https://queer.de/?29262
Gerichtshof vor Grundsatzentscheidung
Facebook-Hetze gegen schwules Paar landet in Straßburg
Ein Kuss-Foto sorgte in Litauen für homofeindliche Kommentare – die Behörden sahen keinen Grund zu Ermittlungen und beschuldigten das Paar der Provokation.

Das Private ist politisch: Dieses harmlose Kussbild zweier Teenager aus Litauen beschäftigt jetzt die Politik in Vilnius und die Justiz in Straßburg (Bild: Montage privat, CherryX / wikipedia)
- Von Norbert Blech
13. Juli 2017, 12:30h 4 Min.
Zwei junge Schwule aus Litauen legen sich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit ihrem Land an – und könnten so europaweit für ein verstärktes Vorgehen gegen homofeindliche Online-Hetze sorgen. Eine bereits vor zwei Jahren eingereichte Klage hat das Straßburger Gericht nun angenommen (41288/15) und zunächst Fragen an die Beteiligten verschickt.
Der Anlass war harmlos: Pijus Beizaras und Mingirdas Levickas hatten im Dezember 2014 ein Foto bei Facebook gepostet, auf dem sich das Paar küsst. Die beiden 1995 und 1996 geborenen Aktivisten der LGBTI-Organisation LGL hatten das Bild öffentlich geteilt, als Ausdruck ihrer beginnenden Liebe. Es verbreitete sich viral und erzielte binnen Stunden über 800 Kommentare, nach ihren Angaben in der Mehrheit negativ: Viele Kommentare zielten generell gegen LGBTI und ihre Rechte, einige griffen das Paar direkt an.
In seiner Zusammenfassung des Rechtsstreits zitiert das Gericht unter anderem die folgenden Kommentare: "Schwuchteln sollten getötet werden", "Ihr solltet beide in die Gaskammern geworfen werden", "Ihr seid verfickte Schwuchteln – ihr solltet vernichtet werden", "Ihr Schwuchteln solltet nicht solche Fotos posten, solche Schwuchteln sollte man treten" oder schlicht: "Tötet sie!"
Justiz: Selbst schuld!
Das Paar wandte sich an die Lithuanian Gay League (LGL), um sich gegen die Kommentare zur Wehr zu setzen. Die Organisation reichte eine Strafanzeige zu 31 Kommentaren von 27 Personen ein, nach zwei Paragrafen zu Volksverhetzung, die auch "sexuelle Orientierung" als Merkmal für eine angegriffene Personengruppe beinhalten.
Ein lokaler Staatsanwalt in Klaipeda lehnte allerdings bereits Vorermittlungen ab: Für den Vorwurf der Volksverhetzung fehlten belegbarer Vorsatz und ein systematisches Vorgehen der einzelnen Beteiligten. Er verwies auf ein Urteil des Verfassungsgerichts, dass ein einzelner Kommentar, Schwule seien "Perverse", die in die Psychiatrie gehörten, keine Volksverhetzung sei.
|
Auf eine Rechtsbeschwerde von LGL entschied auch das örtliche Gericht, die Kommentare zeigten zwar eine "ungeignete Wortwahl", "Obszönitäten" reichten aber für eine Volksverhetzung nicht aus. Das Gericht ging zugleich noch einen Schritt weiter und betonte, dass der junge Schwule, der das Bild online stellte, damit hätte rechnen müssen, durch die Nicht-Begrenzung auf Freunde auch ihm völlig Unbekannte zu erreichen und mit der Darstellung von "exzentrischem Verhalten" nicht zu gesellschaftlichem Zusammenhalt und der Förderung von Toleranz beizutragen.
Wer sein Recht auf Meinungsfreheit entsprechend nutze, müsse auch berücksichtigen, dass diese Freiheit die Pflicht umfasse, die Meinungen und Traditionen anderer zu akzeptieren, urteilte das Gericht weiter. So befürworte die Mehrheit der Bevölkerung die "sehr geschätzten Werte der traditionellen Familie", wie sie sich auch in der Verfassung widerspiegelten, die die Familie als Basis von Gesellschaft und Staat definiert und die Ehe als Verbindung aus Mann und Frau.
Auf erneute Beschwerde machte sich in letzter Instanz ein regionales Gericht die Argumentation des vorherigen zu eigen und betonte ebenfalls, das Bild mit dem dargestellten "exzentrischem Verhalten" sei als Versuch zu werten, "bewusst Menschen mit unterschiedlichen Ansichten zu reizen oder zu schockieren und das Veröffentlichen negativer Kommentare zu provozieren".
Paar hat kein Vertrauen mehr in den Staat
In ihrer Anklageschrift berichteten die beiden Kläger, sie hätten in der Öffentlichkeit und in privaten Nachrichten in sozialen Netzwerken zahlreiche Bedrohungen und Beleidigungen erhalten, die sie wegen Aussichtslosigkeit nicht mehr angezeigt hätten. Einer der beiden sei als Schüler von seinem Schulleiter aufgefordert worden, seine "Ideen" nicht zu verbreiten, der andere sei als Theologie-Student vom Dekan der Universität aufgefordert worden, wegen seines "Lebensstils" das Fach zu wechseln.
Der Europäische Gerichtshof will nun bis Oktober von der litauischen Regierung wissen, warum die Verweigerung von Ermittlungen kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention und kein Verstoß gegen das Recht auf Achtung auf Privat- und Familienleben sein könnte. Das Gericht verweist dabei auf mehrere frühere Entscheidungen, so auf ein Urteil auf eine Klage der georgischen LGBTI-Organisation Identoba: 2015 hatte das Gericht unzureichenden Polizeischutz für eine LGBTI-Demonstration vor einem homofeindlichen Mob kritisiert und dabei auch die Rechte der "nur" verbal Angegriffenen betont: Die Beschimpfungen führten zusammen mit dem versagten Schutz zu "Angst, Qual und Unsicherheit", seien nicht mit der Menschenwürde vereinbar und könnten vor weiteren Äußerungen in der Öffentlichkeit abschrecken.

Mitglieder der Lithuanian Gay League am letzten Wochenende beim Baltic Pride in der estnischen Hauptstadt Tallinn. Die europäische Integration und Vernetzung hilft den Aktivisten auch vor Gericht. Bild: LGL / facebook
"Beschimpfende und bedrohende Kommentare über LGBTI-Personen sind zu einer alltäglichen Norm geworden", beklagte der Anwalt Tomas Vytautas Raskevicius, der das Paar in Straßburg vertritt. "Litauische Behörden haben jahrelang bewusst Hass gegen die Mitglieder unserer Community nicht verfolgt und damit ein Klima der Straflosigkeit geschaffen und zu Homophobie in Litauen beigetragen." Man hoffe, dass die Entscheidung des Straßburger Gerichts, den Fall anzunehmen, zu einem Umdenken führe.















Ich drücke den beiden die Daumen für ihre (also auch unsere) Verhandlung!