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Gastkommentar

Ehe für alle heißt noch lange nicht Akzeptanz

Martin Sommer kann die Euphorie über die kommende Gleichstellung nicht verstehen. Er fordert einen Neustart der LGBT-Bewegung.


Manche CSD-Plakate müssen in diesem Jahr neu gemalt werden… (Bild: mw238 / flickr)
  • 29. Juni 2017, 06:27h 67 6 Min.

Ja, es ist ein großer Erfolg, dass die Ehe auch für schwule und lesbische Paare geöffnet wird. Kein Sonderstatus mehr für Homosexuelle, sondern endlich gleiche Rechte. Ja, es ist großartig, dass eine so große Mehrheit der Bevölkerung hinter der Ehe für alle steht, wenn man den Umfragen wirklich glauben kann. Und dass die SPD den Mut findet, eine schon lange vorhandene Mehrheit im Bundestag für dieses Vorhaben auch zu nutzen, ist gut.

Euphorie will sich bei mir dennoch nicht einstellen. Das liegt schon an der Art und Weise, wie dieser Fortschritt zustande kam: Rund drei Monate vor der Bundestagswahl wollte die Kanzlerin ein für sie leidiges Thema "abräumen". Und die SPD, die immerhin rund 14 der letzten 17 Jahre an der Bundesregierung beteiligt war, wollte jetzt, kurz vor der Wahl, wenigstens ein einziges Mal ein wenig Unabhängigkeit von Merkel demonstrieren.

Auch wenn eine rot-rot-grüne ebenso wie eine rot-grün-gelbe Zusammenarbeit ab September schon rechnerisch kaum möglich scheint und eine Koalition der SPD mit der Linken auch inhaltlich wenig wahrscheinlich ist. Eigentlich kann die SPD heute nur darauf hoffen, dass Merkel sie noch einmal als Juniorpartner an die Regierung lässt. Aber die Ehe für alle soll das noch einmal verschleiern. Am Ende kommt die Ehe-Öffnung nicht als Akt der Befreiung und nicht als Bürgerrechts-Reform aus Überzeugung – sondern als taktisches Wahlmanöver.

Gerichte sorgten für die kleinen Schritte Richtung Gleichstellung

Nun könnte man natürlich sagen: Egal wie – Hauptsache die rechtliche Gleichstellung schwuler und lesbischer Paare kommt überhaupt. Und tatsächlich ist es beeindruckend, wie viel sich in den vergangenen Jahren getan hat. Noch bis in das Jahr 2000 durften Homosexuelle nicht Berufssoldaten werden und bei der Bundeswehr weder als Vorgesetzte noch als Ausbilder arbeiten. Dieses Verbot hat nicht der damalige sozialdemokratische Verteidigungsminister Scharping freiwillig und auf eigene Initiative aufgehoben, das wurde erst durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts möglich.

Als ich mich vor elf Jahren verpartnern ließ, gab es für uns als neues gemeinsames Recht eigentlich nur das Zeugnisverweigerungsrecht – wir müssen seitdem nicht gegeneinander vor Gericht aussagen und haben von diesem Recht noch nie Gebrauch gemacht bzw. machen müssen. Die Gerichte, nicht die Politik, haben dann in den letzten Jahren die Diskriminierung eingetragener Lebenspartnerschaften bei Hinterbliebenen-Versorgung, Erbschaften und der Einkommenssteuer beendet. Und jetzt gab es – erstmals in der Geschichte der Schwulen-und Lesbenbewegung in Deutschland – einen richtig machtvollen gesellschaftlichen Druck für die Ehe-Öffnung. Für viele junge Menschen, die sich selbst als links definieren, war die Ehe für alle eines der zentralen Anliegen ihres Engagements.

- w -

Noch lange nicht im Homo-Paradies


Martin Sommer, 41, lebt in Saarbrücken, ist seit elf Jahren verpartnert und arbeitete als freier Journalist u.a. für "Queer", "Männer" und "Du & Ich". Zurzeit ist er Pressesprecher der Fraktion Die Linke im Saarländischen Landtag

Und, war's das jetzt? Leben wir nun bald alle im Homo-Paradies, weil auch schwule und lesbische Paare dieselbe Ehe schließen können wie Heteros? Nein, noch lange nicht! Die Ehe auch für Homo­sexuelle hatte auch deshalb so viel Zuspruch, weil sie eigentlich eine ziemlich bürgerliche, ja konservative Forderung ist.

Der ehemalige Bundespräsident Gauck beispielsweise hat erklärt: "Wenn homo­sexuelle Menschen das gleiche Recht erhalten, in einer rechtlich verbindlichen Partnerschaft zu leben, gibt es ihnen die Chance, ein gleichwertiges Leben in Liebe und Partnerschaft zu führen." Als wenn Schwule und Lesben ohne denselben Trauschein wie Heterosexuelle zu haben, kein "gleichwertiges Leben in Liebe und Partnerschaft" führen könnten. Gleichwertigkeit gibt es also nur, wenn man sich der bürgerlichen Ehe in Monogamie unterwirft?

Und wie passt es zusammen, dass zwar Umfragen zufolge über 70 Prozent der Deutschen für die Ehe für alle sind, aber es laut der Studie "Die enthemmte Mitte" über 40 Prozent "ekelhaft" finden, wenn sich gleich­geschlechtliche Paare in der Öffentlichkeit küssen? Noch immer ist "schwule Sau" das schlimmste Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen und mehr als die Hälfte der homo­sexuellen Jugendlichen hat üble Nachrede und Mobbing Gleichaltriger erlebt, körperliche Gewalt aufgrund ihrer sexuellen Identität rund 14 Prozent.

Akzeptiert wird Anpassung, nicht Vielfalt

Da seit Jahren die Gleichstellung erwachsener Homo-Paare in den Fokus gerückt worden ist, blieben die Bedürfnisse der jüngeren und alleinlebenden Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender weitgehend unbeachtet. Union und SPD haben es jetzt fertiggebracht, im Zuge der überfälligen Rehabilitierung und Entschädigung derjenigen schwulen Männer, die in der Bundesrepublik auf Grundlage des Paragrafen 175 verfolgt wurden, die Diskriminierung Homo­sexueller festzuschreiben, indem sie andere Schutzalters-Grenzen für Homo­sexuelle als für Heterosexuelle festgelegt haben. Damit bedienen sie das uralte Vorurteil: Schwul ist man nicht, man wird es durch bösen Einfluss.

Akzeptiert wird von der heutigen Mehrheitsgesellschaft also weniger der einzelne schwule, lesbische oder bisexuelle Mensch und schon gar nicht Homosexualität als gleichwertig gegenüber der Heterosexualität. Akzeptiert wird nicht die Buntheit und Vielfalt der Gesellschaft, sondern nur der Versuch von Minderheiten, sich einzuordnen und nicht weiter aufzufallen. Solange ein schwuler Mann nur hübsch heiratet, monogam lebt und in der Öffentlichkeit nicht "seine Sexualität zur Schau stellt", ist alles gut. Respekt sieht anders aus.

Wenn die Ehe für alle beschlossen ist, verliert der LSVD seine letzte verbliebene zentrale Forderung und die CSDs landauf, landab müssen sich wohl oder übel neue Mottos überlegen. Das zeigt nur eines: Es wird Zeit für einen Neustart der LGBT-Bewegung. Denn was wirklich fehlt, ist eine selbstbewusste und unabhängige Vertretung von LGBT-Anliegen – abseits von parteipolitischen Erwägungen und ohne scheue Blicke auf die Regeln und Normen der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft.

Das Verschwinden der schwul-lesbischen Communitys

Jetzt rächt es sich, dass die Diskussion über viele Jahre hinweg auf die Ehe beschränkt wurde und eine eigenständige schwul-lesbische Community in den meisten deutschen Städten und Regionen kaum noch existiert. Ich spreche natürlich nicht von Berlin, Hamburg, München oder Köln. Aber ist es wirklich ein Fortschritt, dass anderes, queeres Leben außerhalb von solchen Metropolen kaum noch sichtbar ist? Dass Homo-Bars, Clubs und Cafés mehr und mehr verschwinden und Schwule und Lesben sich stattdessen meist allein und anonym im Internet verabreden?

Ist es wirklich Befreiung, wenn Homos ganz in der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft aufgehen – und im Gegenzug kaum noch eigene queere Fragestellungen und Lebensentwürfe erkennbar sind? Sind eigene Rückzugs-Räume, an denen man nicht auf das Wohlwollen der heterosexuellen Mehrheit angewiesen ist, und Orte, an denen aus einzelnen lesbischen, schwulen, bisexuellen und transgender Menschen eine Community entstehen kann, wirklich gleichzusetzen mit Abschottung und Ghettoisierung?

Die verbliebene durchkommerzialisierte Hochglanz-Szene – auch im Internet – lässt kaum Platz für all diejenigen, die nicht jung, schön, stets gestylt und vermögend sind. Nach dem Engagement für die Ehe-Willigen wäre es an der Zeit, sich auch diesen Fragen anzunehmen.

-w-

#1 Jogolein
  • 29.06.2017, 08:43hAalen
  • Mir ist es letztendlich Wurscht, ob die Veranstaltung nun ein taktisches Wahlmanöver ist oder ob Merkel nur etwas laut gedacht hat, wie seinerzeit Schabowski. Die Sache ist ohnehin längst überfällig und argumenativ schon 30mal wiedergekäut worden. Dass die SPD die Gunst der Stunde im Alleingang (so wie Merkel schon die ganze Zeit) genutzt hat sei ihnen gegönnt.

    Dass wir noch weit von einer generellen gesellschaftlichen Akzeptanz entfernt sind, ändert sich durch die Öffnung der Ehe (ich hasse den Begriff "Ehe für alle") nicht, das ist richtig, aber sie ist jedenfalls ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung und das ist in meinen Augen genug Grund für eine gewisse Grundeuphorie. Also, warum immer alles so schwarz sehen? Ich finde man darf sich auch darüber freuen ein Etappenziel endlich erreicht zu haben.
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#2 AndreAnonym
  • 29.06.2017, 08:45h
  • Vielleicht verschwinden Bars usw. auch weil sie nicht mehr notwendig sind. Sie wurden geschaffen, weil es anders nicht ging.
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#3 AJ212Anonym
  • 29.06.2017, 08:52h
  • Klar ist die Öffnung der Ehe nicht das Ende des Kampfes für Aktzeptanz, aber es ist das deutlichste Ziel dass es zu erreichen gilt. Von dort an ist es am angebrachtesten Probleme zu beheben wie sie auftreten.
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