Das Straßburger Gericht stellte sich in den letzten Jahren häufig auf die Seite russischer LGBTI – nun hat es sich erstmals mit "Propaganda"-Gesetzen befasst (Bild: Mathieu Nivelles / flickr)
Rüffel für Russland und Homo-Hasser: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Sitz in Straßburg hat sich in einem am Dienstag veröffentlichten Urteil erstmals mit Gesetzen gegen sogenannte Homo-"Propaganda" befasst und diese als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention bewertet. Die Gesetze "verstärken Stigmatisierung und Vorurteile und befördern Homophobie", beklagten die Richter.
Die Richter entschieden auf die Klage dreier LGBTI-Aktivisten, dass entsprechende Gesetze in Russland gegen die Artikel 10 und 14 der Menschenrechtskonvention verstießen, also eine ungerechtfertigte Diskriminierung und Einschränkung der Meinungsfreiheit darstellten. Das Urteil erging mit sechs zu einer Stimme – ein russischer Richter veröffentlichte eine abweichende Meinung.
In den vorliegenden Fällen (AZ 67667/09, 44092/12 und 56717/12) ging es um Festnahmen von Aktivisten nach den regionalen Gesetzen in Rjasan, Archangelsk und St. Petersburg – sie bildeten die Grundlage für das 2013 beschlossene landesweite Gesetz gegen Homo-"Propaganda". Es verbietet die "Bewerbung nicht-traditioneller Beziehungen" im Beisein von Kindern und Jugendlichen.
Gesetze dienen der Unterdrückung
Die Gesetze sehen Geldstrafen für Verstöße vor, in der Praxis werden sie vor allem zum Vorabverbot von Protestaktionen und zur Rechtfertigung der Festnahme von Demonstranten verwendet – vor Gericht werden die Fälle seitens der Behörden dann in der Regel nicht mehr gebracht oder es werden andere Paragrafen angewendet. Zugleich werden die Gesetze zur politischen und gesellschaftlichen Stimmungsmache genutzt, und sie haben aufgrund ihrer Unbestimmtheit eine einschränkende Wirkung etwa auf Behörden und Medien: So begründete die Medienaufsicht mit dem föderalen Gesetz ein Vorgehen gegen ein Online-Forum für LGBTI-Jugendliche.
In den vorliegenden Fällen hatten die LGBTI-Aktivisten gezielt versucht, eine der seltenen Verurteilungen zu erzielen, um durch die Instanzen klagen zu können. Außerdem sollte aufgezeigt werden, wie lächerlich die Gesetzgebung ist. So demonstrierte der erste Kläger im März 2009 (!) vor einer Schule in Rjasan mit den Plakaten "Homosexualität ist normal" und "Ich bin stolz auf meine Homosexualität". Straßburg urteilte auch zu ähnlichen Protesten 2012 vor einer Kinderbibliothek in Archangelsk und vor der Stadtverwaltung in St. Petersburg. Zum landesweiten Gesetz sind auch bereits Klagen anhängig, aber noch nicht entschieden.
Signalwirkung vor allem für andere Länder
Das Gericht sprach den drei Klägern, darunter dem Moskauer CSD-Organisator Nikolai Aleksejew, Schmerzensgeld sowie die Erstattung der Prozesskosten zu. Urteile des Gerichts sind für alle 47 Mitgliedstaaten des Europarats bindend; es kann eine Umsetzung aber nicht erzwingen, sondern notfalls nur erneut Urteile sprechen.
So hatten russische Behörden inzwischen etliche Straßburger Entscheidungen, wonach Verbote von CSD-Demonstrationen oder anderer LGBTI-Kundgebungen Menschenrechtsverstöße darstellten, als Einzelfallentscheidungen bewertet und an der Praxis von Verboten und Festnahmen festgehalten. Russland hatte zudem 2015 entschieden, nicht mehr alle Urteile der Straßburger Richter anzuerkennen (queer.de berichtete).
Dennoch hat das Urteil Signalwirkung auch für andere Länder, in denen es ähnliche Gesetze oder Debatten gibt. Die Richtermehrheit widerlegte die angeforderte Stellungnahme Russlands ausführlich: So dürften Bestimmungen zur Erhaltung der Moral nicht von Vorurteilen geprägt sein, auch stünden homosexuelle Beziehungen sogenannten Familienwerten nicht entgegen. Zudem gebe es ein Recht des Kindes auf objektive Informationen und auf einen Schutz vor Homophobie; eine Erziehung zu den Ideen von "Vielfalt, Gleichheit und Toleranz" sei förderlich, nicht schädlich. (nb)
Aber das ist natürlich dennoch ein wichtiges Zeichen...