Kampagne der Union gegen die Einführung der Lebenspartnerschaft aus dem Jahr 2000, die sie später auch noch in Karlsruhe bekämpfte. Inhaltlich ist die Partei seitdem wenig weiter gekommen. (Bild: Montage, CDU sowie Löwe 48 (CDU-Zentrale))
Angela Merkels überraschendes Einlenken bei der bisherigen Blockade der Ehe-Öffnung führt zu einem zunehmenden Groll unter den davon überrollten Unions-Abgeordneten und an der Basis, mitten im beginnenden Wahlkampf. Berichten zufolge könnten über zwei Drittel der Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion gegen die Ehe für alle stimmen.
Hier sind einige der Stimmen aus der Debatte – aus einer Partei, die erst in der vergangenen Woche in ein Gesetz zur Rehabilitierung der Verfolgten des Paragrafen 175 in letzter Minute eine neue Diskriminierung einbaute (queer.de berichtete) und LGBTI-Rechten weiterhin größtenteils ablehnend gegenüber steht. "Merkels Bauchgefühl ist gelindert, nicht geheilt", warnte bereits der CSD Kiel.
Der stellvetretende Unions-Fraktionsvorsitzende und frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) meinte am Mittwoch auf Twitter, die Ehe für alle trage zur "Auflösung der gesellschaftlichen Ordnung" bei, und warnte: "Wundern Sie sich nicht, wenn das Pendel irgendwann zurückschlägt."
Der aus dem Bundestag ausscheidende CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach empörte sich: "Wir müssen uns doch fragen: Gibt es überhaupt noch politische Positionen, für welche die Union unverwechselbar steht, mit denen wir gegenüber anderen Parteien unterscheidbar sind? Oder ändern wir, wenn es gerade politisch opportun ist, unsere Haltung?" Gegenüber kath.net sagte er, die Position der Union zur Ehe auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften sei bekannt und gelte "für CDU und CSU ebenso wie für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion". "In der letzten Fraktionssitzung ist noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass sich an diesen Positionen auch nichts ändern wird."
Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU) kritisierte im NDR das mit der Ehe für alle kommende vollständige Adoptionsrecht für Homo-Paare. Aus Sicht der CSU sei es für ein Kind besser, wenn es Bezugspersonen unterschiedlichen Geschlechts habe: "Das ist eine Lebenserfahrung, die nicht nur wir haben, sondern die sich über Jahrhunderte verfestigt hat." Auch ärgere er sich, dass ein verfassungsrechtlich komplexes Gesetz "jetzt im Schweinsgalopp in den letzten Stunden der letzten regulären Sitzungswoche in dieser Legislatur durchgepeitscht werden soll".
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer nannte das Vorgehen der Sozialdemokraten in einem von der Partei auf Facebook verbreiteten Bild "unwürdig".
Manfred Grund, Sprecher der thüringischen Landesgruppe, sagte dem MDR, er wolle "gute Argumente haben, warum die eingetragene Partnerschaft das Etikett Ehe haben soll". Bis auf das Adoptionsrecht sei die eingetragene Partnerschaft der Ehe schon gleichgestellt. In der Partei gebe es eine klare Beschlusslage, wonach die Institution der Ehe Mann und Frau vorbehalten bleibe.
Der Westthüringer CDU-Abgeordnete Christian Hirte meinte, man könne die eingetragene Partnerschaft erweitern: "Zum Beispiel kann man über das Adoptionsrecht sprechen." Die Abgeordnete Antje Tillmann betonte, durch Gespräche mit Betroffenen ändere sich nach und nach ihre Auffassung. Das Durchjagen der Ehe für alle durch den Bundestag mache sie aber "wütend".
Homosexuelle Paare hätten "Respekt und ebenso Anspruch auf staatlichen Schutz" verdient, sagte der rheinland-pfälzische Abgeordnete Patrick Schnieder dem SWR. "Es gibt aber keine Notwendigkeit, ungleiche Dinge wie Ehe und gleichgeschlechtliche Partnerschaft absolut gleich zu behandeln oder als gleich zu bezeichnen". Laut ihm würden die meisten Abgeordneten aus dem Land gegen die Ehe für alle stimmen. Sie sei für das Adoptionsrecht und für die Ersetzung des Begriffes "verpartnert" durch "verheiratet", sei aber gegen die Ehe-Öffnung, weil die Ehe ein "christliches Sakrament" sei, betonte die Mainzer Abgeordnete Ursula Groden-Kranich.
Die CDU Sachsen postete ein Bild auf Facebook, wonach die CDU-Abgeordneten des Bundeslandes die Ehe-Öffnung ablehnten. Der Vorsitzende der sächsischen Landesgruppe der Bundestagsfraktion, Michael Kretschmer, betonte, mit der Ehe aus Mann und Frau einerseits und der Lebenspartnerschaft andererseits habe man "vernünftige Rechtsnormen". Es könne nicht sein, dass Politiker der CDU/CSU wegen ihrer Bedenken als homophob und reaktionär beschimpft würden, sagte Kretschmer dem Deutschlandfunk.
"Wenn nun die Bundeskanzlerin und Parteivorsitzende wieder einmal überraschend und persönlich eine abrupte, unabgestimmte, politische Kehrtwende vollzieht, muss sich Widerstand regen", kommentierte Mechthild Löhr von den "Christdemokraten für das Leben". "Denn hier geht es nicht um irgendein soziales Randthema, sondern um eine Umwertung und Entwertung einer zentralen Lebenswirklichkeit, die unsere Gesellschaft zutiefst prägt und trägt. Das politische Signal (…) schadet den Familien. Diese leiden schon heute unter vielen Formen der wirtschaftlichen und sonstigen Benachteiligung gegenüber Singlen und Kinderlosen Paaren, während gleichgeschlechtliche in der Regel kinderlos bleiben."
Der Konservative Aufbruch in der CSU, der u.a. mit der "Demo für alle" zusammenarbeitet, kommentierte im Portal "Bayern jetzt", das vom Ehemann der homophoben Autorin Birgit Kelle (noch CDU-Mitglied) betrieben wird, die "verfassungswidrige Einführung" der Ehe für alle sei "ein Schlag ins Gesicht der Parteibasis": "Sowohl das aktuelle Grundsatzprogramm der CSU als auch ein verbindlicher Parteitagsbeschluss der CDU vom 16.12.2015 sehen vor, dass die Ehe unbedingt auf eine dauerhafte Verbindung zwischen Mann und Frau beschränkt bleiben soll."
Sprecher Thomas Jahn kommentierte weiter: "Die einsame Entscheidung des CSU-Parteivorsitzenden Horst Seehofer, diese Grundsatzposition über Nacht aufzugeben, ist ein Schlag ins Gesicht aller CSU-Mitglieder, die sich den christlichen Grundsätzen unserer Partei besonders verpflichtet fühlen. Als Konservativer Aufbruch in der CSU werden wir nicht zulassen, dass elementare CSU-Grundsätze, wie das Eintreten für Ehe und Familie geopfert werden, um sich dem Zeitgeist oder linksgrünen Parteien anzubiedern. Wir fordern alle CSU-Mitglieder auf, dem Konservativen Aufbruch in der CSU beizutreten, um ein Zeichen gegen den Ausverkauf der Grundwerte der CSU zu setzen!"
Alexander Mitsch vom neuen, auch auf Homophobie setzenden Dachverband "Freiheitlich-Konservativer Aufbruch" (queer.de berichtete) kommentierte in einem anderen Portal Kelles, "The Germanz", man lehne die Ehe für alle "konsequent ab": "Die staatliche Privilegierung der Ehe gegenüber anderen Lebensgemeinschaften hat ihren guten Grund in ihrer Funktion zum Fortbestand der Gesellschaft. Dieser Fortbestand über Generationen kann nur in einer Verbindung von Mann und Frau gesichert werden."
Progressive Stimmen
Aus der Union gibt es aber auch Stimmen, die die Ehe für alle befürworten. Schleswig-Holsteins neuer Ministerpräsident Daniel Günther hat sich zwar noch nicht in die aktuelle Debatte eingeschaltet, sich aber zuvor für die Ehe-Öffnung ausgesprochen; eine entsprechende Haltung des Landes auf Bundesebene ist im Koalitionsvertrag mit Union und Grünen enthalten (queer.de berichtete).
Der Berliner Bundestagsabgeordnete Dr. Jan-Marco Luczak freute sich in mehreren Einträgen in sozialen Netzwerken wie auch in Interviews über die anstehende Entscheidung. "Bundeskanzlerin Merkel für #Gewissensentscheidung bei der Öffnung der #Ehe für gleichgeschlechtliche Paare! Ein Durchbruch, der vielen Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine Bürde von den Schultern bei der Abstimmung nimmt", schrieb er etwa am Montagmorgen. "Für mich war immer klar: Die Ehe ist der wunderbare Liebesbeweis zweier Menschen, bei dem es auf das Geschlecht nicht ankommen kann!" (Korrigierter Satz:) Im Rechtsausschuss ließ er sich am Mittwoch vertreten, dort stimmte die Union geschlossen gegen die Vorlage des Bundesrats.
Im ARD-"Morgenmagazin" und in einem Gastkommentar in der "Rheinischen Post" warb der schwule CDU-Politiker Jens Spahn für die Ehe-Öffnung, betonte aber auch mal wieder, deren Ablehnung aus religiösen Gründen sei nicht homophob. Auch forderte er erneut eine "verbale Abrüstung auf beiden Seiten".
Der Landesvorsitzende der CDU Hamburg, Roland Heintze, der lange Vorsitzender der Lesben und Schwulen in der Union war, warb ebenfalls für die Gleichbehandlung: "Ich persönlich halte die 'Ehe für alle' für richtig, da dies eine konsequente und zeitgemäße Fortsetzung von Unionspolitik wäre", sagte er der "Hamburger Morgenpost". Zugleich beklagte er ein "Wahlkampfgetöse" der SPD: "Die Entscheidung der Kanzlerin, die Abstimmung freizugeben ist richtig und macht ein durchsichtiges SPD-Wahlkampfmanöver zum Rohrkrepierer."
In dem in der letzten Woche veröffentlichten ZDF-Politbarometer gibt es auch unter Unionsanhängern eine Mehrheit für die Ehe-Öffnung
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Man sollte es sich nicht zu einfach machen. Und man sollte die Menschen, die sich vielleicht noch schwer tun mit dem Thema, nicht vorschnell der Lesben- und Schwulenfeindlichkeit verdächtigen.
Manche der Personen sind kirchlich gebunden, andere haben vielleicht andere Vorbehalte.
Eher sollte man sich als Lesben- und Schwulenbewegung vielleicht einmal fragen, weshalb man die eigenen Werte und Vorstellungen diesem Personenkreis bislang nicht vermitteln konnte (oder wollte).
Wir leben in einer demokratischen Gesellschaft, und es ist wichtig, eine solche Debatte mit gegenseitigem Respekt zu führen.
Die Debatte wird allerdings nur recht kurz sein, am kommenden Freitag wird der Prozess aller Voraussicht bereits beendet sein. Und dann schauen wir mal weiter, denn dann kommt der Sommer, und dann ist das Thema vermutlich bereits vergessen bei den Personen, die sich nun vielleicht überrumpelt oder gar auf den Schlips getreten fühlen.