Der Deutsche Bundestag muss in dieser Legislaturperiode nicht mehr über die Ehe für alle abstimmen. Das Bundesverfassungsgericht teilte am Dienstagvormittag mit, dass es den Antrag der Grünen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt hat.
Hintergrund der Klage: Im Rechtsausschuss liegen derzeit drei Gesetzentwürfe zur Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare, die von der Linksfraktion, den Grünen und dem Bundesrat erstellt worden waren. Obwohl der erste dieser Entwürfe von der Linkspartei bereits im Dezember 2013 eingebracht worden war und der Rechtsausschuss bereits im September 2015 eine Expertenanhörung durchführte, wird das Thema nicht zur endgültigen Debatte auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt.
Der Grund: Immer wieder blockiert der von CDU/CSU und SPD dominierte Rechtsausschuss eine Ansetzung durch Vertagung – bislang 29 Mal. Nach Artikel 76 des Grundgesetzes sind jedoch, zumindest im Fall von Gesetzentwürfen aus dem Bundesrat, "über die Vorlagen in angemessener Frist zu beraten und Beschluss zu fassen".
Der Klage hatte sich auch die Linksfraktion, nicht aber der Bundesrat angeschlossen. Karlsruhe traf mit der Entscheidung kein Urteil über die Ehe-Öffnung an sich, sondern über die allgemeine Frage, welche Rechte und Pflichten die einzelnen Beteiligten an einem Gesetzgebungsverfahren haben.
Karlsruhe sieht keine "willkürliche Verschleppung"
Das Bundesverfassungsgericht konnte in seiner Entscheidung keine "willkürliche Verschleppung der Beschlussfassung" erkennen: "So trägt die Antragstellerin selbst vor, sie habe bis März 2017 nicht von einer Blockade ihrer Gesetzesvorlage ausgehen können, zumal auch in der mehrheitlich ablehnenden Unionsfraktion unterschiedliche Positionen erkennbar gewesen seien", heißt es in der Begründung der Klageabweisung. "Vor diesem Hintergrund erscheint es denkbar, dass der Verzicht auf die Beschlussfassung über die streitgegenständlichen Gesetzentwürfe mit dem Ziel der Herstellung oder Verbreiterung einer mehrheitlichen Unterstützung für das Projekt der gleichgeschlechtlichen Ehe und damit nicht ohne sachlichen Grund erfolgte."
Zudem wiesen die Karlsruher Richter darauf hin, dass die Gesetzentwürfe zur Ehe für alle "Gegenstand mehrfacher und ausführlicher Beratungen im Plenum des Deutschen Bundestages" waren: "Selbst nach Einschätzung der Antragstellerin ist der Inhalt der Gesetzentwürfe damit 'bis zum Überdruss aller Beteiligten' erörtert worden. Angesichts dieser Abläufe ist aber für die Annahme eines 'Leerlaufens' des Gesetzesinitiativrechts im vorliegenden Fall kein Raum."
Es sei "grundsätzlich dem Parlament vorbehalten, die Prioritäten bei der Bearbeitung der ihm vorliegenden Angelegenheiten selbst zu bestimmen", heißt es weiter in der Entscheidung. "Insbesondere folgt aus dem Befassungsanspruch des Gesetzesinitianten keine Pflicht des Ausschusses oder des Bundestages, über sämtliche vorliegenden Gesetzesvorhaben innerhalb einer Legislaturperiode abschließend zu entscheiden. Vielmehr ist hinzunehmen, dass vorliegende Gesetzentwürfe mit dem Ende der Legislaturperiode der Diskontinuität anheimfallen können."
Beck kritisiert Verfassungsrichter
Die Begründung der Karlsruher Richter "erstaunt und enttäuscht" und gehe an der Realität vorbei, kritisierte Volker Beck in einer ersten Reaktion, sie sei aber zu akzeptieren. "Die Rechte der Abgeordneten, des Bundesrates und der Opposition werden dadurch geschwächt."
Auch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter zeigte sich enttäuscht: "Ich bedauere, dass das Verfassungsgericht unserem Antrag nicht stattgegeben hat. So kann die Große Koalition die vorliegenden Gesetzentwürfe zur Ehe für alle weiter aussitzen, und eine kleine konservative Minderheit der Union kann die Rechte von Lesben und Schwulen weiterhin beschneiden."
Die Unionsfraktion im Bundestag begrüßte hingegen das Urteil: "Das Jammern über Minderheitenrechte ist ohne verfassungsrechtliche Grundlage", erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU). "Eine größere Ohrfeige verfassungsrechtlicher Art kann man sich in Karlsruhe gar nicht abholen."
Volker Beck sieht den Spielball nun bei der SPD: "Wir haben alles versucht", meinte der Grünen-Politiker. "Jetzt muss die SPD im Rechtsausschuss mit der Opposition den Gesetzentwurf zur gleichgeschlechtlichen Ehe beschließen. Denn 100 Prozent Gleichstellung, das hat sie versprochen, das muss sie jetzt liefern." (mize)
Der Bericht wurde mehrfach aktualisiert.
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Aber die Grünen haben es zumindest versucht.
Das ist mehr, als man von der SPD behaupten kann.