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Nach Verbot am Vortag
Istanbul: Polizei setzt Tränengas gegen friedliche CSD-Teilnehmer ein
Erneut wird in der türkischen Metropole ein Pride mit Gewalt unterdrückt, die Polizisten nehmen über 20 LGBTI-Aktivisten fest. Ihre Freunde zeigen dennoch weiter Mut und Stolz.

Auch in diesem Jahr setzte die Polizei Istanbuls wieder Tränengas gegen friedliche Demonstranten ein
- 25. Juni 2017, 14:53h 4 Min.
Von Norbert Blech, mehrfach aktualisiert
Die Polizei hat am Sonntagnachmittag in Istanbul über 20 Menschen im Rahmen des 15. "Marsch des Stolzes" festgenommen, darunter auch einen niederländischen Fotografen, der für die Agentur AP tätig ist, und eine Abgesandte des CSD von Kopenhagen. Die Demonstration zum Abschluss des 25. Pride in der türkischen Metropole war wie in den beiden Vorjahren vorab verboten worden (queer.de berichtete).
Bereits vor Beginn hatte die Polizei die Gegend um die zentrale Einkaufsstraße Istiklal großräumig abgesperrt und auch Seitenstraßen mit Barrikaden versperrt; der Taksim-Platz wurde komplett abgesperrt. Polizisten kontrollierten mehrere Passanten; ein Bild eines BBC-Journalisten zeigte einen Pride-Besucher, wie er von der Polizei zum Ausziehen seines T-Shirts mit aufgedruckten Regenbogenmotiv gezwungen wurde.
/ marklowen#Turkey police force someone to take off their t-shirt because it says "pride". #Istanbul #LGBTPride pic.twitter.com/CADdUUKuUn
— Mark Lowen (@marklowen) June 25, 2017
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Die CSD-Organisatoren hatte vorab angekündigt, in jedem Fall demonstrieren zu wollen, und hatten bis zuletzt mit der Polizei über mögliche Kundgebungen in der Innenstadt verhandelt. Teilnehmer wurden aufgerufen, sich an verschiedenen Plätzen zu sammeln, dort oder auf den Weg dorthin waren die ersten Festnahmen erfolgt.
/ TerryReintke | Die grüne Europaabgeordnete Terry Reintke hatte eine der ersten Festnahmen als Video festgehaltenPolice starting to arrest activists aggressively. #Yürüyoruz #IstanbulPride pic.twitter.com/HIfZ3D74bt
— Terry Reintke (@TerryReintke) June 25, 2017
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In einer vor dem Französischen Kulturinstitut als ursprünglichen Sammelpunkt im Trubel verlesenen Presseerklärung betonten die Aktivisten: "Wir haben keine Angst, wie sind hier und wir werden uns nicht ändern. Ihr habt Angst, ihr werdet euch ändern und ihr werdet euch daran gewöhnen." Die kämpferische Erklärung wurde auch an anderen Orten verlesen; sie ist hier auf Englisch zum nachlesen verfügbar, die Facebook-Seite des CSD zeigt zudem Videos mit den Verlesungen an etlichen Orten.
/ TuncayOezdamarTrotz Verbots wollen Schwule/Lesben heute um 17h zum #IstanbulPride kommen. Polizei sperrt Strassen. Hubschrauber über Taksim. Fotos: BirGün pic.twitter.com/ANIxeHnKFm
— Tuncay ÃÂ-zdamar (@TuncayOezdamar) June 25, 2017
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Bis 16.45 Uhr deutscher Zeit waren laut Veranstaltern mindestens neun Personen festgenommen worden, mindestens drei sollen recht zügig wieder freigelassen worden sein. Letzte Gespräche mit der Polizei über eine Durchführung des CSD seien allerdings gescheitert. Später fand eine größere Demonstration mit vielleicht hundert Teilnehmern im Stadtteil Cihangir statt, bis die Polizei hier Tränengas gegen die Teilnehmer einsetzte. Laut einigen Berichten wurden auch einzelne Gummigeschosse gegen sie eingesetzt. Bereits ein Bild aus dem Einkaufsviertel zeigte den Einsatz eines Gummigeschosses, offenbar als Warnschuss gezielt auf den Boden.
/ fbanaszakHow things change in between 15 seconds. #IstanbulPride #yürüyoruz pic.twitter.com/ViVeDkGEIX
— Felix Banaszak (@fbanaszak) June 25, 2017
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Später erfolgten auch in Cihangir einige Festnahmen, zugleich konnten einige LGBTI immer wieder selbstbewusste Zeichen setzen.
/ TerryReintkeDespite all the horrible news of today: We are simply too beautiful to hide in the shade! #yürüyoruz #IstanbulPride #PrideWatch2017 pic.twitter.com/EXpgmJMWrM
— Terry Reintke (@TerryReintke) June 25, 2017
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Laut dem Pride waren zwischenzeitlich selbst einige Rechtsanwälte festgenommen worden, die den Festgenommenen helfen sollten; sie wurden aber wieder auf freiem Fuß gesetzt. Insgesamt sollen einige Menschen teils zufällig festgenommen worden sein, das Einschreiten der Beamten war dabei teilweise von Gewalt begleitet. Größere Verletzungen erlitt aber offenbar niemand. Am Abend meldeten die CSD-Organisatoren, insgesamt seien von der Polizei 41 Menschen festgenommen worden, darunter auch rechtsradikale Gegendemonstranten. Man wisse nähere Details zu 23 festgenommenen LGBTI-Aktivisten und rechne mit einer baldigen Freilassung, die dann später in der Nacht erfolgte.
/ eylemnazlier#lgbti #Pride2017 #Ã"°stanbulPride pic.twitter.com/H493oxSRtf
— Eylem NazlÃ"±er (@eylemnazlier) June 25, 2017
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Durch die dezentralen Proteste war die Lage zeitweise unübersichtlich. In sozialen Netzwerken tauchten teilweise Bilder und Videos aus den Vorjahren auf, die brutalere Gewalt zeigten, etwa durch in diesem Jahr nicht eingesetzte Wasserwerfer oder einem stärkeren Einsatz von Gummigeschossen. Auch Bilder mit einem Tränengas-Regenbogen über dem Taksim-Platz oder von hunderten Leuten und riesigen Regenbogenflaggen auf der Einkaufsstraße Istiklal stammen aus Vorjahren.
/ gazeteyolculukLGBTÃ"°â€™ler Valilik yasaÃ"ŸÃ"±nÃ"± tanÃ"±madÃ"±: Her yer Taksim, her yer gökkuşaÃ"ŸÃ"±! https://t.co/XhMcHbY0qT pic.twitter.com/Z6U1krqQkZ
— Yolculuk Gazetesi (@gazeteyolculuk) June 25, 2017
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Am Samstag hatte der von der Erdogan-Regierung direkt bestimmte Gouverneur Istanbuls Vasip Sahin, der die Verantwortung über die Polizei hat, die Kundgebung in der Innenstadt verboten und sich dabei auf Sicherheitsgründe berufen (queer.de berichtete). Zuvor hatte es, wie in einigen Vorjahren, Drohungen der Jugendorganisation der rechtsextremen und islamistischen Splitterpartei "Partei der Großen Einheit" gegeben.
Polizeigewalt in den letzten beiden Jahren
Homosexualität war in der Türkei nie verboten. Die Pride-Bewegung galt zudem lange Jahre als zunehmender Erfolg: Noch 2014 nahmen über 100.000 Menschen am CSD in Istanbul teil. 2015 wurden Aktivisten dann von einem Verbot in letzter Sekunde überrascht, der CSD wurde mit einem Wasserwerfer, Tränengas und Gummigeschossen niedergeschlagen (queer.de berichtete). Der Gouverneur rechtfertigte das Verbot mit dem Ramadan – obwohl der CSD schon mehrfach in den Fastenmonat gefallen war.
Im letzten Jahr wiederholten sich Verbot und Polizeieinsätze beim traditionellen Trans-Pride in der Vorwoche (queer.de berichtete) und dann beim eigentlichen CSD (queer.de berichtete). Dabei ging die Polizei auch nachts noch gegen Veranstaltungen vor. In diesem Jahr endete der Ramadan vor dem CSD, der Trans-Pride findet erst am nächsten Wochenende statt.
Im letzten Jahr waren über 30 Menschen beim CSD festgenommen und teilweise über Nacht festgehalten worden, darunter der Bundestagsabgeordnete Volker Beck und die deutsche Europaabgeordnete Terry Reintke samt ihrem Büroleiter und einem Vertreter der Grünen Jugend. Reindtke war zusammen mit weiteren Europaabegordneten auch dieses Jahr angereist, auch weitere internationale Beobachter sind vor Ort. (nb)
Update 26.6., 10h: Kundgebung in Berlin
Für Montagabend um 18 Uhr ist eine Kundgebung gegen die Polizeigewalt gegen den CSD in Istanbul in der Nähe der türkischen Botschaft in Berlin (Tiergartenstraße / Ecke Hildebrandstraße) geplant, angemeldet vom Linkenpolitiker Hakan Taş und unterstützt u.a. vom LSVD.















Ein Armutszeugnis...