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DAH und LSVD sind empört
Blutspenden: Sex-Karenzzeit für Schwule "eine Unverschämtheit"
LGBTI- und Aids-Aktivisten können nicht verstehen, warum die Bundesärztekammer in den neuen Blutspenderichtlinien an der Diskriminierung schwuler und bisexueller Männer festhält.

Formal können Schwule bald Blut spenden – in Wirklichkeit wird die neue Richtlinie aber wohl nichts ändern
- 7. August 2017, 13:29h 3 Min.
Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), dürfen künftig auch in Deutschland spenden – aber nur, wenn sie ein Jahr lang keinen anderen Mann angefasst haben. Diese bereits vergangene Woche durchgesickerte Änderung der Blutspenderichtlinien wurde von der Bundesärztekammer am Montagvormittag offiziell bekannt gegeben. Bislang waren schwule und bisexuelle Männer generell von einer Blutspende ausgeschlossen gewesen.
LGBTI- und Aids-Organisationen geht diese Änderung nicht weit genug. Sie kritisieren, dass die Bundesärztekammer Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität diskriminiere: "Offenbar hat das Bestreben, MSM weiterhin möglichst dauerhaft von der Blutspende auszuschließen, über die Wissenschaft gesiegt", erklärte Axel Hochrein, der Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD).
LSVD: Kein Schwuler verzichtet ein Jahr auf Sex, um Blut zu spenden
Nach der neuen Richtlinie würden kaum Schwule und bisexuelle Männer Blut spenden können, so der LSVD-Sprecher. Hochrein mutmaßt, dass den Verfassern auch bewusst sei, "dass ein gesunder homosexueller Mann niemals ein Jahr lang zölibatär leben kann und wird, um dann endlich Blut spenden zu dürfen". Unverständlich sei, dass alle Schwulen und bisexuellen Männer in einer Risikogruppe zusammengefasst würden – egal, ob sie in einer monogamen Partnerschaften leben oder Safer Sex betreiben.
Es spreche für die "vorurteilsbehaftete Vorgehensweise der Verfasser", dass sie weiter in Kategorien wie "Risikogruppen" dächten, statt auf das Risikoverhalten zu schauen. Das Problem werde auch bei der in den Richtlinien beschriebenen Gruppe "heterosexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten, z. B. Geschlechtsverkehr mit häufig wechselnden Partnern" deutlich: "Es kommt nicht darauf an, ob heterosexuelle Blutspender häufig wechselnden Geschlechtsverkehr hatten, sondern ob dieser safe oder unsafe war. Außerdem reicht auch ein einmaliger unsafer Geschlechtsverkehr z.B. mit einer Prostituierten als relevantes Risiko aus."
Jetzt bleibe nur noch die Hoffnung, dass die Gerichte die neue Richtlinie korrigierten. "Denn vom CDU-geführten Bundesgesundheitsministerium ist wohl keine Hilfe zu erwarten", so Hochrein.
DAH bringt Sechs-Wochen-Frist ins Spiel
Auch Björn Beck vom Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe zeigte sich enttäuscht, dass die Bundesärztekammer unwissenschaftlich vorgehe: "Eine HIV-Infektion kann man heute sechs Wochen nach dem letzten Risiko sicher ausschließen. Diese Frist wäre nachvollziehbar. Eine Frist von einem Jahr schließt die meisten schwulen und bisexuellen Männer weiterhin unnötig von der Blutspende aus. Das ist nicht mehr als Kosmetik und eine Unverschämtheit", sagte Beck am Montag.
Er verwies auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg, das zwar 2015 den Ausschluss von Personen aufgrund deren sexueller Orientierung für rechtens erklärte, aber gleichzeitig feststellte, dass es dafür Gründe gebe müsse (queer.de berichtete). Zudem sei die gesonderte Nennung von "transsexuellen Personen mit sexuellem Risikoverhalten" in den neuen Richtlinien unverständlich und nicht akzeptabel.
Zuletzt haben mehrere andere Länder ebenfalls ihr komplettes Blutspende-Verbot für Schwule aufgehoben und eine Ein-Jahres-Frist eingeführt. In diesem Jahr gingen bereits Belgien, die Schweiz und Irland diesen Schritt.
In manchen Regionen ist man bereits weiter: Im vergangenen Monat haben etwa die britischen Landesteile England und Schottland angekündigt, dass ab nächsten Jahr die Sex-Karenzzeit für schwule und bisexuelle Männer "nur" noch drei Monate betragen soll. Sechs Länder der EU – Bulgarien, Italien, Lettland, Polen, Portugal und Spanien – betrachten hingegen nur das Risikoverhalten des Spenders und nicht dessen sexuelle Orientierung: Dort werden Homo- und Heterosexuelle also gleich behandelt. (dk)
