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Kritik an mangelnder Hilfsbereitschaft

CSD Oldenburg: Aggressive Jugendliche griffen Teilnehmer an

Eine Gruppe queerer Flüchtlinge wurde beschimpft, geschlagen und getreten. Die Betroffenen beklagen mangelnde Hilfsbereitschaft der anderen CSD-Besucher.


Screenshot aus einem unveröffentlichten Video des Vorfalls am Rande des CSD, die Unkenntlichmachung aller Beteiligten erfolgte durch queer.de. Der Junge im schwarzen Shirt soll zuvor bereits in einem Einkaufszentrum eine homo-/transphobe Beleidigung von sich gegeben und bedrohend mit einem Gütel hantiert haben.

  • 20. Juni 2017, 05:40h 51 8 Min.

Am Rande des CSD Nordwest ist es am Samstag in Oldenburg offenbar zu homo- und transphob motivierten Gewalttaten aus einer Gruppe Jugendlicher heraus gekommen, die in minutelangen Rangeleien mit den Angegriffenen und weiteren Personen sowie einem Polizeieinsatz endeten.

Angegriffen wurden mehrere Mitglieder der queeren Refugee- und Migrant*innen-Gruppe "Queeraspora", die aus Bremen zu dem CSD-Straßenfest angereist waren. Es handelt sich dabei um eine selbstorganisierte Gruppe, die sich montags im Zentrum Rat&Tat trifft und "queeren Migrant*innen und Geflüchteten Empowerment, Selbstreflexion und einen Schutzraum" bieten will und Vernetzung betreibt.

So nahmen auch Mitglieder der Gruppe u.a. aus Montenegro, Russland, Türkei und Kurdistan am CSD teil, einige von ihnen sprachen auf der Bühne von der notwendigen gegenseitigen Solidarität: "Wenn die Rechten mächtiger werden, sind es wir queeren Geflüchteten und Migrant*innen, die euch zur Seite stehen werden. Jedoch werdet ihr uns auch zur Seite stehen, wenn eine Person von uns abgeschoben werden sollte? Diese Frage sollte mensch sich stellen!"

Laut einer Stellungnahme der Gruppe gegenüber queer.de kam es am späteren Nachmittag zu einem "homo- und transphoben Vorfall durch heterosexuelle Jugendliche um die 18-19 Jahre, die den CSD anscheinend als Vorwand für ihre alkoholisierten und aggressiven Pöbeleien nutzen wollten" – und der später noch die Solidarität unter Queers auf die Probe stellen sollte.


Einige der Jugendlichen während des Vorfalls, während A., ein Mitglied von "Queeraspora", die Polizei rufen wollte. Nicht alle Jungs wurden handgreiflich oder beleidigend, einige Freundinnen standen abseits.

Als die Bremer sich in einem Einkaufszentrum in CSD-Nähe für den weiteren Verlauf des Tages eindecken wollten, wurde demnach eine Transperson aus der "Queeraspora"-Gruppe von einem Jugendlichen "verbal mit 'scheiß Schwuchtel' attackiert". Der Junge habe auch "seinen Gürtel bedrohlich gezückt", so die Stellungnahme weiter. Ein "Queeraspora"-Mitglied, A., sagte gegenüber queer.de telefonisch, der Jugendliche habe dabei auch Gewalt angedroht. Man habe die Polizei rufen wollen; da die Freunde des Jugendlichen schlichtend eingegriffen hätten, habe man aber davon abgesehen und sei zurück zum CSD gegangen.

Die Jugendlichen griffen erneut an

Wenige Minuten später sei die Gruppe von Jugendlichen dann wieder aufgetaucht, am Rande des CSD, und hätte im Vorbeigehen einen Flaschenkorken in Richtung "Queeraspora"-Gruppe geworfen und erneut mit Anfeindungen begonnen. Da die Angegriffenen sich das nicht länger bieten lassen wollten, sei es zu einem Handgemenge mit "bedrohenden und gefährlichen Einschüchterungsversuchen" durch die Jugendlichen gekommen, "die bis oben hin wütend und mit ständigen homophoben Beleidigungen geladen waren".

Mittendrin hatte einer der Bremer begonnen, die Auseinandersetzungen zu filmen. In dem queer.de vorliegenden Video von über zwei Minuten Dauer ist zu sehen, wie ein älterer Mann aus der vielfältigen Flüchtlingsgruppe zunächst noch beruhigend auf den mutmaßlichen "Schwuchtel"-Rufer einredete, zugleich aber mutig-bestimmt den Gürtel festhielt, den der Jugendliche frei in der Hand hatte. "Den Gürtel sah er als Waffe an", so A.

Das machte den Jugendlichen aggressiver. Während einige seiner Kumpels versuchten, die Situation zu deeskalieren, griff ein anderer seiner Freunde die Refugee-Gruppe und einige herbeigeeilte Passanten mit einigen Schlägen und Tritten an, auch ein dritter Jugendlicher beteiligte sich an der Gewalt. A., der per Handy die Polizei rufen wollte, kam zu Fall und wurde geschlagen und getreten. Auch der Filmer des Geschehens, über den queer.de vor einigen Jahren im Zusammenhang mit staatlicher Gewalt gegen ihn im Ursprungsland berichtet hatte, wurde mit einem Kopfschlag angegangen.


Ein Jugendlicher schlug auf die "Queeraspora"-Gruppe und Menschen ein, die zu Hilfe geeilt waren

Danach löste sich das Gemenge auf, nach Angaben von "Queeraspora" nahm die später herbeigeeilte Polizei den mutmaßlichen Haupttäter fest, nachdem die Beamten einen Blick auf das Video geworfen hatten (s.a. Update am Ende des Artikels: es handelte sich rechtlich nicht um eine Festnahme). Auf eine Nachfrage von queer.de hat die Polizei bislang nicht reagiert.

Kritik an CSD-Besuchern

Rund 15.000 Menschen hatten am Samstag an der CSD-Demonstration in Oldenburg und dem abschließenden Straßenfest auf dem Schloßplatz teilgenommen. Zum Zeitpunkt des Vorfalls hatte der Abbau begonnen, in unmittelbarer Nähe des Vorfalls saßen aber noch etliche Pride-Besucher auf dem Rasen einer Seite des Schlosses.

"Queeraspora" beklagt: "Während sich die Geflüchteten wehrten, eilte nur eine kleine Gruppe von Unbeteiligten zu Hilfe. Einige um zu schlichten und nur einer, um zu verteidigen. Obwohl die Täter lauthals 'scheiß Schwuchtel' oder 'ich mach euch fertig' skandierten, waren die restlichen Besucher des CSD einfach nur Zuschauer."


Ein Großteil der Beobachter saß oder stand regungslos in der Nähe des Vorfalls, der Video-Ausschnitt zeigt das mehrminütige Handgemenge kurz vor seinem Ende

Eingegriffen hätten vor allem Mitglieder eines Junggesellinnenabschieds und einige heterosexuelle Migranten oder Flüchtlinge, so A. "Fakt ist, dass mitten auf dem CSD vor allen Leuten ein homophober Angriff auf eine queere Gruppe stattfand und es bis auf ein paar wenige keinen anderen interessiert hat", beklagt die Stellungnahme seiner Gruppe. Die Schlichtenden hätten auch versucht, "die Refugee-Gruppe davon zu überzeugen, dass sie besser als die Homophoben sei und daher einfach selbst weggehen sollte (!) Es ist nicht klar, welches ignorante und unsolidarische Motiv die restlischen Besucher hatten, ob es Angst, Desinteresse oder sonst etwas war."

Das Video zeigt ein teilweise recht unübersichtliches Handgemenge – es hält aber auch bereits recht früh in Richtung der Angreifer ein lautes "Was denkst Du, wer Du bist? Du bist auf unserem Fest, Mann!" fest, später auch sehr laute Rufe nach der Polizei. Die Aggressoren waren klar erkennbar und hätten bei einem beherzten Eingreifen von mehr Leuten von Gewalt abgehalten und für die Polizei festgehalten werden können. Es war die Refugee-Gruppe selbst, die die Jugendlichen beim Entfernen vom Platz nicht aus den Augen ließ, bis die Beamten eintrafen.

Während der Filmer des Videos eine Beule am Kopf davon trug, erinnerte sich sein Partner, der wegen seiner Homosexualität verfolgt wurde und nach Deutschland geflohen war, an frühere traumatische Erlebnisse. "Aufgrund dessen erlitt dieser einen Anfall und musste vom Roten Kreuz fast eine Stunde lang behandelt werden", so "Queeraspora". Aufgrund der Erlebnisse habe die Gruppe danach die Polizei gebeten, sie zum Bahnhof zu fahren oder zu begleiten, was dieser aber "aus 'versicherungstechnischen' Gründen nicht möglich" gewesen sei. "Das hat stattdessen das DRK aus Solidarität übernommen, wofür die Gruppe sehr dankbar ist", so die Flüchtlinge. "Leider war sonst an diesem Abend keine weitere Solidarität zu entdecken. Man wollte schließlich feiern!" (nb)

Direktlink | Video-Reportage der NWZ zum friedlichen Teil des CSD
Datenschutz-Einstellungen | Info / Hilfe

 Update  9.20h: Antwort der Polizei / Korrektur

Laut der inzwischen eingetroffenen Stellungnahme der Polizei gab es rund um den CSD keine Festnahme, wie hier ursprünglich unter Verweis auf "Queeraspora" gemeldet. Sie meldet aber eine Auseinandersetzung gegen 21.15 Uhr auf dem Schlossplatz. "Hier hatte ein 19-jähriger Beschuldigter auf einen 27-Jährigen eingeschlagen und getreten. Nach Zeugenangaben waren weitere Personen an der Auseinandersetzung beteiligt; die Ermittlungen laufen." Auf eine Frage zu weiteren Vorfällen während des CSD antwortete die Polizei, auf dem Schlossplatz sei es um 19 Uhr "zu einer wechselseitig begangenen Körperverletzung zwischen zwei 17 und 21 Jahre alten Frauen" gekommen, "bei der eine der beiden Frauen eine Kratzwunde im Gesicht und die andere eine leichte Augenverletzung davontrug. Sonstige Vorfälle sind uns nicht bekannt."

 Update  18.50h: Stellungnahme des CSD

Der CSD Nordwest hat auf Facebook eine Stellungnahme veröffentlicht, wonach man "vorschnelle Urteile vermeiden" wolle und es bislang "keine bestätigten Informationen, sondern lediglich verschiedene Sichtweisen" gebe. "Die Polizei ist derzeit mit der Klärung beschäftigt. Bisher ist noch Gegenstand von Ermittlungen, wer wann was wo und wie getan oder gesagt hat und Auslöser der Auseinandersetzung war. Das bedeutet übrigens auch, dass derzeit noch nicht von einem homophob-motivierten Vorfall gesprochen werden kann."

Als CSD erlebe man leider "regelmäßig Beschimpfungen am Rande der Demonstration" und Auseinandersetzungen, "fast immer" handle es sich dabei um "Beziehungsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Alkohol. Welche Motive im vorliegenden Fall eine Rolle spielen, ist Bestandteil der polizeilichen Ermittlungen." Der CSD sei "betrübt, dass unsere Veranstaltung, bei der Akzeptanz, Toleranz und eben das friedliche und respektvolle Miteinander im Mittelpunkt steht, zum Schauplatz dieses Ereignisses wurde".

 Update  21.6., 17.25h: Weitere Berichte und Stellungnahmen

Die taz und NWZ haben inzwischen eigene Beiträge zum dem Vorfall veröffentlicht.

Auch gab es in den letzten 24 Stunden weitere Stellungnahmen:

Das Bremer Zentrum rat+tat schrieb am Dienstagabend auf Facebook: "Wir sind bestürzt über die homo- und transfeindliche Gewalttat gegen queere Geflüchtete der Gruppe Queeraspora auf dem CSD Nordwest. Die körperlichen Schäden heilen schneller als die erlittenen seelischen Verletzungen. Insbesondere im Angesicht dessen, dass bei so einer Tat selbst bei Hilferufen keine Solidarität und Hilfe durch CSD-Besucher_innen geleistet wurde. Queeraspora, wir sind stolz auf euch und eure Stärke, mit der ihr den Tätern entgegengetreten seid!"

Der CSD Bremen verlinkte "sechs Regeln für Zivilcourage", verwies auf einen anstehenden Bühnenauftritt von Queeraspora und betonte: "Wir wünschen gute Besserung und Erholung allen, die hier in Deutschland z.T. erneut homophobe Gewalt erleben mussten. (Wir haben gestern kurz gesprochen, unsere Teams tagten zeitgleich im KWEER)".

Queeraspora selbst zeigte sich am Mittwoch in einer eMail an queer.de angesichts von "empathielosen, ignoranten und relativierenden" Aussagen "enttäuscht" über die Polizei, die bislang nur von einer Körperverletzung spricht, und "bestürzt, wie unsolidarisch unsere 'Geschwister' vom CSD-Nordwest ihre Stellungnahme verfasst haben". Vor diesen Äußerungen sei nicht mal ein Kontaktversuch mit Queeraspora unternommen worden, die immerhin Gastredner stellten. "Dann war der Applaus bzgl. der Rede über queere Solidarität nur Show!?", fragt die Gruppe irritiert.

Angesichts von mindestens drei Opfern körperlicher Gewalt sei es "ungeheuerlich, dass der CSD Nordwest auf Kosten der geflüchteten queeren Gruppe den Ruf ihres Events erhalten wolle", obwohl sich die Kritik der Gruppe zunächst gar nicht an die Organisation gerichtet habe. (nb)

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#1 KarlAnonym
  • 20.06.2017, 07:19h
  • Es ist schon etwas unfair, andere Leute dafür zu kritisieren, dass sie ihre Gesundheit nicht riskieren.
    Zivilcourage endet nicht selten im Krankenhaus oder auf dem Friedhof und manchmal auf der Anklagebank.
    Ich würde mein Handeln in so einer aggressiven Situation auch nur darauf beschränken, Beweismaterial zu sichern.
    Die wenigsten haben die Kenntnisse, um ein aufgeputschtes Alphatier zu bändigen.
    Man fühlt sich vermutlich noch hilfloser als die Angegriffenen.

    Und wie war die Erwartungshaltung? Sollten sich jetzt Leute auf die stürzen und körperlich angehen mit der Gefahr wegen Körperverletzung verklagt zu werden?

    Das ist Aufgabe und Kompetenz der Polizei, die ja anscheinend auch ihre Arbeit gemacht hat.
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#2 TraumzerstörerAnonym
  • 20.06.2017, 08:26h
  • Am T-Shirt mit der Aufschrift "'#defend" sieht man ja schon, aus welchem Umfeld die Täter stammen. Rechtsradikal, Identitär, in der Richtung sollte man vielleicht etwas mehr unternehmen von Seiten des Staates aus. Wo ich wohne, da sehe ich auch ständig Leute mit Freiwild-T-Shirts, Lederjacken der German Defence League und ähnliches. Hier ist alles voller rechter Aufkleber, auch ganz bewusst gegen uns, mit Aufschriften wie "Gender mich nicht!"
    Ich gehe nicht mehr ohne Messer nach draußen, denn ich werde mein Leben oder meine Gesundheit nicht diesem Abschaum schenken.
    Während ich mich früher von diesen Menschen eingeschüchtert fühlte und starke Angst hatte, packt mich heute die Wut und der Hass wenn ich sie erblicke und mein ganzer Körper spannt sich an, bereit zum Kampf.

    Wenn der Staat nichts macht, muss man selbst um sein Leben kämpfen, in diesem Fall wäre es echt gut gewesen, wenn die Faschos von den CSD-Teilnehmer/innen ins Krankenhaus gebracht worden wären, das hätte Eindruck gemacht und ein Zeichen gesetzt. So haben die Rechten mal wieder Bestärkung in ihren Allmachtsfantasien bekommen und wissen, sie haben nichts zu befürchten, selbst wenn sie handgreiflich werden.
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#3 JanJanAnonym