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Reaktion auf Verfolgungswelle
Berlin nimmt fünf homosexuelle Tschetschenen auf
In Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt hat der Senat fünf Betroffenen ein humanitäres Visum erteilt.

In Tschetschenien waren in den letzten Monaten über 100 Männer wegen angeblicher Homosexualität verschleppt und gefoltert worden, einige starben
- 30. Juni 2017, 16:01h 3 Min.
Auf Grund der "massiven Verfolgungswelle von Homosexuellen in Tschetschenien" hat sich Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) bereit erklärt, fünf besonders Gefährdeten in einem besonderen Verfahren schnell und unbürokratisch in der Hauptstadt Schutz zu gewähren.
Wie die Senatsverwaltung in einer Stellungnahme erklärte, erfolge die Aufnahme in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt aus dringenden humanitären Gründen. Zu der Entscheidung sagte Innensenator Andreas Geisel: "Diese Menschen wurden allein auf Grund ihrer sexuellen Orientierung auf besonders grausame Weise verfolgt, erpresst und misshandelt. Ich möchte mit der Aufnahme ein aktives Zeichen gegen Homophobie und Folter setzen. Ich bin zuversichtlich, dass die Tschetschenen in unserer Stadt die nötige Unterstützung und Betreuung bekommen, die sie benötigen."
Grundlage für die Aufnahme der fünf Personen aus Tschetschenien ist § 22 Satz 1 Aufenthaltsgesetz. Demnach kann einer Ausländerin oder einem Ausländer für die Aufnahme aus dem Ausland aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.
Mehrere EU-Staaten halfen bei der Flucht
Im Juni hatte Deutschland den ersten Mann aufgenommen, der vor der Verfolgung in der autonomen Teilrepublik geflohen war (queer.de berichtete). Auch dieser Aufnahme waren ausführliche Gespräche in der deutschen Botschaft in Moskau in Zusammenarbeit mit dem russischen LGBT Network voraus gegangen. Auch andere Länder, überwiegend aus der EU wie Frankreich und Litauen sowie einige nicht öffentlich genannte, hatten so Betroffenen geholfen – in einem leicht bürokratischen, aber auch seltenen Verfahren.
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Das LGBT Network konnte über 50 Menschen bei der Flucht aus der Region helfen und teilweise in Notunterkünften unterbringen. Der Verband versucht, die Männer ins Ausland zu vermitteln – die Gefahr, ansonsten durch Verwandte oder Behörden weiter verfolgt zu werden, sei groß, gerade weil etwa für die Aufnahme einer Arbeit die neue Adresse nach Grosny gemeldet würde.
Die Dunkelziffer der Betroffenen und privat Geflüchteten dürfte höher liegen – sie könnten auch privat auf andere Wege versuchen, in ein EU-Land zu kommen, um dort einen Asylantrag zu stellen. Bereits in den letzten Jahren hatte mehrere LGBTI-Flüchtlinge aus Tschetschenien wie aus Russland in Deutschland Anträge gestellt – einige von ihnen wurden inzwischen anerkannt, einige auch abgelehnt.
Im Frühjahr war bekannt geworden, dass in Tschetschenien über 100 Männer wegen des Verdachts der Homosexualität in mehrere inoffizielle Gefängnisse verschleppt und dort gefoltert worden sind, um die Namen weiterer Schwule preiszugeben. Einige Menschen starben dabei oder wurden später durch Verwandte getötet. Das Magazin "Vice" konnte kürzlich für eine Video-Reportage ein inzwischen geräumtes Gefängnis in der Nähe von Grosny besuchen.
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