Muss das Bundesverfassungsgericht schon wieder zur Gleichstellung von schwulen und lesbischen Paaren urteilen? (Bild: Mehr Demokratie / flickr)
Einen Tag vor der entscheidenden Abstimmung über die Ehe für alle im Bundestag spielen mehrere Politiker der Union öffentlich mit dem Gedanken, eine beschlossene Ehe-Öffnung für gleichgeschlechtliche Paare noch mit einem Gang nach Karlsruhe zu verhindern.
Eine Gruppe von Unionsabgeordneten um den Justiziar der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl, prüfe rechtliche Schritte gegen das Gesetz, berichtete am Donnerstag der "Tagesspiegel". "Wir prüfen, ob ein Antrag auf abstrakte Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wegen Unvereinbarkeit des Gesetzes zur Ehe für alle mit Artikel sechs des Grundgesetzes eingereicht wird", sagte der CSU-Politiker der Zeitung.
Ein solcher Antrag kann nur von einer Bundesregierung, einer Landesregierung oder von einem Viertel aller Bundestagsmitglieder eingebracht werden. Zuvor hatten bereits einzelne Abgeordnete der Union öffentlichkeitswirksam über eine eigene Klage in Karlsruhe sinniert, wobei aber unklar blieb, wie sie die formale Berechtigung zu einer solchen Klage erlangen sollen könnten.
Auch allgemein betonten viele Unions-Politiker gegenüber Medien, beim zur Abstimmung gebrachten Gesetzentwurf des Bundesrates, der eine Ehe-Öffnung durch eine Änderung des BGB erzielen will, gebe es noch verfassungsrechtliche Bedenken, weswegen man die Debatte am Freitag als überstürzt empfinde. Allerdings wird die Frage im Bundestag, in der Politik und unter Rechtsexperten schon seit Jahren diskutiert.
Bauchgefühl juristisch verpackt
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hält eine Verfassungsänderung zur Ehe-Öffnung nicht für notwendig, konnte diese Ansicht aber in der Bundesregierung nicht durchsetzen (Bild: Stefan Mey)
Der Artikel sechs des Grundgesetzes stellt Ehe und Familie unter besonderen staatlichen Schutz, ohne diese Punkte näher zu definieren. Die Union hatte früher schon die Einführung und Ausweitung des Lebenspartnerschaftsgesetzes als Verstoß gegen Artikel sechs gewertet.
So hatten 2001 die Länder Bayern, Sachsen und Thüringen ein Normenkontrollverfahren gegen das Gesetz in Karlsruhe angestrengt, samt einem gescheiterten Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung zum Stopp eines Inkrafttretens. Das Höchstgericht entschied damals, dass es kein "Abstandsgebot" der Lebenspartnerschaft zur Ehe gebe, sondern diese der Ehe auch komplett gleichgestellt werden könne.
In späteren Urteilen akzeptierte das Gericht weitere Gleichstellungen oder forderte sie für klagende Paare sogar selbst ein – etwa zum Adoptionsrecht in zuletzt einstimmigen Urteilen. Dabei betonten die Richter auch, dass gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern Familien im Sinne des Artikels 6 sind, was von "Familienschützern" und Unionspolitikern gerne übersehen wird.
Allerdings hatte die deutsche Rechtsprechung, auch das Bundesverfassungsgericht noch in den letzten Jahren, Artikel 6 konstant so ausgelegt, dass die Ehe eine Verbindung aus Mann und Frau sei – diese Definition selbst findet sich im BGB, nicht aber im Grundgesetz. Einige Juristen, vor allem aber konservative Politiker, gehen aufgrund dieser Rechtsprechung davon aus, dass zur Ehe-Öffnung die Verfassung geändert werden müsse. Für die Union bietet diese Ansicht den Vorteil, dass sie durch die notwendige Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat die Gleichstellung auf ewig verhindern könnte.
Ein Großteil der Rechtsexperten betont hingegen, eine gleichgeschlechtliche Ehe verstoße inhaltlich nicht gegen die Verfassung. Auch formal zähle bei der Definition der Ehe eine Entscheidung des Bundestags höher als eine Definition durch Gerichte.
Die aktuellen Gesetzesentwürfe von Bundesrat und Opposition setzen auf eine einfachgesetzliche Ehe-Öffnung, entsprechende Entwürfe aus der vorherigen Legislaturperiode gingen ebenfalls nicht von der Notwendigkeit einer Verfassungsänderung aus. Bei einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags im September 2015 sah eine Mehrheit der geladenen Experten kein Problem in der einfachgesetzlichen Ehe-Öffnung (Anhörungs-PDF). Wenige Monate zuvor hatte die Justizministerkonferenz in einem Mehrheitsbeschluss die Ehe-Öffnung gefordert und betont, dass eine einfachgesetzliche Regelung ausreiche (queer.de berichtete).
Für Chaos hatte allerdings in den letzten Jahren das Bundesjustizministerium gesorgt: Während Justizminister Heiko Maas (SPD) öffentlich mehrfach betonte, es sei keine Verfassungsänderung notwendig, behauptete sein Haus im Namen der Bundesregierung das Gegenteil – worauf sich jetzt auch die Union öffentlich stützt. Regierungssprecher Steffen Seibert hatte auf Nachfragen immer wieder im Namen der Großen Koalition betont, dass es für das nicht verfolgte Ziel einer Ehe-Öffnung einer Grundgesetzänderung bedürfe (queer.de berichtete). Maas selbst betonte in den letzten Tagen erneut, dass eine einfachgesetzliche Regelung ausreiche.
Beck: Debatte endlich beenden
"Die Drohung mit einer Normenkontrollklage kann man meines Erachtens mit Gelassenheit entgegensehen", kommentierte am Donnerstag der Grünenpolitiker Volker Beck. Betrachte man die internationale Rechtsentwicklung, die Meinung der Mitglieder der Rechtsgemeinschaft und die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgericht, dann sei die Ehe für alle nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern "im Lichte des Gleichheitssatzes auch geboten".
"Bedauerlich" wäre eine Klage in Karlsruhe "gleichwohl für den gesellschaftlichen Frieden", so Beck. In die Debatte um die Gleichstellung "sollten die Menschen, die Menschenwürde der Lesben und Schwulen, in das Zentrum gerückt werden." Die Diskussion über Parteipolitik und Verfahren sollte jetzt beendet werden: "Es reicht nun." Mit einem Ja zur Ehe für alle würde der Bundestag "die Phase der bloßen Toleranz beenden und die Epoche der Akzeptanz einläuten".
"Für Lesben und Schwule mit einer Geschichte jahrhundertelanger Verfolgung, Kriminalisierung und Diskriminierung würden sie endlich als Bürger mit allen Rechten und Pflichten anerkannt", so Beck. "Das ist für das soziale Sicherheitsgefühl unserer gesellschaftlichen Gruppe weit über die Frage des Familienrechtes hinaus von Bedeutung."
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