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Debatte im Parlament

§175: Bundestag stimmt geschlossen für Rehabilitierung bestrafter Männer

In einer bislang einmaligen Entscheidung will das Parlament verursachtes Unrecht der Nachkriegszeit wieder gut machen – schafft auf Druck der Union aber neue Diskriminierung im Geist der alten.


Von der Straße ins Parlament: Eine alte Forderung hat sich am Donnerstag im Bundestag erfüllt, mit der Rehabilitierung fast aller Verfolgten nach § 175. Für einige weitere Männer könnte es beim Bundesverfassungsgericht weiter gehen – die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld will Klagen unterstützen.

  • Von Norbert Blech
    23. Juni 2017, 08:29h 33 13 Min.

Zur ersten Lesung im April hatten sie Tränen der Rührung geweint: Mehrere Männer, die wegen des Paragrafen 175 im Nachkriegsdeutschland wegen einvernehmlicher homosexueller Kontakte verurteilt worden waren, waren nach Berlin gereist, trafen sich mit Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) und verfolgten von Ehren- und Besuchertribüne aus die Debatte über die Aufhebung ihrer Urteile und die geplante kleine finanzielle Entschädigung.

Diese Debatte wurde dem historischen Anlass nur bedingt gerecht: es gab unpassende Wahlwerbung ebenso wie Relativierungen von Schuld, das Haus war nicht einmal halb voll, und die Entschädigung gilt allgemein als dürftige Minimallösung. Aber die Männer verdrückten ihre Tränen und der damalige queer.de-Artikel wählte als Überschrift zum vorherrschenden Ton: "§175: Der Bundestag verneigt sich vor den Opfern".

Acht Wochen später ist die Freude noch getrübter. Weil die zweite und dritte Lesung am Donnerstag, vor ebenfalls fast leeren Haus und diesmal auch ohne Maas oder sonstigem Kabinettsvertreter, für einen erneuten Besuch zu kurzfristig angesetzt wurde. Und weil in einem in letzter Minute eingebrachten Änderungsantrag der Regierungsfraktionen ein nachträgliches Schutzalter von 14 auf 16 Jahre angehoben wurde (queer.de berichtete). Bei zweien der Männer, die im April auf der Ehrentribüne saßen – beide über 70, beide noch vor dem 16. Lebensjahr erstmals verurteilt – , hatte das zur Sorge geführt, dass sie nun doch nicht rehabilitiert werden.

Das werden sie zwar voraussichtlich, aber bei der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld meldeten sich in den letzten Tagen so einige Männer, die sich nichts zu Schulden haben kommen lassen und nun unter Tränen berichteten, wohl weiter mit dem Makel einer Verurteilung leben zu müssen. Der Gesetzentwurf (PDF, Bericht mit den wichtigsten Details, Rechtsausschuss-Empfehlung mit Alters-Änderung), der als Zeichen guten Willens trotz der Abschwächung einstimmig beschlossen wurde und noch als Formalie durch den Bundesrat muss, hatte dabei genau die Beseitigung dieses Makels als Ziel.

Bundesrat, Opposition, LGBTI-Verbände und Betroffene hatten u.a. höhere Entschädigungssummen und umfassendere Kollektiventschädigungen gefordert sowie Entschädigungen auch für die Männer, gegen die lediglich ermittelt wurde. Der Paragraf, nach dem rund 65.000 Männer nach dem Krieg verurteilt wurden, hatte das Leben aller Homosexueller über Jahrzehnte umfassend beeinträchtigt.

SPD gibt Erpressung der Union an Betroffene weiter

Der Abgeordnete Karl-Heinz Brunner (SPD) erinnerte zum Einstieg der Debatte an die berühmte Rede des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, wonach der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung war. Doch das habe nicht für jeden gegolten: "Nicht für Menschen, deren einziges Schicksal es war, das normalste zu tun, was Menschen können, nämlich Zuneigung zu zeigen und sich zu lieben." Er habe nie verstanden, wie die junge Bundesrepublik in einer freiheitlichen Gesellschaft ohne Scham das "schändliche Treiben" mit dem gleichen verschärften Paragrafen der Nazi-Zeit fortgesetzt habe, von der sie befreit wurde, und das auch noch mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts.

Dieses habe ermöglicht, dass "wütende, schnüffelnde Strafverfolgungsbehörden" Razzien und Massenverhaftungen durchführten, "dass berufliche Existenzen zerstört, Familien vernichtet und Menschen ruiniert wurden". Dieses "himmelschreiende Unrecht" sei nun aufgehoben. Leider nicht so, wie er sich das gewünscht hätte, nicht mit gleichen Rechten für Heteros und Homos, nicht mit gleicher Schutzaltersgrenze.



Aber eine "Beendigung der Diskriminierung" sei leider "mit unserem Koalitionspartner auch 62 Jahre nach dem Tag der Befreiung nicht zu machen", so Brunner. "Neues Unrecht, neue Diskriminierung" werde geschaffen. "Mich macht's nur ärgerlich."

Man könnte daraus einige Konsequenzen und Schlüsse ziehen, aber Brunner gab die "Friss oder stirb"-Haltung der Union Richtung SPD an die Betroffenen weiter, ergänzt noch um ein "Maul halten", und kritisierte speziell einen Kommentar von queer.de vom Donnerstag: "Doch dann lauthals, wie manche Gazetten das machen, den heutigen Tag als zynische Rehabilitierung zu bezeichnen, von vergifteter Wiedergutmachung zu sprechen, das ist nicht angemessen. Genau diese Kompromisslosigkeit, die diese Schreiber an den Tag legen, die ist es, welche wirklich zynisch ist. Denn sie, die Kompromisslosen, die nehmen in Kauf, dass täglich weitere Opfer sterben (…) Vielleicht für politischen Landgewinn, für eine höhere Auflage. Ich finde das persönlich einfach nur schäbig."

Brunner kritisierte dann auch noch das Bundesverfassungsgericht, das sich ja auch mal entschuldigen könne, und betonte zu weiteren Projekten wie der Ehe für alle: "Wir packen's an." Es klang eher wie eine Drohung.

Harald Petzold: Neues Unrecht wird geschaffen

Harald Petzold von der Linksfraktion kritisierte überraschend auch "die Fachpresse", die in ihrer Berichterstattung zur ersten Lesung die CSU-Abgeordnete Gudrun Zollner ignoriert habe (dazu später mehr). Er lobte die Abgeordneten aller Parteien, denen die Rehabilitierung wie ihm ein "Herzensanliegen" sei, die zumindest den Lebenden noch ein Zeichen sei, dass ihr Kampf für Gerechtigkeit nicht umsonst gewesen ist.



Leider sei das Gesetz aber noch "Gegenstand unwürdigen Geschachers" geworden und schaffe "neues Unrecht". Einige Kollegen hätten es sich nicht verkneifen können, "diese neue Diskriminierung in das Gesetz zu bringen und damit denen, die entschädigt werden sollen, doch so einen Makel von Jugendgefährdung anzukleben", beklagte Petzold. Wovon in der Bevölkerung immer etwas hängen bleibe.

"Ich finde das unwürdig und mir fehlen eigentlich die Worte für so eine miese Kiste", sagte Petzold. Die SPD kritisierte er dafür, das mitgemacht zu haben: "Ihr plustert euch immer so auf, und wenn es um die Abstimmung geht, habt ihr keine Eier, um das zu verhindern." Es sei auch schade, dass zusätzliche Anträge und Vorschläge etwa seiner Fraktion ignoriert wurden. In der nächsten Legislaturperiode werde man neue Initiativen ergreifen.

Sabine Sütterlin-Waack: Rehabilitierung "menschlich notwendig"

Die CDU-Abgeordnete Sabine Sütterlin-Waack beklagte die Kontinuität unter anderem in der Justiz nach Kriegsende, aber auch gesellschaftliche Ansichten, die zu der Verfolgung geführt hätten. Für Schwule habe es eine Mehrfachbestrafung durch Kriminalisierung und Stigmatisierung gegeben. Aus heutiger Sicht seien die Urteile in höchstem Maße grund- und menschenrechtswidrig.

Dennoch habe man bei der Frage der Aufhebung der Urteile verfassungsrechtliches Neuland betreten, sei aber zu dem Schluss gekommen, dass Bedenken etwa zur Gewaltenteilung zu vernachlässigen seien, die Rehabilitierung rechtlich möglich und "menschlich notwendig" sei.



Allerdings wolle man als Unionsfraktion auch keine "Wertungswidersprüche" haben, keine Rehabilitierung für Handlungen, die nach damaligen Recht bei heterosexuellem Sex oder nach heutigem Recht strafbar wären. Mit dem späten Änderungsantrag reagiere man auf eine "potenzielle verfassungsrechtliche Schwachstelle" des Gesetzes, auch wenn das nicht von allen so gesehen werde und man damit "einigen Männern die Hoffnung auf eine Rehabilitierung nehme".

"Kein Verständnis habe ich aber allerdings für das Schwingen der Homophobie-Keule", schlug auch sie in Richtung Szenepresse und Verbände. "Ich sage es ganz deutlich: Wir mussten eine Antwort auf die dargestellten Bedenken geben." Wo das Problem genau liege, erklärte die designierte Justizministerin in Schleswig-Holstein allerdings nicht.

Exkurs: Die Schutzalters-Frage

Wenn "den Verurteilungen (…) sexuelle Handlungen mit Personen unter sechzehn Jahren (…) zugrunde" liegen, wird eine Rehabilitierung nach aktuellem Gesetzesstand pauschal ausgeschlossen – bis vor wenigen Tagen lag die Grenze wie bei heterosexuellem Sex bei vierzehn Jahren. In der Begründung des gemeinsamen Änderungsantrags von CDU/CSU und SPD heißt es schlicht: "Hierdurch soll dem Gedanken des Jugendschutzes möglichst umfassend Rechnung getragen werden." Was man allein auf Schwule bezogen schnell wieder als diskriminierend bewerten kann. Mehrere Unions-Politiker betonten hingegen zu den Änderungen, durch den Paragrafen 182 StGB habe das Schutzalter auch für Heteros bei 16 Jahren gelegen.

Dieser Paragraf hatte früher den bemerkenswerten Titel "Verführung eines unbescholtenen Mädchens unter 16 Jahren" – war aber keine Art generelles Schutzalter, sondern laut BGH-Interpretation aus dem Jahr 1968 eine klare Gesetzgebung gegen Missbrauch, die auf die Ausnutzung einer "geschlechtlichen Unerfahrenheit" und einer "geringeren Widerstandskraft" samt "Beseitigung eines inneren Widerstands" abzielte.

Eine Verfolgung war zudem nur auf Antrag der Eltern oder eines Vormunds möglich; einverständliche sexuelle Handlungen von Frauen mit Jungen oder Mädchen waren nicht strafbar. Die Bestimmung wurde zwischenzeitlich noch so verändert, dass eine spätere Ehe eine Bestrafung ausschließt oder dass ein Richter von der Bestrafung eines Unter-21-Jährigen absehen kann.


Plakat gegen den Paragrafen 175 im Schwulen Museum. In seinen späteren Jahrzehnten betraf er nur noch ein unterschiedliches Schutzalter – und wirkte damit gerade für schwule Jugendliche stigmatisierend und einschränkend. Nach heutiger Rechtsprechung haben Jugendliche ab 14 Jahren die Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Bild: nb

Inzwischen ist der Paragraf 182 eine allgemeine Strafrechtsbestimmung zu sexuellem Missbrauch an Jugendlichen. Das nun beschlossene Rehabilitierungsgesetz sieht neben der Altersgrenze von jetzt 16 Jahren bereits seit der Entwurfsphase auch einen Ausschluss vor, wenn die Handlung analog zu dem Paragrafen 182 oder auch nach §174 StGB (Missbrauch von Schutzbefohlenen) geschah – in den heute geltenden, verschärften Fassungen. Vor einer Rehabilitierung müssen Betroffene einen Nicht-Verstoß unter Umständen durch Dokumente oder eidesstattliche Versicherungen nachweisen.

Die neue Altersgrenze schützt also nicht Missbrauchsopfer zusätzlich, sondern lässt manche diskriminierende Bestrafung in Kraft und ersetzt rückwirkend den Paragrafen 175 durch eine neue diskriminierende und ähnlich begründete Altersbestimmung, die vermutlich verfassungs- und europarechtswidrig ist und die auch ein falsches Signal an die heutige queere Jugend sendet.

Praktisch bedeutet der "Jugendschutz": Wer als 17-Jähriger mit einem 15-Jährigen Sex hatte, wird bei einer ursprünglichen Bestrafung beider Männer anders als der 15-Jährige nicht rehabilitiert. Der 15-Jährige wird hingegen nicht rehabilitiert, wenn er mit einem Gleichaltrigen Sex hatte.

Volker Beck nimmt Abschied

Als nächster Redner erinnerte sich Volker Beck daran, wie er 1989 als Referent der grünen Bundestagsfraktion einen ersten Gesetzentwurf zur Streichung des Paragrafen 175 schrieb, 1993 als Sprecher des Schwulenverbands auf Einladung der FDP im Rechtsausschuss für die Abschaffung argumentierte, die dann 1994 erfolgte. Heute sei nun wieder ein historischer Tag: "Der Bundestag erkennt die Menschenrechtsverletzungen an den homosexuellen Männern in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik ausdrücklich an und sagt: Dieses Unrecht darf keinen Bestand haben."

Es sei gut, dass für viele das "Stigma des Kriminellen" beseitigt werde, "und weniger gut, dass viele das nicht mehr erreicht, weil sie in der Zwischenzeit verstorben sind". Beck erinnerte daran, dass bereits ein Ermittlungsverfahren den sozialen Tod bedeuten konnte, dass es verbunden war "mit Schande und Schmach". Er bat erneut (vergeblich) um Zustimmung zum eigenen Gesetzentwurf, der auch diese Männer berücksichtigt.



Der von der Regierung gewählte Regelungsweg sei "unverständlich", so Beck, man hätte sich wie bei der Aufhebung des Paragrafen 175 aus der Nazi-Zeit am NS-Unrechts-Aufhebungsgesetz orientieren können – die Rehabilitierung (allerdings nicht Entschädigung) der Verurteilten aus der damaligen Zeit brauchte nur ein paar Sätze und war von dem Gedanken geprägt, dass Unrecht nicht auch Recht enthalten könne. Dass man nun noch "eine Sperre reinhaut, symbolisch, dass nicht alles rehabilitiert wird", das sei in der Sache und in der Botschaft "nicht angemessen", so Beck. "Das macht die heutige Entscheidung auch bitter." In der Praxis spiele das kaum eine Rolle, da nur die Paragrafen bekannt seien, nach denen Menschen verurteilt wurden, aber nicht die Urteile. "Da fragt man sich doch: Warum musste das unbedingt sein?"

Wenn sich der Rechtsausschuss nicht noch einen Ruck gibt und eine Debatte über die Ehe für alle in der nächsten Woche ermöglicht, war das Becks letzte Rede im Bundestag (zumindest für die nächsten vier Jahre). Er lobte noch einmal die Kollegialität im Haus, die einen Rechtsstaat ausmache und verteidigen könne und müsse. Abgeordnete sollten noch mehr selbstbewusst ihre Stärke entdecken, gegen die Regierung (man sei schließlich nicht an Weisungen gebunden) und gegen die, die den Parlamentarismus denunzieren. Er betonte den Kampf gegen Populisten wie – etwas rätselhaft und als hätte es das an diesem Abend noch gebraucht – gegen "nickelige" Journalisten.

Johannes Kahrs: Die Vergangenheit tut uns leid

Auf Kritik an der Presse kann Johannes Kahrs verzichten – der SPD-Abgeordnete verbreitet in der Regel Videos seiner immer kämpferischen Bundestagsreden schneller in sozialen Netzwerken als Journalisten diese aufschreiben und einordnen können. 86 Prozent der Deutschen befürworten die Rehabilitierung der Männer, berichtete Kahrs. 64.000 Männer wurden verurteilt. Getroffen habe es auch ihre Partner und Freunde – und alle die, "die sich versteckt haben", "ewige Junggesellen" wurden. All ihr Leben wurde "versaut".

"Das ging bis 1994 so", beklagte Kahrs. Für die Verurteilten biete man nun eine Rehabilitierung und eine Entschädigung. "Den vielen weiteren, die ihr Leben nicht leben konnten, wie sie es gewollt hätten, denen bieten wir nichts. Ich glaube aber, dass wir als Parlament sagen müssen, dass es uns leid tut" – gerade als Vertreter von Parteien, die in früheren Parlamenten für ein Unrecht in einer Demokratie gesorgt hätten.



Kahrs betonte, man sei mit dem Änderungsantrag über ein Stöckchen gesprungen. "Dafür haben wir auch Dresche bezogen. Aber die Alternative wäre gewesen, dass die CDU/CSU dieses Gesetz sonst nicht hätten beschließen lassen. Das wäre nicht akzeptabel gewesen." Mit Kritik an den gerade Anwesenden im Parlament treffe man auch bei der Union die falschen, diese seien "die Lösung". "Die hier nicht sitzen, die sind das Problem."

Kahrs machte sogar noch Versprechungen: "Die Öffnung der Ehe, liebe Kollegen der Union, sie wird kommen. Zur Not auch ohne Sie!" Zugleich erinnerte er an parlamentarische Spielregeln – die Grünen hätten schließlich doch auch gegen die Ehe für alle in Baden-Württemberg gestimmt (zu einem Schauantrag der SPD, queer.de berichtete). Im Bund könne die SPD nicht dafür stimmen, "weil es einen Koalitionsvertrag gibt, an den wir uns alle halten. Wir alle kennen diese Zwänge." In den letzten Kahrs-Reden zum Thema hatte das noch anders geklungen, und direkt im Anschluss meinte er: "Trotzdem wird die Öffnung der Ehe kommen, ob mit oder ohne Union, es ist mir langsam auch egal. Notfalls wird es der Bundeskanzler Martin Schulz eben regeln müssen."

Gudrun Zollner: Den Männern die Ehre zurückgegeben

Nach dem extremen Ausbruch von Wahlkampf ergriff die CSU-Abgeordnete Gudrun Zollner das Wort und kritisierte, von queer.de bei der letzten Zusammenfassung der ersten Lesung nicht mal namentlich erwähnt worden zu sein. "Vielleicht passt es ja einigen ideologisch nicht, dass sich eine CSU-Politikerin für LGBTI-Themen einsetzt", giftete sie dann auch noch (sie findet sich mit unterschiedlich ausgeprägtem Einsatz mehrfach im Archiv, war an dem Tag einfach die letzte Rednerin, hielt sich allgemein und der Text war schon so lang wie dieser hier).



An diesem Donnerstag lobte Zollner Entwicklungen in der Gesellschaft und in der Union und zitierte Christian Friedrich Hebbe: "Es gehört oft mehr Mut dazu, seine Meinung zu ändern, als ihr treu zu bleiben." Und sie lobte die Antidiskriminierungsstelle, die vor einem Jahr mit dem Gutachten zur Notwendigkeit und rechtlichen Möglichkeit der Rehabilitierung der Debatte einen Ruck gebeben habe.

Man könne das Leid der Betroffenen nicht lindern, das dieser Paragraf verursacht habe, "der homosexuelle Männer zu Verbrechern machte, durch den viele ihre Arbeit und ihr Ansehen verloren, an den Familien zerbrachen, der sie in den sozialen Tod trieb." Aber man könne den Männern ihre Ehre zurückgeben. "Endlich." Deutschland zeige damit auch national und international ein "Zeichen gegen Ausgrenzung und Diskriminierung".

Kampf in Berlin und Karlsruhe geht weiter

Richtig angekommen ist das Zeichen nicht. "Das heute verabschiedete Rehabilitierungsgesetz ist ein historisch bedeutsamer Meilenstein und wird international Beachtung finden", befand zwar Jörg Litwinschuh von der Bundestiftung Magnus Hirschfeld nach der Debatte. Er betonte aber auch: "Ich unterstütze Betroffene, die nicht rehabilitiert werden, wenn sie vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Das Unrecht muss vollständig beseitigt werden."


Jörg Litwinschuh (r.) und Christine Lüders von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vor acht Wochen mit Männern, die nach dem Paragrafen 175 verurteilt wurden, bei der ersten Lesung des Gesetzes. Bild: Manuel Izdebski

Und auch an anderen Punkten hapert es: Am Nachmittag war der Bundestag bereits dem Familienausschuss gefolgt und hatte in abschließender Beratung einen Antrag der Grünen, "Jung, queer, glücklich in die Zukunft – Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Jugendliche stärken", ohne weitere Debatte abgelehnt (PDF, Bericht zur ersten Lesung). In der letzten Woche hatte das Bundeskabinett die im Koalitionsvertrag versprochene Ausweitung des Nationalen Aktionsplans gegen Rassismus auf die Bereiche Homo- und Transphobie vorgestellt, die von Verbänden lediglich als "beschönigende Rückschau" bezeichnet wurde (queer.de berichtete). Und die Ehe-Öffnung? Der Rechtsausschuss hatte sie am Mittwoch zum 30. Mal vertagt (queer.de berichtete); niemand rechnet damit, dass sich das in der nächsten Woche, der letzten Sitzungswoche vor der Wahl, noch ändern könnte.

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#1 Simon HAnonym
  • 23.06.2017, 08:53h
  • Nein, der Bundestag stimmt für eine Teil-Rehabilitierung.

    Das sollten wir auch genauso offen sagen, wie es nun mal ist und der Politik nicht wieder einen verfälschenden Sprachgebrauch durchgehen lassen.
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#2 PierreAnonym
  • 23.06.2017, 09:03h
  • Damit ist klar: es gibt KEINE Rehabilitierung der §175-Opfer.

    Man kann allenfalls von einer Teil-Rehabilitierung sprechen.

    Und selbst da soll die Not der Opfer ausgenutzt werden, um sie mit Almosen abzuspeisen, die nicht mal ansatzweise deren wirtschaftlichen Schaden ersetzen, mal ganz abgesehen von körperlichen und psychischen Schäden.
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#3 stephan
  • 23.06.2017, 09:18h
  • Man kann es wieder mit vielen Worten schönreden, aber die Differenzierung nach dem Schutzalters ist natürlich eine erneute Diskriminierung - und das ist mehr als schäbig - schäbig wie der ganze Teil der in der Adenauerzeit verhafteten Union schon immer war!

    Besonders lächerlich war auch wieder die Rolle der SPD, die wieder in allem der Union nachgegeben hat, anstatt Recht und Anstand mithilfe der Grünen und Linken gegen die Diskriminiererpartei Union durchzusetzen!

    Besonders lächerlich aber war der Abgang von KAHRS nach seinem Redebeitrag. Er meinte - wie üblich - die Eheöffnung sei mit der Union nicht durchsetzbar gewesen, sie komme aber sicher und weil es mit der Union nicht ginge, müsse der Bundeskanzler Schulz es machen. ... Schöner Witz aber bitter! Nicht nur sieht es gerade nicht nach einem Bundeskanzler Schulz aus, mehr noch, auch die vorhandene Mehrheit für die Eheöffnung scheint im nächsten Bundestag recht fraglich zu sein! RESULTAT: Die SPD spielt schäbig mit den Menschen- und Bürgerrechten von Schwulen und Lesben! Das ist DRECKIG und SCHÄBIG!

    Zum Schluss: Herzlichen Dank an VOLKER BECK für sein großes Engagement über so lange Zeit! Ich hoffe, er bleibt unserem Kampf um Gleichstellung und Eheöffnung und gegen Diskriminierung auch weiterhin erhalten!
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