheinlich"). Alles andere ist doch eher derzeit im Reich der Wünsche, wenn ich mir die Wahlumfraggen anschaue...