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Nach Merkels "Brigitte"-Auftritt
Ehe für alle: CDU und CSU heben Fraktionszwang auf
Nach dem Entschluss der SPD, eine Entscheidung zur Ehe-Öffnung noch in dieser Woche und notfalls ohne die Koalitionspartner herbeizuführen, war die Union im Zugzwang. Eine Zustimmung zur Gleichstellung ist das allerdings nicht.

Am 17. Mai gab es vor dem Reichstag bunte Regenbogen, um die Ehe für alle einzufordern. Noch bis Ende dieser Woche könnte diese nun folgen.
- Von Norbert Blech
27. Juni 2017, 13:40h 10 Min.
Einen Tag nach der überraschenden abendlichen Äußerung von Angela Merkel, die Frage der Ehe-Öffnung für Schwule und Lesben als Gewissensentscheidung anzusehen, wird eine entsprechende positive Abstimmung des Bundestags noch in dieser Woche immer wahrscheinlicher.
Gegen Nachmittag gab zuerst die CSU nach Angaben der dpa bekannt, den Fraktionszwang in der Frage aufzuheben. Die Grundposition der CSU sei zwar gegen die Ehe für alle, teilte die Partei am Dienstag nach einer kurzfristigen Telefonkonferenz der Parteispitze in München mit. "Gleichwohl haben wir Respekt und Verständnis, wenn Bundestagsabgeordnete der CSU bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag ihrem Gewissen folgend eine abweichende Entscheidung treffen."
Wenige Minuten später verlautete es dann aus der Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe dort den Fraktionszwang aufgehoben. Sie halte das Theme für eine Gewissensentscheidung. Nach Angaben der ARD hätten einige Abgeordnete diese Äußerung und Taktik begrüßt, rund zwei Drittel der Fraktion seien aber gegen die Ehe für alle. Die dpa schätzt den Anteil der Nein-Stimmer auf zwei Drittel bis drei Viertel.
Zu den Gegnern der Gleichbehandlung gehört Unions-Fraktionschef Volker Kauder, der noch kurz vor der Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion der SPD einen "Vertrauensbruch" vorgeworfen hatte. Deren Vorgehensweise zeige, "dass sie das Land in dieser schweren Zeiten nicht verantwortungsvoll lenken" könne.
/ cducsubtKauder: Abstimmung zu #Ehefüralle ist Vertrauensbruch durch @spdbt. Hochsensibles Thema braucht viel Verantwortung. pic.twitter.com/BnMHvZVvAb
— CDU/CSU (@cducsubt) June 27, 2017
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Letztlich scheint aber der Druck der SPD vom Vormittag gewirkt zu haben. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, der Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann und weitere Regierungsmitglieder hatten in der Bundespressekonferenz Merkels Äußerung vom Vorabend aufgegriffen und als Ja zu einer sofortigen freien Abstimmung bewertet. Man werde am Mittwoch im Rechtsausschuss für den vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrats zur Ehe für alle stimmen und diesen auf die Tagesordnung des Bundestags noch in dieser Woche setzen lassen.
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Der Entwurf des Bundesrats gilt als einzige denkbare Möglichkeit, das Thema anzugehen: Er erlaubt der Union zumindest etwas Gesichtswahrung. Ein neuer Antrag der Großen Koalition oder aus allen Fraktionen heraus müsste allein schon zeitlich scheitern, während der Entwurf der Länderkammer eine erste Lesung hinter sich hat und nach der Verabschiedung im Rechtsausschuss direkt im Bundestag in zweiter und dritter Lesung beraten und beschlossen werden könnte.
Eine Mehrheit für die Ehe-Öffnung gilt dort dank der Zustimmung von Grünen und Linken als sicher. Die SPD betonte, man wolle mit der Union gemeinsam die Abstimmung ermöglichen, werde diese aber notfalls auch ohne sie umsetzen. Noch am Vormittag schien es in der Union Widerstand zu geben, das Thema auf die Tagesordnung des Bundestags zu setzen; am Nachmittag sagte Kauder, die Union werde diesen formalen Schritt nicht mittragen und die SPD müsse dabei auf die Opposition setzen.
Eine am Dienstag um 17 Uhr aktualisierte Tagesordnung des Bundestags sieht das Thema weiterhin nicht vor. Der Ablaufplan hält allerdings weiterhin fest, dass "noch kein Einvernehmen über die Tagesordnung" besteht. Aus der SPD heißt es, dass es die Debatte und Abstimmung definitiv am Freitag geben werde – Johannes Kahrs hat schon eine Rede angekündigt.
Nach einer erfolgreichen Verabschiedung im Rechtsausschuss und im Plenum könnte der Bundesrat bereits am 7. Juli die einfachgesetzliche Ehe-Öffnung endgültig beschließen.
Das ist der Gesetzentwurf des Bundesrats:
Der Entwurf mehrerer Länder mit Beteiligung von SPD, Grünen und Linken (PDF, DIP) war am 12. Juni 2015 erstmals in der Länderkammer beraten und dort nach der Sommerpause am 25. September verabschiedet worden. Im Bundestag hatte er seine erste Lesung im letzten November, seitdem wurde er dort wie Gesetzentwürfe der Bundestagsfraktionen von Grünen und Linken im Rechtsausschuss mit Stimmen von Union und SPD immer wieder vertagt.
Durch den Antrag wird die Definition der Ehe im BGB geändert, sie wird demnach "von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen". Dadurch erhalten Homo-Paare auch erstmals das Recht auf die gemeinschaftliche Adoption von Kindern. Nach Inkrafttreten des Gesetzes können keine Lebenspartnerschaften eingegangen werden; bestehende können durch eine Erklärung vor dem Notar rückwirkend in eine Ehe umgewandelt werden – je nach Datum könnte das steuerrechtliche Auswirkungen haben.
Union von Merkel und SPD überrannt
Aus der Union kamen nach der Pressekonferenz von Schulz zunächst wenige Stimmen. Johannes Singhammer (CSU), Vizepräsident des Deutschen Bundestags, sagte der ARD, er fände es "schade, wenn eine solche schwierige und ernste Frage praktisch in letzter Minute aus machtpolitischen Gründen instrumentalisiert wird".
Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer (CDU), hatte sich noch am Morgen gegen eine Abstimmung vor der parlamentarischen Sommerpause ausgesprochen. Er warne davor, eine "überstürzte Entscheidung zu treffen". Es müsse in der kommenden Legislaturperiode weitere Überlegungen geben, um eine "seriöse Lösung" zu finden. So betonte er auch erneut die bisherige Unions-Position, für die Ehe-Öffnung könne eine Verfassungsänderung notwendig sein.
Ablehnung kam zunächst weiter aus Bayern: "Ich will das Thema überhaupt nicht im Bundestag haben", sagte der frühere Verkehrsminister und CSU-Abgeordnete Peter Ramsauer der "Rheinischen Post". "Deutschland hat ganz andere Probleme. Aber die CDU-Führung soll sich davor hüten, auch noch die letzten konservativen Werte zu zerstören", betonte der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Bundestag. Parteichef Horst Seehofer hatte am Montag eine Ablehnung der Ehe für alle und des gemeinschaftlichen Adoptionsrechts für Homo-Paare bekräftigt (queer.de berichtete).
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Die aktuellen Grundsatzprogramme von CDU und CSU definieren die Ehe bewusst als Verbindung aus Mann und Frau, bis zuletzt hatten die Parteien gegen die Ehe-Öffnung angekämpft und das nicht nur aus Taktik. Deutliche Kritik an Angela Merkel äußerte am Mittag bereits die aus der Partei und Fraktion ausgetretene Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach: "Angela Merkel sind die Position der eigenen Partei völlig egal. Das hat sie nach dem Bundesparteitag beim Thema Doppelpass unverblümt deutlich gemacht und jetzt wiederum bei den Forderungen nach einer 'Ehe für alle'. Die große Tragik liegt darin, dass die CDU und letztlich auch die CSU diese diktatorischen Alleingänge hinnehmen."
Die CDU Berlin und Deutschlands haben demokratisch entschieden: Eine Ehe ist eine Verbindung aus einer Frau und einem Mann. Daran ändert auch ein BRIGITTE-Interview von Frau Merkel nichts.
Posted by CDU Friedrichshain-Kreuzberg on Dienstag, 27. Juni 2017
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Inhaltlich könnte eine freie Abstimmung viele Nein-Stimmen der Union zutage bringen: "Ich habe mich immer gegen die Diskriminierung von Homosexuellen eingesetzt und habe hier eine sehr liberale Haltung", schrieb der Düsseldorfer Abgeordnete Thomas Jarzombek am Dienstagmittag auf Facebook. "Aber Ehe ist für mich die Verbindung von Mann und Frau. Dinge die nicht gleich sind, sollen auch nicht gleich heißen. Ich werde auf keinen Fall für einen Gesetzentwurf stimmen, der die Ehe für andere Verbindungen öffnet."
Aber auch erste Zustimmung gab es: Der schwule Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann twitterte noch in der Nacht: "Von mir aus könnten wir gerne noch diese Woche abstimmen!" Auch Brandenburgs CDU-Vorsitzender und Fraktionschef Ingo Senftleben sprach sich am Dienstag für die Ehe-Öffnung aus.
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SPD kritisiert Merkel und Union deutlich
Die SPD legte sich am Dienstagmittag vor den Sitzungen der Fraktionen mehrfach fest: "Ehe für alle wurde lange blockiert durch Union. Diese Woche kommt Entscheidung im Bundestag. Ich freue mich sehr", verbreitete die SPD-Bundestagsfraktion ein Zitat ihres Vorsitzenden Thomas Oppermann auf Twitter. "Wir werden die #Ehefueralle in dieser Woche im Bundestag zur Abstimmung stellen", schrieb Familienministerin Katarina Barley in dem Netzwerk. "Endlich – denn Liebe kennt kein Geschlecht."
Die SPD-Bundestagsfraktion hält Wort: Noch in dieser Woche wollen wir eine Abstimmung über die Ehe für alle im Deutschen…
Posted by SPD-Bundestagsfraktion on Dienstag, 27. Juni 2017
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"Frau Merkel hat gestern in der 'Brigitte'-Talkrunde die Öffnung der Ehe als Gewissensentscheidung bezeichnet", schrieb der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs in einer längeren Pressemitteilung am Mittag. "Das war lange überfällig. Wir Sozialdemokraten werden sie jetzt beim Wort nehmen." Seit zwölf Jahren kämpfe die SPD für die Ehe-Öffnung, seit zwölf Jahren blockiere Merkel. "Persönlich. Zwölf Jahre, in denen strategische Überlegungen und das Bauchgefühl der CDU-Vorsitzenden wichtiger waren als die Lebenswirklichkeit in Deutschland."
Kahrs wies Äußerungen Merkels, dass man in den letzten vier Jahren nicht über das Thema gesprochen habe, zurück: Die Behauptungen seien "erstens falsch, zweitens an Zynismus und Dreistigkeit nicht mehr zu überbieten und drittens sagt sie damit bewusst die Unwahrheit." So habe er auch persönlich mit Merkel "ständig" über das Thema gesprochen. "Zuletzt hat sie mir vor Weihnachten 2016 versprochen, sich über den Jahreswechsel Gedanken zu machen und im Januar 2017 mitgeteilt, dass sie gegen die Öffnung der Ehe ist", so Kahrs. Noch weigere sich die Union, das Thema im Plenum auf die Tagesordnung zu setzen. "Damit wird sie aber nicht durchkommen, notfalls bringt die SPD-Bundestagfraktion ohne den Koalitionspartner die Ehe für alle ein!"
Der SPD-Abgeordnete Karlheinz Brunner, der im Rechtsausschuss für die SPD immer wieder die Anträge auf Vertagung u.a. des Bundesrats-Entwurfs stellte, schrieb auf Facebook: "Es wird wahr. Grenzenlose Freude. Ich weiß nicht, wie viele Gespräche ich mit der Union zu diesem Thema geführt habe. Wie oft sie blockiert hat. Wie oft krude Argumente vorgeschoben wurden, um Gerechtigkeit für gleiche Liebe zu verhindern. Das liegt nun hinter uns. Die Ehe für alle wird nun kommen."
Tom Schreiber, schwuler SPD-Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus, schrieb auf Twitter, es sei "traurig, wie die '#EhefürAlle' vom #Bauchgefühl & der #Laune der Bundeskanzlerin abhängt". Man kann das auch als Kritik an der eigenen Partei verstehen.
Grüne und Linke fordern sofortige Abstimmung
Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, sagte am Mittag zum Verhalten der Großen Koalition im Rechtsausschuss: "Dreißigmal haben wir die Ehe für alle inzwischen aufgesetzt. Nach einem Liedtext würde man sagen: Dreißigmal berührt, dreißigmal ist nichts passiert. Jetzt kommt die Bundeskanzlerin und sagt, das sei nun eine Gewissensentscheidung. Das will ich dann auch sehen, dass wir in dieser Woche nach dem Gewissen im Deutschen Bundestag darüber entscheiden."
Nach der Äußerung von Merkel in der "Brigitte"-Runde dürfe es keine Versuche mehr geben, eine Abstimmung zu verhindern: "Gewissensentscheidung ist Gewissensentscheidung. Das macht auch keine Koalition mehr kaputt", so Göring-Eckardt. Und zur Kanzlerin und zur SPD muss man sagen: Die Kanzlerin sagt nie, was sie tut, und die SPD tut nie, was sie sagt. Heute kommt es zum Schwur."
/ peter_simoneNa dann, Kanzleramt! Wir warten auf die politische Initiative, nachdem die #Ehefueralle letzte Woche im Bundestag zum 30. Mal vertagt wurde! https://t.co/9xXBKtwg4G
— Simone Peter (@peter_simone) June 26, 2017
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Auch der schwule Linkspolitiker Harald Petzold erinnerte an das Hinhalten im Rechtsausschuss. "Nun endlich zeichnet sich in dieser zermürbenden und die Betroffenen entwürdigenden Verzögerungstaktik ein Licht am Ende des Tunnels ab. Ich begrüße sehr die positive Äußerung Angela Merkels zur Eheöffnung sowie die Ansage von Martin Schulz, noch in dieser Woche endlich die Abstimmung im Deutschen Bundestag durchzuführen."
Nun könne das "ein historischer Moment für die deutsche Demokratie werden, ausgerechnet in der Woche des internationalen Christopher Days", so Petzold. Union und SPD seien gefordert, "ihre parteipolitischen Spielchen aufzugeben und diese Legislaturperiode noch möglichst würdig zu beenden. Ich hoffe sehr auf das demokratische Verständnis von Vielfalt und Menschenrechten im Bundestag und somit auf ein positives Ergebnis."
Hamburg Pride: Merkel keine Überzeugungstäterin
Nachdem am Morgen bereits der LSVD und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine sofortige Abstimmung forderten, kommentierte Stefan Mielchen vom Hamburg Pride am Mittag: "Besser spät als nie! Dass sich auch die SPD endlich aus der Umklammerung der Union löst und eine Abstimmung noch in dieser Woche ermöglichen will, zeigt: Druck funktioniert, Engagement lohnt sich und bleibt auch in Zukunft wichtig. Am Ende zahlt sich die Beharrlichkeit aus, mit der alle Beteiligten, ob in Parteien und Verbänden oder Hunderttausende beim CSD, über all die Jahre am Ball geblieben sind."
Zur Wahrheit gehöre "allerdings auch, dass die SPD im Bund lange genug das Spiel der Union mitgespielt hat. Ohne das besondere Engagement und die konsequente Haltung von Volker Beck wären wir aktuell nicht an dem Punkt, der zunächst SPD und FDP dazu gebracht hat, Koalitionsbedingungen zu formulieren, und nun auch die Bundeskanzlerin zu ihrer Einsicht bringt", so Mielchen. "Angela Merkel hat rechtzeitig die wahltaktischen Zeichen der Zeit erkannt. Eine Überzeugungstäterin ist sie bei der Ehe für alle trotzdem nicht."
Für etwas Spott sorgte am Nachmittag die "heute show":
/ heuteshowMerkel will offenbar ohne Fraktionszwang über die #Ehefueralle abstimmen lassen. Ihre Haltung: JA, ICH WILL (regieren).
— ZDF heute-show (@heuteshow) June 27, 2017
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Und das Berliner Schwule Museum* bot eine zeitliche Einordnung:
25 Jahre später.#EheFürAlle
Posted by Schwules Museum on Dienstag, 27. Juni 2017
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